Nightcrawler

NIGHTCRAWLER – JEDE NACHT HAT IHREN PREIS“ von Dan Gilroy (B + R; USA 2013; K: Robert Elswitt; M: James Newton Howard; 117 Minuten; Start D: 13.11.2014); natürlich existiert „the American Dream“, und natürlich kannst auch DU ihn Dir „besorgen“. Wahrmachen. Den amerikanischen Traum. Von Glück und Erfolg. Du musst halt nur „ins Risiko“ gehen. Darfst nicht zimperlich sein. Musst ihn Dir quasi „erobern“. Ebenso rücksichtslos wie moralfrei. Die Chance ist da, Du brauchst nur nach ihr zu greifen. Dann bist auch DU im (Dollar-)Spiel.

„Nightcrawler“, wörtlich: „Nacht-Kriecher“, in der Medien-Branche auch „Blut-Filmer“ genannt. Nightcrawler sind nachts mit ihrer gierigen Kamera unterwegs, um all den Blut-Müll aufzuzeichnen, den eine Großstadt in der Dunkelheit bietet. Um ihn dann „frisch“ wie profitabel an das quotengeile Live-(Life-)Frühstücksfernsehen zu verscherbeln, damit der gute Bürger nach dem Aufstehen gleich mit „bester Nacht-Ware“ beliefert wird. Informiert wird. Blut, Dreck, Gewalt und die barbarischen Folgen, das ist der Stoff, bei dem die Quoten und die Werbeeinnahmen steigen. Natürlich immer mit dem stimmlichen Bedauern im Hintergrund, dass dies halt die Realität sei, was ja auch stimmt, und man eben aus Chronistenpflicht darüber informiere. Motto: So ist halt unsere gefährlich-schöne Drecks-Welt; nun iss‘ dein Brötchen, trink den Kaffee und ergötze dich an den „schönen Fleisch-Bildern“, die wir dir frei Haus liefern. Okay?: Basta. Amen.

Los Angeles. Heute. Der Typ sieht ausgemergelt aus. Am Rande der Schäbigkeit. Zugleich funkelt es in seinem Gesicht „doppelt“: Freundlichkeit gepaart mit etwas Unheilvollem. Noch nicht zu identifizierbarem Fiesen. Er heißt Lou Bloom. Und als wir ihn kennenlernen, hält er sich mit kleinen aggressiven Diebstählen über Wasser. Ist offenbar ein Solist. In dieser vibrierenden Region Los Angeles. Als er bei seinen nächtlichen Streifzügen mitbekommt, wie ein „freier Kameramann“ dabei ist, die Folgen eines besonders heftigen Unfalls „nah“ festzuhalten und er diese Schreckens-Bilder am Morgen im Frühstücks-TV sieht, ahnt er, dass dies seine Chance ist. Besorgt sich eine Kleinkamera, um selbst nachts auf Bilder-Jagd zu gehen. Hört in seiner Karre den Polizeifunk ab, um dann loszulegen. Anfangs noch etwas unbeholfen, dann aber immer „perfekter“. Denn er weiß, je drastischer seine Bilder sind und wirken, umso besser lassen sie sich verkaufen. Bei jenem lokalen TV-Sender, der gerade in einer Quoten-Flaute steckt und demzufolge nach der Ware des Lou Bloom giert. In Persona der Nachrichtenchefin Nina Romina (RENE RUSSO/“Die Thomas Crown Affäre“), die bald begreift, dass dieser neue „Mitarbeiter“ ein Juwel ist („Sie haben ein gutes Auge“). Denn DER geht „viel weiter“ als andere. Sorgt für sagenhaften „Nachschub“. Liefert d i e (gewünschten) allnächtlichen Blut-Motive, die sonst niemand „so“ (direkt) heranschafft. Ist schließlich sogar v o r der Polizei am Tatort, um „seine Aufnahmen“ zu bekommen. „Am besten schreiende weiße Frauen mit durchgeschnittener Kehle“, lautet die Vorgabe. Bloß nicht noch einen Schwarzen, der im Ghetto umgebracht wurde. Das ist überholt. Interessiert niemanden mehr.

Der Wohlstand winkt: Weil die Geschäfte wie geschmiert laufen, weil sich Lou (JAKE GYLLENHAAL) tüchtig „bewährt“, beginnt er mehr und mehr selbst, „die Regeln“ festzulegen. Lächelnd zu bestimmen. Besorgt sich einen Assistenten, den wohnungs- wie arbeitslosen Rick (RIZ AHMED), um ihn „anzulernen“. Und auszubeuten. Und setzt bei der weitaus älteren TV-Lady Nina auch private „Hebel“ an. Bewegte Bilder gegen Gefühls-Cash. Man gönnt sich ja schließlich emotional sonst nichts. Lou Bloom befindet sich voll und ganz auf dem „amerikanischen“ Erfolgsweg. Kennt nun gar keine Skrupel mehr. Es wird mörderisch.

Ich lehne mich aus dem (Film-)Fenster: Lou Bloom aus dem (Kino-)Jahr 2014 ist der Enkel von Travis Bickle (Robert De Niro) von 1976. Besitzt die innere Eiseskälte jenes „Taxi Drivers“ (von Martin Scorsese), der damals vom Schmutz New Yorks angewidert war und übel „reagierte“. JAKE GYLLENHAAL, am 19. Dezember 1980 in Los Angeles geboren, ist heute der gemeingefährliche, grinsende, vielfach unterschätzte Soziopath. Mit gefährlichem Businness-Plan. Der lakonisch über Leichen steigt, um diesen erfolgreich durchzuführen. Werte wie Angst, Anstand, Vorsicht, gar Rücksichtnahme oder Nächstenliebe zählen für und bei ihm nicht. Und „der Erfolg“ gibt ihm recht: Nur wer keine Scheu hat und kaltschnäuzig genug ist, jegliche ethischen Grundsätze zu missachten, darf sich „Gewinner“ nennen. Im heutigen Medien-Hype. Die „kleinen Schrammen“ unterwegs gehören halt dazu. Wichtig und wichtiger ist, im amerikanischen Dollar-System um jeden Preis mitzuhalten. Mitzumischen. Mitgefühl, Empathie, Moral-Grenzen…, albern. Überflüssig. Bringen doch nichts. Ein.

Jake Gyllenhaal, der für diese Rolle extrem abnahm, ist ein großartig präsenter, berechnender Hai der Großstadt. Los Angeles. Strahlt eine intensive Gemeingefährlichkeit aus, wie sie einst „Taxi Man“ Robert De Niro in den Siebzigern und im Jahr 2000 ein Christian Bale in „American Psycho“ (als teuflischer Investment-Banker Patrick Bateman) besaßen. Seine (Denk-)Brüder im tiefschwarzen amerikanischen Gesellschaftsgeist. Jake Gyllanhaal („Donnie Darko“; „Brokeback Mountain“; „Source Code“), der hier auch co-produzierte, zeigt sich erschreckend sanft-fies; sein Lou Bloom wirkt schleichend-grausam(er) und gleichsam reizvoll düster-abstoßend. „Ich wollte so richtig hungrig wirken“, beschreibt er seine „Identität“ mit dieser „freundlich“-zynischen Film-Figur („TV Digital“). Und verbreitet als Lou Bloom eine unbarmherzige, gnadenlose Seelen-Pest. Deren widerliche, aber keinesfalls unrealistisch anmutenden unmoralischen Beulen immer umfangreicher werden. Je länger er extrem aktiv ist. Eine „Oscar“-reife Leistung. Der vorläufige Höhepunkt in der Karriere des 33jährigen JAKE GYLLENHAAL.

Unbedingt zu erwähnen. Diese atmosphärischen, „geruchsintensiven“ Rotlicht-Bilder des nächtlichen Los Angeles von „Oscar“-Kamera-Preisträger ROBERT ELSWITT („There Will Be Blood“). Drehbuch-Autor und Rene Russo-Ehemann DAN GILROY („Das Bourne Vermächtnis“) hat mit seinem ersten Regie-Film – zumeist entstanden „lifehaftig“ vor Ort, mit niedrigem Budget (8,5 Millionen Dollar) an schnellen 25 Drehtagen bzw. L.A.-Nächten – ein packendes Meisterstück abgeliefert. Als böse Menschen- und tiefgründige Medien-Parabel. Mit erheblicher Außen- wie Nachhall-Wirkung. Und einem spannenden Aktualitätsgeschmack, der phantastisch-bitter aufstößt (= 4 ½ PÖNIs).

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