MEEK’S CUTOFF

PÖNIs: (4,5/5)

In dieser Woche gilt es sowohl für das Heimkino wie auch für das „Original“-KINO „draußen“ eine großartige amerikanische Filmemacherin zu entdecken: KELLY REICHARDT. Die 1964 in Miami/Florida geborene Drehbuch-Autorin, Regisseurin und für den Schnitt ihrer Filme Verantwortliche ist bevorzugt in der US-Independent-Scene tätig. Wer sie ist, was sie bisher gemacht hat und wie sie nun in den „umfangreicheren“ KINO-Brennpunkt gerückt ist, werde ich innerhalb der Kino-KRITIK zu ihrem neuesten Film „NIGHT MOVES“ in dieser Woche veröffentlichen. Diesen hiesigen bedeutsamen Kino-Start aber möchte ich zum Anlass nehmen, sie für das Entdecker-Kino-Zuhause mit einem früheren Filmwerk vorzustellen, das ich für ein außergewöhnliches Meisterstück im eigentlich „ausgepflückten“ Genre WESTERN halte:

„MEEK’S CUTOFF“ von Kelly Reichardt (USA 2010; B: Jonathan Raymond; K: Christopher Blauvelt; M: Jeff Grace; Original mit deutschen Untertiteln; 102 Minuten; deutscher Kino-Start: 10.11.2011; DVD-Veröffentlichung: 30.09.2013).

In den USA „tobten“ sich die Kritiker hieran aus; Stichwort: Langeweile im Film. Die einen behaupteten, dieser Film sei eine unerhörte Strapaze, andere wiederum sahen hierin einen authentischen Spannungsmoment wie kinematographisch ganz selten. „SPIEGEL Online“ bezeichnete „Meek’s Cutoff“ bei uns damals (zum Kino-Start im November 2011) als „atemberaubend langweilig“. In der Tat, dieser Film ist sagenhaft „ruhig“. Für einen Western. Lässt sich in einem Satz thematisch formulieren: drei Familien verirren sich plus eigentlich ortskundigem Führer 1845 im Westen Amerikas auf der Suche nach einer „neuen Heimat“. Die Geschichte ist „annähernd“ wahr, und die vermeintliche Eintönigkeit entwickelt hier eine fulminante, explosive Gedanken-Spannung.

Historie: 1837 wurde in Amerika aus politischen Gründen eine Kampagne zur Besiedlung des Westens Amerikas gestartet. Man hoffte, dass sich durch Auswanderungen die sozialen Wirtschaftsprobleme im Osten mindern ließen. Außerdem sollten möglichst viele Amerikaner nach Oregon ziehen, damit die Einwohnerzahl DIE der Briten übertraf und der Staat dadurch „amerikanisch“ würde.

1845 heuert ein kleiner Treck mit drei Familien den Trapper Stephen Meek (BRUCE GREENWOOD) an, um sie durch die Rocky Mountains zu führen. Ihr Trupp umfasst, einschließlich Meek, acht Personen. Darunter drei Frauen und ein kleiner Junge. Stephen Meek sieht um die Haare aus wie ein verwilderter Rasputin. „Ein Mann von hier muss sich so abheben“, lautet sein Gesichtsmotiv. Und auch sonst weiß er sich verbal „gut in Positur“ zu setzen. Vermag von „heißen Abenteuern“ zu berichten und sich später mit siegreichen Kämpfen gegen Indianer zu brüsten. DIE für ihn nur gefährlicher unmenschlicher Müll sind und sofort umgebracht gehören, sobald man ihrer habhaft wird. Doch dann sind Zweifel an seinen Fähigkeiten erlaubt, künftige Siedler sicher zu ihrem Ziel zu geleiten.

