ONE OF THESE DAYS

PÖNIs: (4/5)

„ONE OF THESE DAYS“ von Bastian Günther (B + R; D/USA 2018; K: Michael Kotschi; M: The Notwist; 121 Minuten; deutscher Kino-Start: 19.5.2022);

SPIELEREI: REALER KAPITALISTISCHER Spannungs-HORROR. Titel = „ONE OF THESE DAYS“. Von BASTIAN GÜNTHER (B +R; D/USA 2018; K: Michael Kotschi; M: The Notwist; 121 Minuten; deutscher Kino-Start: 19.5.2022). Unter den BESTEN FILMEN ALLER ZEITEN überhaupt sehe ich ein – neunfach für den „Oscar“ nominiertes – Meisterwerk von Sydney Pollack aus dem Jahr 1969: „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss“ (s. Kino-KRITIK/5 PÖNIs). An diesen unvergessenen Spielfilm, Originaltitel: „They Shoot Horses, Don’t They?“, mit Jane Fonda und Michael Sarrazin in den Hauptrollen, musste ich des Öfteren denken, als ich diese aktuellen Bilder sah. Eines Films, der auf Tatsachen basiert. Als eine Art Kammerspiel auf einem Parkplatz angelegt ist. Im Jahr 1992 startete in Longview, Texas – unter dem Namen „Hands On A Hardboy“ – ein dann jährlich stattfindender Ausdauerwettbewerb. Ein Nissan-Autohandel hatte die Aktion ins Leben gerufen, um durch die Publicity, die mit dem Wettbewerb einherging, die Verkäufe anzukurbeln. 24 Menschen, von der Auslosung bestimmt, standen in der Septembersonne oder im Regenhagel um einen brandneuen Nissan-Truck herum. Bedingung: IMMER EINE HAND AUF DEM CHASSIS. Ziel – zu versuchen, die anderen Teilnehmer zu überdauern. Was mit 87 Stunden begann, erreichte bald über 100 Stunden bei einem Gewinner. Der Rekord erreichte schließlich im Jahr 2000 runde 125 Stunden. Das sind über fünf Tage und Nächte ohne Schlaf, an einem Auto stehend – nie anlehnend oder sitzend. Immer brav stehen, bitte. Körperliche Verfassung, mentale Stabilität, Ernährung, das richtige Schuhwerk sowie der Toilettengang sind die Faktoren für den Wettbewerb. Die Folgen: Blinzelnde Augen, Schweiß, Dialogfragmente, verkrampfte Lacher „erscheinen“. Die Hitze, der Schlaf- und Wassermangel setzen den Teilnehmern körperlich und geistig rasant zu. Hass, Wut und Müdigkeit, Schmerzen am und im Körper sowie die Untereinander-Häme; die Beleidigungen verbreiten sich. Es kommt zu Halluzinationen, Sekundenschlaf, Ohnmacht, Hysterie, seelischer Herabwürdigung. Mal mehr, mal weniger, vom „Volk“ als Jahrmarkt-Show betrachtet sowie von regionalen TV-Sendern ständig beobachtet. Mit dem lautstarken Motto: Es lebe der freie amerikanische Bürger. Der erst „richtig“ ganz frei ist, wenn er sich solch ein Auto leisten kann. Weil er dies nicht vermag, bemüht er sich halt „so“= angestrengt, cool = um die tolle Karre. „Wir brauchen das Geld“, stöhnt es aus den noch 20 Akteuren. Denen inzwischen selbst das Atmen immer schwerer fällt.

Es brilliere das Motiv der Zweiklassengesellschaft. Raus aus dem alten, beschwerlichen Leben, weg von der ewigen, drückenden Perspektivlosigkeit, ich brauche ja nur ausdauernd – lange genug – „festklebend“ herumstehend. Was soll schon passieren. 2005 wurde der Wettbewerb eingestellt, nachdem sich der 24-jährige Richard V., einer der Teilnehmer, nach 48 Stunden am Auto aushaltend, sich eine Kugel in den Kopf geschossen hatte. Er löste sich vom Wagen, brach in einen K-Mart ein, nahm sich dort in der „Sportabteilung“ eine Pistole und einige Patronen und erschoss sich auf dem Weg aus dem Supermarkt.

Anfangs werden die Beteiligten vorgestellt. Die den nagelneuen Pick-up-Truck haben wollen. Gesellschaftlich gestreut; unter anderem besetzt von einer bibeltreuen christlichen Fundamentalistin, einem Ex-Soldaten, der bei den „Kameltreibern“ im Einsatz war; einem selbstbewussten Afro-Amerikaner bis zum jungen Kyle Parson (JOE COLE), der fest überzeugt davon ist, heute Gewinner zu werden. Doch die körperlichen „Schutzmechanismen“ beginnen sich auch bei ihm mehr und mehr zu verabschieden. Während seine Frau mit dem Neugeborenen „draußen“ wartet. Ihrer Arbeit nachgeht und hofft, dass ihr Ehemann unbeschadet „rauskommt“.  „One Of These Days“ knallt unter die Haut. Zerrt in der Birne. Gehörig. Ohne mit Kitsch as Can herumzufummeln. Das Ensemble „stimmt“. Ist treffsicher zusammengefügt. Man ist als Betrachter, Zuschauer, empathisch-stark mit-eingebunden. Auch bei Joan (CARRIE PRESTON), die als Event-Managerin das Spektakel leitet. Und dabei auch ihre privaten Störungen nebenbei abarbeiten, also erledigen muss.

Der 47-jährige Autoren-Regisseur BASTIAN GÜNTHER, dessen Paukenschlagfinale-hier überrascht und nachwirkt, lebt in Berlin und in Austin, Texas. Kennt seine „Pappenheimer“ und weiß deren „Schwachstellen“ auszuloten: „Ich denke, so etwas kann überall passieren. Amerika ist anfälliger für diese Art von Dingen, aber das Problem, das der Wettbewerb widerspiegelt, ist universell. Es spielt keine Rolle, ob die Leute um einen Truck herumstehen oder auf einer Stange sitzen, oder ob sie Kandidaten in einer TV-Show sind, die sich im Dschungel oder in einem geschlossenen Container abspielt. Es geht um die Ausbeutung der Schwächeren und Benachteiligten, um Unterhaltung und Schadenfreude – das ist leider alles sehr menschlich. Und in gewisser Weise dient diese Art von Wettbewerb auch dazu, eines unserer größten Probleme zu offenbaren: Die ungleiche Verteilung von Wohlstand und Chancen und deren Folgen“. „Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss 2“ (= 4 PÖNIs).

 

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