„MITTWOCH 04:45“ von Alexis Alexiou (B + R; Griechenland/D 2015; K: Christos Karamanis; M: Yannis Veslemes; 116 Minuten; Start D: 04.02.2016); „So lange man blutet, so lange ist man am Leben“: Quentin Tarantino wird dieser faszinierende Außenseiterfilm garantiert gefallen.
Griechenland heute. Das Fernsehen berichtet ständig von Aufruhr, über Unruhen, von der gesellschaftlichen wie politischen Dauernervosität im Land. Wo der Mittelstand, die Säule jedes demokratischen Gemeinwesens, am Zusammenbrechen ist. „Die Welt steht Kopf, und ich stehe Kopf mit“: Familienvater Stelios (STELIOS MAINAS) hat vor vielen Jahren seine Berufung gefunden. Der Jazz-Liebhaber betreibt in Athen seinen eigenen Live-Club und freut sich, wenn er immer wieder neue internationale Talente präsentieren kann. Doch die Besucherzahlen stagnieren. Die Menschen haben offensichtlich derzeit andere Interessen als am allabendliche Club-Vergnügen. Sind einfach von den allgemein-belastenden Zuständen erschöpft. Für „intellektuelle“ Jazz-Lust und einfühlsame Blues-Stimmung besteht nur noch begrenzte Lust. Der beliebige Pop dominiert. Im Bauch wie im Kopf.
Stelios hat sich vor einiger Zeit von einem Rumänen (MIMI BRANESCU) Geld geliehen. Um seinen Club zu renovieren. Auf Vordermann zu bringen. Als die Finanzkrise Griechenland erreicht, trifft es auch ihn. Und sein Business. Stelios kann die Raten nicht mehr zurückzahlen. Steckt in Schwierigkeiten. Vernachlässigt schon seit geraumer Zeit seine Familie, um sein Lebenswerk zu retten. Muss jetzt schnell und irgendwie das Schulden-Geld auftreiben. An Schlaf ist im Moment nicht zu denken. Der Dauerstress zehrt mächtig an den Nerven. Stelios „peppt“ sich auf, um das Überleben zu sichern. Um nicht abzudriften. In diesen Zeiten, wo das Motto lautet: Schafe zu den Schafen, Wölfe zu den Wölfen.
„Point Blank“. Von John Boorman. Dieser Ausnahme-Thriller von 1967. Mit Lee Marvin. Als wortkarger Walker-Rächer. Und dieses unvergessene Motiv: Walker geht mit schnellen wie lauten Schritten einen unendlich scheinenden langen Gang entlang. Sein „konsequentes“, furchteinflößendes Auftreten bestimmt den bellenden Rhythmus. Ein packender Moment in der Genre-Filmgeschichte. Wie hier. Wieder tönen diese wummernden Schritte. Als unheilvolles Signal. Für Stelios. Denn die Finanzkrise hat auch die griechische Unterwelt aufgescheucht. Und bedroht nun massiv seine Existenz. Nur noch ein paar Stunden bleiben ihm, um sein Leben und das seiner Familie zu retten. Stelios muss sich auf eine „Schmutzigkeit“ einlassen, die er weder gewollt hat noch eigentlich zu beherrschen in der Lage ist.
Eine Gesellschaft. Die sich nur noch zwischen „Den Nutzlosen“ und „Den Hungrigen“ unterscheidet. Stelios will auf keinen Fall zum „Nutzlosen“ werden.
„MITTWOCH O4:45“ erinnert zeitweise an die bedeutsamen französischen Gangsterfilme der Siebziger und Achtziger. Als Jean-Pierre Melville („Der eiskalte Engel“) oder Jacques Bral („Polar – Unter der Schattenlinie“) mit ihren düsteren wie melancholischen Noir-Unterwelt-Balladen vom Blues des Milieus erzählten. 2015/2016 aber ist alles „einen Gemein-Zahn schärfer“. Der Blues beinhaltet jetzt Alarm-Charme. Weil man nicht mehr „unter sich“ ist, sondern „die Zustände von draußen“ heftig einwirken. Inflation, Unsicherheit, Armuts-, also Verliererängste, Folge-Gewalt. Untereinander herrschen nur noch barsche Töne. Jeder gegen jeden. (Selbst, wenn du nur kurz mal einen Parkplatz beanspruchst). „Mittwoch 04:45“ erzählt in der spannenden Filmsprache eines fiebrigen Thrillers von den vielschichtigen, hintergründig-motivierten Überlebensstrampeleien eines „an sich“ unbescholtenen Mannes. Eines griechischen Bürgers. Dessen Ambitionen und Hoffnungen plötzlich in Frust und Selbstzerstörung umschlagen. Mit bitterem Sarkasmus wirft dieser packende, brillante Spannungstreifen einen tiefen Blick in die sich auflösende Seele eines Kapitalismus-Landes, dessen Geld-Glauben sich gerade auflöst. Wirtschaftliche wie familiäre Strukturen fallen auseinander; die Stabilität kriegt allerorten mächtig Risse.
ATHEN. Das ehemalige Film-Paris. Eine europäische Metropole. Ihre Agonie und hitzige Paranoia ist filmisch bisher kaum einmal so direkt und packend sicht- und deutbar geworden. Athen. Mit dieser labyrinthischen Architektur, die sich von den lärmenden Innenbezirken bis hin zur desolaten Peripherie erstreckt. Athen, so zeigt es dieser außergewöhnliche und atmosphärische Kriminalthriller, ist ein unerforschtes filmisches Terrain.
„MITTWOCH 04:45“ von Drehbuch-Autor und Regisseur ALEXIS ALEXIOU zählt zu den besten Genre-Filmen unserer Zeit und bedarf dringend der „Entdeckung“ (= 4 ½ PÖNIs).