„MR. NOBODY“ von Jaco Van Dormael (B+R; Fr/Belg/Kanada/D 2009; 139 Minuten; Start D: 08.07.2010); der heute 53jährige belgische Autor sowie Theater- und Filmregisseur hat mit nur zwei Filmen einen „besonderen Cineastenplatz“ begründet: Sein Debütfilm „TOTO, DER HELD“ von 1991 begeisterte als brillante Persönlichkeitsstudie über die verpassten Chancen im Leben eines Mannes; wurde bei den Filmfestspielen von Cannes als „Bester Erstlingsfilm“ prämiert und erhielt zahlreiche weitere Auszeichnungen wie z.B. den „Charlie Chaplin Award“ beim Festival in Edinburgh sowie den „Europäischen Filmpreis“ als „bester junger Film“, für das „beste Drehbuch“, die „beste Kamera“ und für Michel Bouquet als „besten Darsteller“. „AM ACHTEN TAG“ von 1996 erzählte von der ungewöhnlichen Begegnung und Freundschaft zwischen einem Bankmanager, einem Workaholic, mit einem behinderten jungen Mann mit Down-Syndrom. Die beiden Hauptdarsteller DANIEL AUTEUIL und PASCAL DUQUENNE wurden in Cannes mit der „Goldenen Palme“ als „Beste Darsteller“ bedacht. Der Film wurde für den Auslands-„Oscar“ nominiert und erhielt den „Golden Globe“ als „bester Auslandsfilm“.
Nach 14 Jahren taucht Jaco Van Dormael mit seinem 3. Werk auf. Es ist eine verwobene, poesievolle, faszinierende, spannende Menschen-Geschichte um die ewige Schicksalsfrage – was wäre wenn…man im Leben so manche Entscheidungen „anders“ gefällt hätte? Wenn manche Bewegungen nicht in DIESE, sondern in JENE Richtung geführt hätten? Hin zu anderen Menschen, Themen, Begebenheiten, Regionen? Wenn die Emotionen mehr DORTHIN anstatt HIERHER hochgekocht wären? Ein entscheidendes Gespräch „anders“ verlaufen wäre? Der ewige triviale Zufall. Was wäre dann passiert/gewesen???
Existenzielle Identitätsfragen mit viel Charme und Erkenntnissen. Aber zunächst: Wir schreiben das Jahr 2092. Die Menschheit hat es „gepackt“ in Sachen endlose Zellenerneuerung, endloses Leben. Die Wissenschaft hat den Tod endgültig besiegt. Der allerletzte Sterbliche wird gerade 118 Jahre alt. Nemo Nobody. Und erinnert sich an sein Leben. Das heißt, er versucht es, bemüht sich. Aber immer wieder kommen, tauchen Gedanken auf, die von verschiedenen Sichtweisen, Betrachtungen, Entscheidungen handeln. Was ist wahr? Was nicht? Was ist Traum, was Wunsch, daß es „so“ (besser) gewesen wäre???
Der junge Nemo. 9 Jahre alt. Am Bahnhof. Die zerstrittenen Eltern. Wohin soll die Richtung gehen? Beim Papa bleiben? Oder mit der Mama mitfahren? Dormael unterbricht kunstvoll. Ein alter Mann und seine Erinnerungen, ein Kind mit Zukunftsängsten. Die „entscheidenden“ 3 Mädchen, Frauen: Die kühle Anna (Diane Kruger); die schwermütige Elise (Sarah Polley); die aktive Jeanne (Linh-Dan Pham). Der alte Nemo läßt den Jungen alles „ausprobieren“. Spielt die „Möglichkeiten“ durch. Während ein völlig aufgelöster Journalist am Greisen-Bett anno 2092 verblüfft zuhört. Von einer Zeit erfährt, die längst Vergangenheit ist. Oder? Und am Ende…..
„Das Leben ist voller Löcher, voll sinnloser Szenen und zufälliger Entscheidungen, und es bewegt sich unausweichlich auf den Tod zu. Das macht es so schön“, erläutert Jaco Van Dormael im Presseheft. Und hinterlässt einen rätselhaften, ironischen, angenehm-intelligenten wie geistreich-surrealen Sinn- und Such-Film. Mit viel atmosphärischem Zeit- und intensivem farblichem Personen-Symbol-Geschmack wie Rot-Blau-Gelb-Weiß. Als virtuose visuelle Identitätsbeschreibung. Das in 26 Wochen an vielen internationalen Drehorten, mit einem Budget von 32 Millionen EURO realisierte reizvolle Menschenpuzzle besitzt mit JARED LETO einen phantastischen Alt-/Jung-Hauptakteur. Der 38 jährige amerikanische Schauspieler („Requiem for a Dream“) und Gitarrist und Sänger (der Musikgruppe „30 Seconds to Mars“) bietet eine grandiose Verwandlungsfähigkeit und packende Charaktertiefe. Eine vorzügliche Darstellung. In einem wunderbaren Erlebnis-Movie: „Mr. Nobody“, das sind wir alle. Jeder von uns, wo und wie immer auch tickend (= 4 PÖNIs).