MANN BEISST HUND

PÖNIs: (5/5)

Selten war ein deutscher Film-Titel präziser als der Originale. Der lautet nämlich übersetzt: “Es geschah ganz in unserer Nähe“ und trifft beileibe nicht den thematischen Kern so wie:

„MANN BEISST HUND“ von Rémy Belvaux, André Bonzel und Benoît Poelvoorde (B + R; Belgien 1992; K: André Bonzen; M: Jean-Marc Chenut, Laurence Dufrene; 96 Minuten; Schwarz-Weiß; deutscher Kino-Start: 25.03.1993; Video-Start: 03.11.1997).

So heißt eine schwarz-weiße belgische Produktion von 1991, die für nur 3 Millionen Franc hergestellt und erfolgreich auf einigen internationalen Festivals gezeigt wurde. Achtung: Dieser Film verdient das Prädikat: “Hass!“. Denn er reproduziert so viel “Reales“ in Anführungszeichen von Heute, dass einem vor lauter Staunen a) das irre Lachen im Halse steckenbleibt und b) die grässlichen Bilder faszinieren. In den Kopf knallen. “Mann beißt Hund“ handelt davon, wie selbstverständlich unnormal und unmoralisch, wie selbstverständlich gewalttätig unsere Welt, unser Dasein geworden ist. Der Ausgangspunkt ist ein Film. Einer von der üblen Sorte: “Reality“, also “Wirklichkeit“. Ein 3-köpfiges Filmteam dreht eine Langzeitdokumentation. Mit einem Selbstdarsteller aus Leidenschaft. Mit einem jungen Burschen, der sein Hobby zum begeisterten Beruf gemacht hat. Er heißt Ben und ist Berufsmörder. Aber keiner von und für die Mafia, nein, nein. Ben würde nie “einen Großen“ umbringen, das sorgt nur für Aufsehen und würde schnell die Polizei alarmieren. Sein Vergnügen und Broterwerb ist es, “normale“, einfache, kleine Leute umzubringen: Die Oma in der Sozialwohnung, den Taxifahrer im Auto, die unbekannte Frau im Zug. Dabei gibt sich Ben gerne “kultiviert“. Redet über seine “Arbeit“ wie über einen beliebigen Job. Weiß, wann man “am ruhigsten“ zuschlägt, welche Personen sich “am besten“ verschnüren lassen. Ben spielt gerne klassische Musik, verfasst scheußliche Gedichte, plaudert mit seiner Mama im Kaufmannsladen. Oma und Opa vergöttern den Dauer-Schwätzer. Also: Ein durch und durch “netter“ Zeitgenosse mit eben nur diesem “etwas komischen“ Beruf, für den sich allerdings außer dem Filmteam niemand interessiert. Das aber ist mit wachsender Neugier und persönlicher Opferbereitschaft weiterhin ständig “dabei“, auch wenn bei Schießereien zweimal “versehentlich“ der Tontechniker umkommt. Aber das zählt eben heute zum Medien-Risiko und überhaupt: Die Show muss weitergeben. Es gibt noch viele mörderische Bilder einzufangen, packen wir‘s an.

Wie gesagt, Warnung: Dieser Film ist ekelhaft. Allerdings: auf sehenswerte Weise ekelhaft. Denn wie er in seiner scheinbaren Normalität vom alltäglichen Horror berichtet, grenzt schon an den zunehmenden alltäglichen Gewalt-Wahnsinn, der uns umgibt. “Mann beißt Hund“ schockiert in seiner zynischen Hemmungslosigkeit und Konsequenz und wirkt doch auch “wie bekannt“. Man ist verblüfft ob so vieler Frechheit. Man grinst anfangs und lacht bei so vielen Übertreibungen und vor Verlegenheit. Man ist angewidert, wenn dieser böse Bruder seine Thesen, seine Philosophie vom Ich-Leben wie ein Gespräch über Essen, Reisen oder Sport verbreitet. Ein moderner Alltagsbürger strahlt uns an und wir spüren entsetzt, so ganz “unecht“ ist der gar nicht mehr. “Mann beißt Hund“ ist das satirische, bitterböse Gemeinschaftswerk von 3 belgischen Filmstudenten, von denen einer auch, Benoît Poelvoorde, die Hauptrolle spielt. Und zwar mit einer solchen perversen “Normalität“, dass man permanent glaubt, tatsächlich mit einem Massenmörder auf Du-und-Du zu sein. Überspitzt gesagt: Ganz wie im heutigen privaten Fernsehleben, wo die Einschaltquote jede Sensationsgier zulässt. Ein bitterer, unbarmherziger, ein wahnsinnig-komischer schwarzer Film, dessen Geschmacklosigkeiten und Gemeinheiten Übelkeit und Diskussionen provozieren.

“Mann beißt Hund“, das ist eine cineastische Schäbigkeit vom Allerfeinsten (= 5 PÖNIs).

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