NADER UND SIMIN – EINE TRENNUNG

NADER UND SIMIN – EINE TRENNUNG“ von Ashgar Farhadi (B+Prod. + R; Iran 2010; K: Mahmood Kalari; M: Sattar Oraki; 123 Minuten; Start D: 14.07.2011); ist ein gewaltiges, ist ein wunderbares Werk, das im diesjährigen BERLINALE-Wettbewerb DER überragende Beitrag war. Zurecht mit dem „Goldenen Bären“ als „Bester Film“ ausgezeichnet und mit beiden „Silbernen Bären“ für die „Beste Ensemble-Arbeit“ sowohl bei den Darstellerinnen als auch für die Darsteller prämiert wurde. Es ist der 5. Spielfilm des 1972 in Isfahan/Iran geborenen Ashgar Farhadi. Wobei auch schon sein vorletzter, „Alles über Elly“, ein sensibles Ausflugsdrama, bei der Berlinale von 2009 im Wettbewerb gezeigt und mit dem „Silbernen Regie-Bären“ bedacht wurde.

„Nader + Simin“ ist ein gesellschaftspolitisch motiviertes subtiles Psycho-Drama. Mit bzw. von hoher Spannungsqualität. Außen wie vor allem Innen. Dargeboten von einem überragenden Ensemble. „Innen“ = Brisanz. Im iranischen Heute. Der simple, aber „explodierende“ Titel: Ein Paar will sich scheiden lassen. Das heißt korrekter – SIE will sich von IHM trennen. Möchte mit der 11jährigen Tochter das Land verlassen. Ausreisen. Wie lange und wohin wird nicht präzisiert. Die Genehmigung ist vorhanden. Doch der Pass läuft demnächst ab. Also ist Eile geboten. Was ihm nicht passt. Denn Nadir möchte seinen an Alzheimer erkrankten pflegebedürftigen Vater nicht alleine zurücklassen. Simin leitet daraufhin die Scheidung ein. Die Tochter ist zwiegespalten. Hin- und hergerissen in ihren Gefühlen. Möchte bei ihrem Vater bleiben, möchte aber auch die Mutter nicht „verlieren“. Währenddessen hat Nader eine (ungelernte) Pflegekraft für seinen Vater eingestellt. Was sich bald als „problematisch“ herausstellt. Schließlich als SEHR problematisch. Denn als DIE einmal aus privaten (Schwangerschafts-)Gründen den Alten kurzzeitig verlässt, eskaliert das Geschehen. Das Gericht wird bemüht, ein Richter tritt auf. Der juristische Kreislauf. Innerhalb des Systems. Die wechselnden Positionen. Die Merkmale der ständigen physischen wie seelischen Unruhe. Gemeint: Eine Gemeinschaft im Wandel. Im Wandlungsprozess.

„Außen“ = Blicke. Auf die Menschen. Auf die Bewegungen. Auf „die Abläufe“. Im heutigen Iran. Auf eine „hochinteressante“ Gesellschaft zwischen Tradition und Moderne. Auf Familien aus Mittel- und Unterschicht. Sowie: Auf die vor allem über allem stehende Dauerfrage, warum denn überhaupt eine „klügere“ Familie das Land zu verlassen beabsichtigt.
Spannend ist DAS. Aufregend. Bisweilen wie ein Klasse-Krimi. Diese Schilderung zwischenmenschlichen Aufeinandertreffens. Aufeinanderprallens. Ohne reißerische Effekte, aber sehr atmosphärisch. Denk-Berührend. Nahegehend. In Personen und Betrachtung. „Nader + Simin“ ist ein Film, in dem „die Strassen“ „reden“. Wo die Architektur, die Autos, im Stau, diese langen Gänge, das Herumwuseln der aufgebrachten oder resignierten, der geforderten, überforderten Menschen „Bände“ sprechen. Diese vielen ständigen fließenden „Bewegungen“. Die das Innen deutbar, sichtbar werden lassen. Was „woanders“ als normal, dazugehörig, selbstverständlich gilt, wird und wirkt hier im iranischen Heute doppelbödig. Symbolhaft. Verklausuliert. Nah. Dicht.

„Der Wunsch, modern zu leben, ist sehr groß“, sagte der Autor und Regisseur bei der Berlinale. Und, in Anspielung auf seinen Kollegen Jafar Panahi, der im Iran zu Haft und Berufsverbot verurteilt wurde und nicht zur Berlinale in die Jury kommen durfte: „Ich bin kein Held, ich bin Filmemacher. Wenn ich etwas zu sagen habe, sage ich das durch meine Filme“. Also unterließ er allzu deutliche Solidaritätsbekundungen im Frühjahr. Trotzdem – sein Film spricht FÜR ihn. Spricht eine ebenso deutliche wie großartige Denk- und Seelen-Sprache. Filmsprache. Spannungssprache. Anspannungssprache. Vor allem aber auch – ein jederzeit glaubwürdiger, überzeugender Emotionausdruck. In Sachen Orientierung. Moral. Möglichen, also machbaren Lebensphilosophien. Umgangsnormen. Umgangsformen. Im modernen Iran. Ohne ideologisch „die Fahne“ zu bemühen. Ohne großspurige Ausrufungszeichen. Ohne dicke Kraftmeierei. Und dennoch spannend als Gesellschaftsthriller. Mit genauso vielem tollem Unterhaltungs- wie Denkfaktor. Dank großartiger, intensiver Darsteller-Akteure.

„Nader und Simin – Eine Trennung“ ist ein in JEDER Hinsicht beeindruckendes, Bauch wie Kopf gleichermaßen exzellent füllendes Meisterstück von sattem, hervorragendem inspirierendem KINO (= 5 PÖNIs).

P.S.: ASHGAR FARHADI lebt derzeit und in den nächsten Monaten in Berlin. Zusammen mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern. Für ein halbes Jahr ist er Stipendiat des Berliner Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Farhadi will hier an einem neuen Spielfilm arbeiten.

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