Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste

MADAME CHRISTINE UND IHRE UNERWARTETEN GÄSTE“ von Alexandra Leclère (B + R; Fr 2015/2016; K: Jean-Marc Fabre; M: Philippe Rombi; 102 Minuten; Start D: 09.02.2017); die Idee ist pikant wie utopisch-interessant: Es ist saukalt in Frankreich. Extrem-Dauerfrost hat das Land buchstäblich einfrieren lassen. Auf den Straßen demonstrieren Menschen für Menschen: für sozial Benachteiligte, Obdachlose, die Opfer dieser enormen Kältewelle sind. Ihnen sollen die Behörden Wohnraum zur Verfügung stellen. Die Regierung reagiert und verkündet eine sofort geltende Notverordnung: Begüterte, die mit (zu) wenigen Personen in großräumigen Wohnungen leben, müssen „abgeben“. Beziehungsweise: Denen werden jetzt umgehend minderbemittelte Bürger für ihre Wohnungen „zugeteilt“, solange diese Temperaturen andauern. Sofort wird ein neues Amt geschaffen, das diese Verordnung umgehend praktisch umsetzen soll.

Diese Maßnahmen gefallen den Bewohnern der prachtvollen, sehr-gutbürgerlichen Rue du Cherche-Midi im 6. Pariser Arrondissement überhaupt nicht. Wie den Ehelauten Pierre und Christine Dubreuil (DIDIER BOURDON & KARIN VIARD) in ihrer knapp 300 Quadratmeter Luxus-Wohnung. Während der Haus-, besser Wohnungs-Herr für die frierenden, armen Schlucker von „draußen“ gar nichts übrig hat, weiß seine als Gattin unterforderte Ehefrau nicht so recht, was sie davon halten und denken soll. Ihr geht ihr Ehemann durch seine sexuelle Gleichgültigkeit und Streitlust schon lange auf den Senkel. Ebenso wie seine tief empfundene Verachtung für die „linken Gutmenschen“ nebenan, die Bretzels; Béatrice und Grégory (VALÉRIE BONNETON & MICHEL VUILLERMOZ), für die Solidarität verbal kein Fremdwort ist. Pierre also handelt umgehend, holt einfach seine bereits in das Altersheim abgeschobene Mutter zurück und bietet seiner farbigen Putzfrau heimisches „Asyl“. Damit habe er doch seine Bürgerpflicht über-erfüllt, konstatiert er. Ähnlich sieht es bei den „linken Nachbarn“ aus: Anstatt eines Zimmers wird eine Bedürftige von Madame Bretzel in einer „gehobenen“ Besenkammer im Haus untergebracht („Politische Überzeugungen sind anstrengend“).

Mauscheleien und Bestechungen beim Amt sind fortan an der Tagesordnung. Und auch die Positionen von Beteiligten wackeln des Öfteren und werden auch schon mal auf den politischen Kopf gestellt. Nur eine steht fest ihre Überzeugungs-Frau, die rechtsgerichtete, mit einem Handy-Nazi-Ton ausgestattete, rassistische wie bauernschlaue FN-Sympathisantin-Concierge im Untergeschoß (JOSIANNE BALASKO), die sich durch illegale Umverteilung der Bedürftigen im Haus ein fettes Zubrot verdient. Ein gesellschaftliches Kuddelmuddel ist in laufender Bewegung und verändert die bourgeoisen Gedanken und Zustände. Der Frühling naht.

„Ich bin keine Autorin und Regisseurin, die Rechnungen zu begleichen hat“, stellt ALEXANDRA LECLÈRE, die hierzulande 2005 mit ihrem Debütfilm „Zwei ungleiche Schwestern“ wunderbar auffiel, im Presseheft fest. Und: „Für mich ist dieser Film eine Komödie, bei der man lachen soll, sich dabei auch ein wenig verrenkt“. Was zu spüren ist, ihr vierter Spielfilm, Originaltitel: „Le Grand Partage“, also „Das große Teilen“, will nicht ein fahneschwingendes Ideologie-Pamphlet und eine gesellschaftskritische französische Kälte-Abrechnung sein, sondern „beschränkt“ sich darauf, ein ironisch-pikendes Sittenbild „französischer Zustände“ zu entwerfen. Mit listig-hintergründigem Real-Geschmack.

In ihrer überspitzten Gesellschaftssatire blickt sie auf die heuchlerische Moral einer westlichen Wertegemeinschaft, die am liebsten „Unruhe“ von sich fernhält, um es sich weiterhin im Überfluss-Komfort gut- und bessergehen zu lassen. Allerdings, Veränderungs-Utopien seien im – französischen – Kino durchaus gestattet.

Die Männer erscheinen hier wie gehandicapte Hampel-Clowns; die Frauen dagegen dominieren und haben die köstlichen, durchtriebenen Posen für sich. Sind grandios in ihrem Furien-Ensemble, unterhalten nachhaltig-prächtig: KARIN VIARD, VALÉRIE BONNETON, JOSIANE BALASKO und auch SANDRA ZIDANI als fröhliche Penner-Anarchistin Madeleine sind köstlich und triumphieren in Gestik und Bewegung mit spitzen Hintergedanken.

Ein ernstes Thema wird akzeptabel-„leicht“-„französisch“ behandelt: Mit „Madame Christine und ihre unerwarteten Gäste“ kann das französische Gesellschaftskino unterhaltsam-pfiffig punkten (= 4 PÖNIs).

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