„NIGHT MOVES“ von Kelly Reichardt (Co-B + R; USA 2013; Co-B: Jonathan Raymond; K: Christopher Blauvelt; M: Jeff Grace; 112 Minuten; Start D: 14.08.2014); was für eine cineastische wie unterhaltsame Freude, in dieser Film-Woche einer bislang „unentdeckten“ Filmemacherin „umfangreich“ zu begegnen. Sowohl im Heimkino (mit ihrem großartigen Gedanken-Western „MEEK’S CUTOFF“/s. Heimkino-KRITIK) wie auch im „normalen“ Premieren-KINO „draußen“.
Die Rede ist von KELLY REICHARDT, 1964 in Miami/Florida geboren. Seit 1994 ist sie im amerikanischen Independent-Kino aktiv. Mit ihren Dauer-Themen: Die amerikanische Landschaft, außerhalb der Großstädte; Menschen, die sich in ihr auffällig-unauffällig „bewegen“ und dadurch zum Mittelpunkt von „bewegenden Geschichten“ werden. Ihr Debütspielfilm „RIVER OF GRASS“ hatte seine Erstveröffentlichung im Januar 1994 im Wettbewerb des renommierten „Sundance Festivals“ und lief dann einen Monat später bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin. Thema: Ein Road Movie ohne Straße; eine Liebesgeschichte ohne Liebe; ein Krimi ohne Verbrechen.
Nach drei Kurzfilmen folgte 2006, Budget: 300.000 Dollar, „OLD JOY“, eine Geschichte von drei Freunden und ihrem Wochenend-Camping-Trip auf dem Lande, in Portland/Oregon. Der Kritiker der „New York Times“ bezeichnete den Film um Freundschaft, Verlust und Entfremdung als einen „der besten amerikanischen Filme des Jahres“. Namhafte Kollegen von ihm führten „Old Joy“ am Jahresende auf ihren Top-Ten-Listen. „WENDY UND LUCY“, Spielfilm 3 von Kelly Reichardt, basierend auf einer Kurzgeschichte ihres Lieblingsautoren Jonathan Raymond, der danach zu „ihrem“ Drehbuch-Autoren avancierte, hatte 2008 seine Welturaufführung auf dem Festival von Cannes, wurde als „Bester Film“ und für die „Beste Darstellerin“ (Michelle Williams) von Kritikern in Toronto ausgezeichnet und fand am Jahresende erneut viele begeisterte („Top Ten“-)Kritiker. Eine Frau begibt sich mit ihrem Hund auf die Reise nach Alaska, in der Hoffnung auf eine bessere Existenz. Schließlich „MEEK’S CUTOFF“, der 2010 im Wettbewerb der 67. Internationalen Filmfestspiele von Venedig lief und hierzulande jetzt im Heimkino zu bewundern ist. Und nun also „NIGHT MOVES“:
Was machst du. Was kannst du machen. Was sollst du machen. Du siehst, die Welt, besser: der Planet, wird schauerlich behandelt. Missbraucht. Geschändet. Du schlägst dich auf die Seite derer, die helfend eingreifen wollen. „Etwas“ retten. Wenigstens. Das kann, das darf doch so nicht weitergehen. Dass WIR dermaßen radikalen Raubbau begehen. Immer mehr zerstören. Umwelt. Natur. Boden. Wasser. Luft. Für Immer-Mehr-WACHSTUM. Noch mehr Industrialisierung. Technik. Es wird uns immer besser gehen, aber dabei werden wir zusehenst verelenden: „Die gute kapitalistische Laune“. Oder: „Lachse sterben, nur damit unsere iPods laufen“.
Sie heißen Josh (JESSE EISENBERG), Dena (DAKOTA FANNING) und Harmon (PETER SARSGAARD). Begreifen sich als militante Umweltaktivisten. Proben den Widerstand im Kleinen. Josh auf einer Bio-Farm. Motto: Die Herstellung und Veräußerung von gesunder Nahrung. Aber – die haben es letztlich satt, „so piefig“ tätig zu sein. Aber was tun? Das sich „lohnt“? Damit sich wirklich etwas ändert. Größer verändert. Sich in den Gedanken der Menschen „positiv“ festsetzt. Sie „zur Umkehr“ von immer mehr ökologischen Schandtaten bewegt. Die Drei beschließen zu handeln. Idealismus = Aktionismus. Sie wollen einen Staudamm sprengen. Als politisches Statement. Planung und Handeln. Danach ist nichts mehr so wie es einmal war. Die Auswirkungen sind enorm. Barbarisch. Die Zufälle haben ihnen einen schlimmen Streich gespielt. Fatale Konsequenzen ergeben sich. Für alle Beteiligten. Auf Schuld folgt keine Sühne.
Menschen auf der Suche nach lebenswerten Lebensformen. Für ein besseres Heute. Kelly Reichardt lässt sich wie immer viel Zeit. Benötigt nicht viele laute Worte, sondern lässt die Protagonisten über Andeutungen und Gestik, per körpersprachliche Bewegungen und über ihre Wortfetzen sprechen. Romantisierung ausgeschlossen. Unruhe zuhauf. „Night Moves“ erzählt vom Handeln. Von Typen, die ein wütendes stilles Eigenleben führen und es konsequent auszureizen versuchen. Der Film bewegt sich schlafwandlerisch faszinierend und ist von packender Thriller-Intensität. Ohne „zu schreien“, bilderhaft Spektakuläres zu veranstalten oder eine ideologische Fahne herzustellen. Die Deutungen sind vielschichtig. Mit der bedeutsamen Schlussfrage: Was ist gerechtfertigt, um diese zu verelenden drohende Welt vor dem Kollaps zu retten???
Die Schauspieler, natürlich. JESSE EISENBERG, New Yorker vom Jahrgang 1983, vermag wunderbar nicht zu lächeln. War in dem Drama „The Social Network“ 2010 als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg kalt wie ein Dämon und präsentiert sich hier als Josh, der personifizierte Anti. Der sich erst ganz zum Schluss – etwas – Seelen-öffnet. Jesse Eisenberg wirkt wie der junge Marlon Brando, eigen, mehr kotzig denn nett, unnahbar. Immer für überraschende charakterliche wie emotionale Wendungen (sehr) gut. Einen spannenderen amerikanischen Schauspieler gibt es derzeit nicht. DAKOTA FANNING, 20, trotzte 2005 imposant Robert De Niro in der Vater-Tochter-Gruselei „Hide and Seek“ und führt hier ihr gespaltenes Bürgermädel Dena als beeindruckende Un-SCHULD vor. Dagegen offenbart „Oldie“ PETER SARSGAARD, 42, als desillusionierter Kriegsveteran Harmon prächtig Züge von menschlicher Abgestumpftheit und weltlichem Ekel.
„Night Moves“ von Kelly Reichardt verstrahlt eine ungemein unterhaltsame Sogwirkung: Funktioniert brillant sowohl als Psycho-Drama wie auch als vorzüglicher Thriller. Ist einer jener MUSS-(= Must See-)Kinofilme in diesem Jahr (= 4 ½ PÖNIs).