Meek gibt vor, eine Abkürzung zu kennen, führt die Gruppe auf unmarkierten Wegen über die Hochebene, bis sie sich schließlich in der Felsenwüste verirren. Die Wasservorräte gehen langsam wie bedrohlich zur Neige und die Familien begegnen Stephen Meek mit immer größer werdendem Misstrauen. Ein Indianer kreuzt ihren Weg. Während Meek ihn sofort umbringen will, beschließen die Anderen ihn „zu benutzen“. Als Einheimischen. Obwohl eine sprachliche Verständigung mit ihm nicht möglich ist. Oder nur ganz gering. Vielleicht vermag er ja ihnen den Weg zum Wasser zu zeigen. Oder sie dorthin zu bringen. Schließlich gilt es, eine Entscheidung zu fällen: Soll man mit diesem „Wilden“ weiterziehen oder einem „der Unsrigen“ weiterhin vertrauen, der sich inzwischen als zutiefst unzuverlässig erwiesen hat.

Ein faszinierender Road Movie-Western. Die Reise ist das Thema, nicht das gemeine Duell. Keine Hektik, kein Spektakel. Nichts von blindem Aktionismus. Gerangel. Heldentum. Edelmut. Ganze zwei Schüsse fallen. „Meek’s Cutoff“, also „Meeks Abkürzung“, setzt auf: verständliche, nachvollziehbare Empfindungen. Kelly Reichardt und ihren (inzwischen ständigen) Drehbuch-Autoren Jon Raymond interessieren nicht „Show“ und Krawall, sondern die packenden An-Spannungen innerhalb einer Gruppe. Die sich aufgemacht hat, um ein sorgenfreieres amerikanisches Leben führen zu können. Und dabei sehr viele, körperliche wie seelische Strapazen in dieser (brauntönigen) Ödnis auf sich nimmt. Ohne diese zu heroisieren, werden die Untereinander-Gespräche, die körpersprachlichen Bewegungen, die Original-Geräusche zu ungeheuer intensiven, hochinteressanten und sehr unterhaltsamen An-Sichten. Emotionen.

Das Quietschen der strapazierten Räder der Kutschen, das Pfeifen des Windes, die Bewegungen der langen Kleider der Frauen (wie bei den „Mäntel“-Männern in den Leone-Western), die spürbaren Schmerzen unter der heißen Sonne in dieser endlosen Dürre. „Ich lebe mit dieser Welt, nicht nur in ihr“, weist Emily (MICHELLE WILLIAMS/“Brokeback Mountain“; „Shutter Island“) Besserwisser Meek einmal gedanklich in die Schranken. Hier sind keine Klischeekino-Holzköpfe auf ihrem Typen-Weg, sondern sich ihrer prekären Situation bewusste „echte“ Menschen, die eine „Versklavung“ durch ihren Leiter nicht (länger) dulden. Die „Wissen“ auch sorgsam (und nicht überladen-hysterisch) zu formulieren verstehen. Vor allem die Frauen. Die sich lange Zeit zurücknehmen, stoisch ihr benötigtes „Handwerk“ verüben, um das gemeinsame Vorhaben nicht zusätzlich zu belasten, die aber DANN, als es darauf ankommt, sich eindeutig positionieren. Die Kräfte der Geschlechter verlagern sich.

Dieser einzigartige bildersprachliche = hochatmosphärische Minimalismus von Kelly Reichardt ist begeisterndes meditatives SpannungsKINO. Ergreifend wie konsequent in dieser stilistischen Suspense und auch in der musikalisch „vorsichtigen“, unterschwelligen An-Stimmung grandios an- wie aufregend. Als poetisch-wahrhaftige Reflexion über die Konfrontation des Menschen mit einer jahrhundertealten, für ihn lebensfeindlichen Natur und Umwelt. Die den Menschen überhaupt nicht „brauchen“, schon gar nicht „nötig“ haben, umso mehr aber der Mensch sie. Deshalb dringt er in sie hinein und breitet dabei sogleich genüsslich, in der Gestalt des „Verkünders“ Stephen Meek, auch lauthals seinen „Chef-Anspruch“ aus: seinen Rassismus. Ich bin wert, der da gar nichts. Also weg mit DEM. Sage ich – als Entscheider über Leben und Sterben. Der Faschist.

„Meek’s Cutoff“ ist ein äußerst kluger Film. Und dabei WUNDERBAR lustvoll zum (Mit-)Denken geeignet. Es wurde allerhöchste Zeit KELLY REICHARDT filmisch kennenzulernen. Und anzuerkennen (= 4 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „absolut Medien“

Teilen mit: