Der Finne Aki Kaurismäki hat sich in den achtziger Jahren zu einem der besten und wichtigsten europäischen Filmemacher gemausert. Die Qualitäten dieses jetzt in Portugal lebenden Autors und Regisseurs sind Mittel, die sonst jedem anderen Filmer zum Vorwurf gemacht werden würden: Bilderstrenge Kargheit, knappste Sprache. Dafür dominieren die Farbgebung, der Schnitt und “das“ hinter den Bildern. Die Schmerzen der Beteiligten, die spürbar werden, die unaufdringliche Anklage gegen die zwischenmenschliche Verrohung, die humane Botschaft, “es“ anders zu machen.
Mit „DAS MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZFABRIK“ von Aki Kaurismäki (B + R + Schnitt; Finnland 1989; K: Timo Salminen; 70 Minuten; Start D: 14.02.1990); schließt er seine “proletarische „Trilogie“ ab. Nach “Schatten im Paradies“, 1986, und “Ariel“, 1988, geht es wieder um ganz einfache Menschen. Die hart und stupide arbeiten müssen, um zu überleben. Und die auch in ihrem Privatleben mehr Schläge als Streicheleinheiten einstecken müssen.
Iris, das Mädchen aus der Streichholzfabrik steht Tag für Tag am Fließband. Redet wenig, weil es auch zuhause nichts zum Reden gibt. Mutter und Stiefvater nehmen stumm ihren Lohn entgegen, lassen sich stumm versorgen und starren ansonsten ebenso kommunikationslos in die Glotze. Als Iris einmal ihr Geld für ein hübsches Kleid ausgibt, gibt es Prügel. Irgendwann geht sie zum Tanzen, doch der Kerl, den sie kennenlernt, mag sie morgens nicht mehr und lässt sie mit einem Kind zurück. Nach der Abtreibung wird sie von Zuhause vertrieben. Doch das Opfer wird zum Täter. Kauft Rattengift und wehrt sich auf ihre Weise.
“Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ ist ein Meisterwerk. Trotz seiner unerbittlichen Bescheidenheit vermag er mehr mitzuteilen und fühlen zu lassen, als viele bemühte, laute und bilderreiche Dokumente und Spielfilme. Der Blick geht auf nur ganz wesentliche Substanz, vermeidet jedwede Ablenkung oder Fälschung. Doch ist er dabei lakonisch und spannend. Motto: So wunderbar einfach kann Kino sein. Obwohl sehr traurig, kommt ein Humor der Würde und Verzweiflung zum Ausdruck. Spartanisch wird eine Kälte vorgeführt, die im Kitsch und der Leere von Schlagergeklimper endet. Finnland, so wird deutlich, ist ein Land der Entfremdung und Verelendung. Der Mensch taugt nur noch als Handlanger der Maschine, ist ansonsten innerlich abgestorben und leer. Aber geht es wirklich nur um Finnland? Es gab vor vielen Jahren mal einen amerikanischen Film im Kino, “Wer ist Harry Kellerman?“ von Ulu Grossbard, 1970 mit Dustin Hoffman‚ dessen Motto auch für diesen Film von Aki Kaurismäki Gültigkeit besitzt: Es wird uns immer besser gehen, aber wir werden dabei auch immer mehr verelenden.
“Das Mädchen aus der Streichholzfabrik“ wird noch im Gedächtnis sein, wenn 90 Prozent aller Filme diesen Jahres längst vergessen sind. In der Haupt- und Titelrolle, sie sollte man nicht unerwähnt lassen, obwohl hierzulande unbekannt, spielt unaufdringlich, überzeugend und sehr nahegehend Kati Outinen. Ein Gesicht, in dem sich 70 Minuten lang ein ganzer Film ausdrückt.
Was für ein Erlebnis (= 5 PÖNIs).