„MÄNNER AL DENTE“ von Ferzan Ozpetek (Co-B+R; Co-B: Ivan Cotroneo; K: Maurizio Calvesi; M: Pasquale Catalano; Italien 2009; 116 Minuten; deutscher Kino-Start: 15.7.2010); der am 3. Februar 1959 in Istanbul geborene Drehbuch-Autor und Regisseur kam 1979 nach Italien. Entschied sich spontan, nicht in New York, sondern in Rom Filmgeschichte zu studieren. Parallel beginnt er 1982 als Regieassistent an der Seite wichtiger Regisseure wie Mario Bava, Ugo Tognazzi und Marco Risi zu arbeiten. Sein Debütspielfilm „Hamam – Das türkische Bad“ wird 1996 in die bedeutende Nebensektion „Quinzaine des Realizateurs“ bei den Filmfestspielen von Cannes eingeladen und macht Ferzan Özpetek international bekannt. Mit seinem 3. Spielfilm „Die Ahnungslosen“ hat der Wahlrömer seinen Durchbruch geschafft. Danach entstehen u.a. der auf zahlreichen internationalen Festivals prämierte Streifen „Das Fenster gegenüber“ (2003) sowie „Un giorno perfetto“ (2008; lief im Wettbewerb der 65. Filmfestspiele von Venedig). 2008 widmete ihm die „MoMa“ in New York eine Retrospektive unter dem Titel „Filmmaker in Focus: Ferzan Ozpetek“.
Schauplatz seines neuesten Films, der im Frühjahr in der Berlinale-„Panorama“-Sektion gezeigt wurde, ist Lecce in Apulien. Dort werden wir in die gutbürgerliche Großfamilie Cantone eingeführt, die eine Pasta-Fabrik betreibt. Papa, Mama, Oma, Tante (mit extremem Augenfehler), Schwager, Tochter, Brüder & Co. (= etwas begriffsstutzige Dienstboten etwa), man trifft sich wieder einmal unter dem Dach des Patriarchen Vincenzo (gockelhaft-großartig-cholerisch: ENNIO FANTASTICHINI). Der Anlass: Der jüngste Sohn Tommaso (RICCARDO SCAMARCIO) hat sein Studium in Rom beendet und soll nun, wie auch schon sein älterer Bruder Antonio (ALESSANDRO PREZIOSI), in den Familienbetrieb mit-einsteigen. Doch Tommaso hat ganz andere Pläne. Er hat keineswegs Betriebswirtschaft studiert, sondern Literatur. Wartet sehnsüchtig auf die Veröffentlichung seines ersten Romans. Und: Obwohl dies für den traditionsbewussten Erzeuger ein „Schlag ins Kontor“ sein wird, möchte er dem Vater auch noch mitteilen, dass er schwul ist. Und in der Hauptstadt mit Marco in guter Partnerschaft zusammenlebt. Bevor er dies aber in der Familienrunde am abendlichen Esstisch verkünden kann, kommt ihm sein Bruder Antonio zuvor. Und erklärt dem völlig überrumpelten Papa (und auch dem baff erstaunten Tommaso), dass ER schwul sei und dies endlich allgemein verkünden will.
Padre Vincenzo ist, erwartungsgemäß, völlig außer sich und verstößt umgehend den Ältesten. Schließlich bleibt ihm ja noch der Jüngste, der sich nun nicht mehr zu outen wagt. Damit Papas Herz nicht noch so einen Streß-Hieb bekommt. In der Familie jedenfalls geht es ab sofort richtig schön bunt-rund zu. Mama mia bzw. Papa mia! Was sollen denn nur die Leute denken? Diese „modernen Schweinereien“! Dabei hat auch der selbstgefällige Senior des Hauses seine „erotische Leiche im Keller“, betrügt er doch seine Ehefrau Stefania (LUNETTA SAVINO) ganz „offen“ und offensichtlich mit der feurigen Geliebten Patrizia im Ort. Jedenfalls rumort es im familiären Getriebe mächtig. Wobei die aristokratische Großmutter (superb: ILARIA OCCHINI), die selbst einst nur deshalb ihren Mann heiratete, um dessen von ihr heiß und innig geliebtem Bruder nah zu sein, sich als die Progressivste innerhalb der Sippe erweist: „Wenn Du immer nur DAS machst, was die Anderen wollen, ist Dein Leben nichts wert“, stößt sie den unglücklichen Tommaso an. Und: „Meister über Deine Fehler bist nur Du“, gibt sie ihm auf den nun reichlich in Unordnung geratenen Lebensweg mit. Denn jetzt reisen auch noch die schwulen Freunde aus Rom (samt Liebhaber Marco) an, werden vom nichtsahnenden Vater überschwänglich ins Haus eingeladen und sorgen natürlich für zusätzliche „Hitze-Wallung(en)“…
Ach so ja, und da ist ja auch noch die attraktive wie sensible Alba (schön kess, verletzlich und selbstbewusst: NICOLE GRIMAUDO), die Tochter des neuen Geschäftspartners, die eigentlich für den Jüngsten „vorgesehen“ ist und nun ziemlich baff über „die hormonellen Entwicklung“ ist.
Ein Käfig voller Narren oder: Der italienische Schwank lebt. Das geheime Sein und der trügerische Schein. Die Heuchel-Eltern und die Abnabelung der erwachsenen Gören. Überholte Konventionen. Der Familienbetrieb in allen seinen turbulenten Facetten. Und: Das „gefährliche“ Schwulsein. Im katholischen, konservativen Italia. Augenzwinkern forever. Über – den „ungehorsamen Nachwuchs“. Und diesen „cholerischen Alten“.
Eine schelmische Moral-Komödie. Als unterhaltsame Lektion in Sachen Emanzipation. Für beide Geschlechter. In schöner Umgebung. Mit viel süditalienischer Sonnenballaden-Atmosphäre. Stimmungsvolle Tiefgedanken und prächtige Landschaftsmotive. Erinnernd an deftige italienische Spaßklassiker wie „Scheidung auf italienisch“ von Pietro Germi (1961) oder „Verliebt in scharfe Kurven“ von Dino Risi (1962). Eine Familien-Oper mit charismatischen Figuren und mit flottem 70er Jahre Ironie-Pop („Sorry I´m a Lady“). Ohne Zoten, Unter-der-Gürtellinie-Täteräh, Peinlichkeiten. Italien, beim WM-Fußball kürzlich jämmerlich ausgeschieden, zeigt sich hier spielfreudig posen- und possenhaft. Der ganz normale, schön pointierte Gefühls- und Seelenwahnsinn. Dort wie hier und überall. Diese unblöde Leichtigkeit tut gut. Eine beschwingte, luftige Commeddia all´italiana (= 4 PÖNIs).