DER MARSCH

„Die Realität überholt die Fiktion“, kommentierte das ARD-„Nachtmagazin“. „Ein visionärer Film“, war in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ zu lesen. Über eine BBC-Produktion aus dem Jahr 1989, die am 19. Mai 1990 von der ARD erstmals ausgestrahlt wurde. 1992 kam sie hierzulande auf Video heraus, bevor sie jetzt – weil packend-aktuell – wieder beziehungsweise neu entdeckt wird:

DER MARSCH“ von David Wheatley (GB 1989; B: William Nicholson; K: John Hooper; M: Richard Hartley; 93 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 04.12.2015).

Seit mehr als fünf Jahren hat es in der Region nicht mehr geregnet. In weiten Teilen des Sudans ist eine ökologische wie humanitäre Katastrophe ausgebrochen. Die Menschen dort haben nur zwei Möglichkeiten: entweder wegzugehen und nach Überlebensmöglichkeiten zu suchen oder zu sterben. Sie heißt Clare Fitzgerald (JULIET STEVENSON, deutsche Stimme: Karin Anselm), stammt aus Irland und ist als EU-Kommissarin in Brüssel für „Entwicklung“ zuständig. Reist zu den hungernden Menschen, sieht und erlebt die Armut vor Ort, beschließt, sich vehement für „Änderungen“ einzusetzen. Doch die Bürokraten und die Bürokratie in Brüssel sperren sich gegen schnelle Hilfe. Zu viele Millionen wären bereits ausgegeben, ohne dass sie in Afrika zu Veränderungen der Zustände geführt hätten. „Afrika“ trage wegen seiner „unsicheren“ Politik und seiner diktatorischen Politiker Mitschuld. Clare Fitzgerald versucht verzweifelt zu vermitteln.

„Wir haben keine Namen, wir sind ohne Bleibe, aber wir haben einen Traum; wir marschieren nach Europa!“ Isa El-Mahdi (MALICK BOWENS), ein gebildeter Sudanese, beschließt mit einer Gruppe verzweifelter Menschen, den langen Marsch zu wagen. Durch Libyen, Algerien und Marokko. 3000 Meilen, 4800 Kilometer, bis zur Küste, um dann mit Booten nach Spanien überzusiedeln. Dabei werden sie immer mehr, schließen sich ihnen immer mehr Flüchtlinge an. Schließlich sind etwa eine Viertelmillion Menschen unterwegs: „Wir glauben, wenn ihr uns vor euch seht, werdet ihr uns nicht sterben lassen. Deswegen kommen wir nach Europa. Wenn ihr uns nicht helft, dann können wir nichts mehr tun, wir werden sterben, und ihr werdet zusehen, wie wir sterben“.

Die Medien werden aufmerksam. Ihre Berichte lassen „die afrikanische Bewegung“ zu einem Politikum werden. Während „Europa“ eine „Sicherheitsbrigade“ mobilisiert, beschließt der afroamerikanische US-Präsidentschaftskandidat Marcus Brown (JOSEPH MYDELL/mit der deutschen Stimme von CHRISTIAN BRÜCKNER) den Marsch für seine Wahlkampfzwecke ausnutzen und setzt auf eine gigantische öffentliche TV-Show. Mit Isa El-Mahdi als charismatischem Anführer. Dem „Gandhi“ von Afrika. Die EU beginnt langsam, über einen „Marshall-Plan für Afrika“ nachzudenken. Aber immer schön sachte. Bloß keine Eile. Dabei warnen inzwischen Fachleute: „Dieser Marsch ist Symbol einer neuen Realität“. Denn „Afrika ist nicht mehr so weit weg, kommt uns immer näher“.

Diese eindringlichen Bilder. Der Massen. Der Opfer. Die sich weigern, weiterhin und unbeachtet „einfach so“ „zu sterben“. Die ihr Schicksal jetzt selbst zu bestimmen gedenken. Egal, wie schwierig. Egal, wie strapaziös. Egal, was dabei schließlich herauskommt. Aber zu diesen Motiven hören wir Frage-Sätze und Kommentare von 1990, die sich wie Anklagen von 2015 anhören. Von wegen: 80% der Welt-Energie werden verbraucht von 20% der Weltbevölkerung. Was nichts anderes bedeutet, ist, als eine „globale Apartheid“. Wie lange noch sollen ¾ der Welt hungrig sein, während der Rest fetter wird? Oder: Warum habt ihr so viel und wir so wenig? Seid ihr bessere Menschen? Habt ihr so viel getan, dass ihr MEHR verdient? Sagt uns das, und wir werden das Gleiche tun. Die Überschrift aber liefert ein Satz, der zeitlos wie brand-aktuell im politischen wie gesellschaftlichen Raum rotiert: „ICH DENKE, WIR SIND ARM, WEIL IHR REICH SEIT“.

Clare Fitzgerald, die EU-Kommissarin, wendet sich in ihrem Schlusswort direkt an Isa El-Mahdi sowie damals, 1990, auch an uns: „Wir brauchen euch wie ihr uns braucht. Wir können nicht weitermachen wie bisher. Ihr könnt uns helfen, die Zerstörung aufzuhalten, die wir anrichten. Aber wir sind noch nicht bereit für Euch (= ein Satz, der während des Films öfters fällt), ihr müsst uns noch mehr Zeit geben“.

2015 scheint die Wartezeit endgültig ab- = ausgelaufen. Wir haben so weitergemacht wie all die Jahre vor 1990, im Gegenteil, wir haben die Erde immer noch mehr ausgebeutet, geschändet, teilweise ökologisch und kriegerisch unbewohnbar gemacht. Derzeit werden die vielen Rechnungen endgültig fällig. Ob wir sie bezahlen? Wollen? Können? Mögen?

„Der Marsch“ ist ein 25 Jahre alter, wichtiger und mehr denn je aktueller, spannender Berührungs- und Denk-Film. Die dringende Empfehlung gilt !!!!!(= 4 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „Busch Media Group“.

 

Teilen mit: