PÖNIs: (3/5)
„MY ZOE“ von und mit Julie Delpy (B + R; GB/F 2018; K: Stéphane Fontaine; 100 Minuten; deutscher Kino-Start: 14.11.2019).
Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug
Wie weit darf der Mensch mit seiner Wissenschaft gehen? Ist es ihm erlaubt Gott zu spielen? In den Kreislauf des Lebens einzugreifen? Ihn zu verändern? Ihn umzukehren? Dieser Frage geht der neue Film MY ZOE von Autorenregisseurin Julie Delpy nach. Ihre mittlerweile siebte Arbeit als Spielleiterin (darunter u.a. „2 Tage New York“; 2012).
Isabelle (JULIE DELPY), leidenschaftliche Biologin und: Mutter. Lebt in frischer Scheidung zu ihrem dominanten Ex-Ehemann James (RICHARD ARMITAGE; ungewohnt un-bärtig im Vergleich zu seinem Zwergenkönig Thorin aus der „HOBBIT“-Trilogie; 2012-2014). Was als Trennungsdrama beginnt, gelangt bald in viel traurigere Tiefen, als deren gemeinsame Tochter Zoe (SOPHIA ALLY) einen schrecklichen Unfall erleidet. Und stirbt. An die Stelle der eigenen Ego-Verletzungen durch die gescheiterte Beziehung tritt eine obsessive (krankhafte) Liebe. Über den Tod hinaus. Der durch die Organspende der Kleinen noch einen mitmenschlichen „Sinn“ erlebt. Aber Isabelle kann und will das Schicksal trotzdem nicht verwinden. Sie kämpft dagegen an. Eine überspannte Besessenheit, die sie schließlich nach Moskau führt. Zu einem Genetiker, der das Unmögliche möglich machen soll.
Die sonst eher im Genre der Romantikkomödie (wie „Lolo – Drei ist einer zuviel“; 2015) agierende 49-jährige Französin begibt sich hier, nach einem kurzen Horror-Intermezzo 2009, als sie die vampiristische Blut-Edeldame Erzsébet Báthory in „Die Gräfin“ verkörperte (s. Kino-KRITIK), auf ungewohnte Pfade. Damals wie heute an ihrer Seite der deutsche Hollywood-Abkömmling DANIEL BRÜHL als in Russland praktizierender Arzt Thomas, welcher Zoe zurück ins Leben klonen soll. Wer jetzt aber glaubt, es handle sich um einen Science-Fiction-Film, irrt gewaltig. Mit einem unfassbaren Realismus erzählt die Hauptdarstellerin, Drehbuchschreiberin und Inszenatorin von einem Thema, das sie, laut Selbstaussage, schon über 20 Jahre lang eindringlich beschäftigt. Raumschiffe, Überlebenskapseln, Apparaturen zum Hochbeamen … sucht man hier vergeblich. Die spürbar kalte, nahende Wirklichkeit wird nur durchbrochen von klappbaren Uhren oder zerknüllten Bildschirmen. Eine Technik, die durchaus greifbar ist. Vorstellbar. Eben wie dieses umstrittene Verfahren des Klonens. Bei Schafen wurde es bereits angewandt. Für Haustiere bei der Firma „Sooam Biotech“ in Seoul gehört es schon zum Alltagsgeschäft. Wie klein ist der Schritt aktuell noch zu uns Homo sapiens? Und mit welchen Folgen? Was ist mit der „Seele“ … ist s i e überhaupt reproduzierbar? Künstlich? Wo beginnt und wo endet: Verantwortung…
Der Film an sich glänzt weder durch eine geniale kunstvolle Machart, noch durch virtuose Schauspieler, deren ständige, unterschwellige Aggressionen eher belasten, als emotional berühren. Was bewegt ist sein Thema, das uns als Zusehende immer wieder konfrontiert. Zu einer eigenen inneren Haltung gegenüber „dem da“ auf der Leinwand zwingt. Das eben keine abwegige „Future-Fantasie“ à la „Der 200 Jahre Mann“ mit Robin Williams (1999; R: Chris Columbus) präsentiert. Sondern das (Nicht-)Los-Lassen-Können fokussiert. Das Unausweichliche aufweicht. Und die denkbaren Optionen aufzeigt, welche uns der wissenschaftliche Fortschritt bald bieten wird. Etwas, das die größte Angst der Menschheit besiegen könnte. Kann. Endlich zu sein. Sterben zu müssen. Wir sollten darüber sprechen. Schnell. Denn allzu lange wird es nicht mehr dauern, dann machen wir Urlaub auf dem Mars und spielen Frankenstein auf der Erde. Delpy allerdings, schließt mit einer sehr schalen Provokation. Gibt eine Antwort, deren dargestelltes Familienbild die Brisanz am Ende etwas verwischt. Schade. Relevant bleibt das Werk dennoch allemal. Und so frage ich Sie: Wie würden Sie entscheiden? (= 3 „Carrie“-PÖNIs; …besorgt über die kommende Hybris der Gesellschaft.)