LOVE & MERCY

PÖNIs: (4,5/5)

„LOVE & MERCY“ von Bill Pohlad (USA 2013/2014; B: Oren Moverman, Michael Alan Lerner; K: Robert Yeoman; M: Atticus Ross; künstlerische Beratung: Brian Wilson, Melinda Ledbetter; 120 Minuten; deutscher Kino-Start: 11.06.2015); bei den Erinnerungen an diesen wunderbaren Film schwirren viele Gedanken ungebündelt umher. Schwächen sind kaum auszumachen, „Liebe & Erbarmen“ ist das zünftige Zusammentreffen von reizvollen Charakteren und großartigen Schauspielern, die sie verkörpern. Handelt von der Biographie eines Künstler-Genies und beschreibt das kreative Erarbeiten, das puzzleartige Zusammenfügen von phantastischen, authentischen Klängen zu brillanter Pop-Musik. „LOVE & MERCY“ erzählt von spannenden Geschehnissen, ist großes hochemotionales KINO.

Stichwort: BRIAN WILSON. Geboren am 20. Juni 1942 im kalifornischen Inglewood. Vom Vater dermaßen gefördert wie geprügelt, dass die Ärzte schon in früher Kindheit Taubheit auf dem rechten Ohr feststellen. 1961 Gründung der BEACH BOYS. Gemeinsam mit seinen Brüdern Dennis und Carl, ihrem Cousin Mike Love sowie dem Schulfreund Alan Jardine. Neben den Beatles und den Stones wird ihr 60er und Folgejahre-Ruhm oft als (höchstens) drittklassig nummeriert, fest steht, die Gruppe war über fünf Jahrzehnte stets in den Top 40 der amerikanischen Billboard-Charts vertreten – mit zum Beispiel Titeln wie „Surfin‘ USA“; „I Get Around“; „Wouldn’t it be Nice“; „Heroes and Villains“; „Help me, Rhonda“; „Good Vibrations“. Und zählt zweifellos zu den beliebtesten und auch einflussreichsten Bands aller Zeiten. Das im Mai 1966 veröffentlichte Konzeptalbum „Pet Sounds“, dessen musikalischer Initiator Brian Wilson war, zählt heute, so das Fachmagazin „Rolling Stone“, zu den bedeutendsten Alben der Rockmusik.

Brian Wilson (PAUL DANO). Am Anfang seiner Karriere. In den Sechzigern. Der autoritäre Vater Murry (BILL CAMP) macht ihm zu schaffen. Anstatt Anerkennung tyrannische Ablehnung. Die Beach Boys und ihre ersten Erfolge. Brian steigt für eine Tournee aus. „Ich höre seit 1963 Stimmen in meinem Ohr“, wird er später seiner Ehefrau Melinda Ledbetter (ELIZABETH BANKS) sagen. Und will endlich diese „Stimmen“ umsetzen. In SEINE Klänge. Daraus seine Musik arrangieren. Brian interessiert sich nicht – mehr – für das „Surfer“-Gängige und weiterhin Erfolgreiche der Gruppe, sondern beginnt „eigenwillig“ zu produzieren. Mit ungewöhnlichen „Rock“-Instrumenten wie Maultrommel oder Celli. Vermischt mit Hundegebell, Fahrradklingeln, klappernden Löffel. Sowie Tönen mit psychedelischem Geschmack. Holt dafür die besten Studio-Musiker zusammen und verblüfft mit völlig ungewöhnlichen, neuartigen Sound-Experimenten. „Unkorrekten“ Kompositionen.

Der kreative Künstler, das Genie. Der sensible Mensch, das zunehmend physische wie psychische Wrack. Mit erheblichen „Störungen“. Zwei Jahrzehnte später hat Brian Wilson (jetzt: JOHN CUSACK) die Kontrolle verloren. Steht unter dem Diktat des Promi-Psychologen, Dr. Eugene Landy (PAUL GIAMATTI), der ihn wie ein Hündchen profitabel dirigiert. Be- und ausnutzt. Und der gar nicht davon begeistert ist, als Brian die attraktive Autoverkäuferin Melinda Ledbetter kennenlernt. Ihrem wachsenden emotionalen Einfluss ist es schließlich zu verdanken, dass der ständig benebelte, unsichere, verängstigte Mensch Brian Wilson wieder ins Leben zurückzukehren vermag.

Aufregend. Packend. Kribbelnd. Der Film „Love & Mercy“ lebt. Intensiv. Fasziniert durch seine enorme emotionale, atmosphärische und musikalische Wirkung. Ist keine übliche, die einzelnen Lebensstationen routiniert abhakende Biographie, sondern vermag seelen-tiefer einzutauchen. Den Menschen Brian Wilson zu porträtieren: Mit seinem ungeheuren musikalischen Einfallsreichtum, seiner extravaganten Kreativität und zugleich seinen selbstzerstörerischen Wahrnehmungen. Stichwort – seine inneren und ihn ständig „begleitenden“ Dämonen. Die ihn bisweilen fast in den Wahnsinn treiben, abgleiten lassen.

PAUL DANO, 29, ist schon oft aufgefallen. Sieht „schräg“ aus und wurde mit Vorliebe auch für „solche Parts“ besetzt. Siehe in „Little Miss Sunshine“, wo er den farbenblinden Dwayne spielte. In „There Will Be Blood“ war er der besessene Kontrahent von Daniel Day-Lewis; 2013 wurde er (von Hugh Jackman und Jake Gyllenhaal) als vermeintlicher Kidnapper in dem Thriller „Prisoners“ verdächtigt. In der Rolle des jungen Brian Wilson sieht er DEM nicht nur verblüffend ähnlich, sondern versteht er es auch wunderbar einfühlsam, die gespaltene Seele zwischen Schmerzen und Genialität körpersprachlich in allen Facetten auszudrücken. Auszureizen. Dano „vibriert“ förmlich. Mit jeder Pore. JOHN CUSACK, 48, seit Jahren einer der fleißigsten US-Schauspieler („Being John Malkovich“; „High Fidelity“; „Grosse Pointe Blank“; „The Raven“), gibt den kranken, schwachen, gebrochenen und dennoch „rest-hellen“ Oldie-Künstler mit einer ungeheuerlichen Dichte und Vehemenz. Mit einer überragenden Spannweite von empfindsamen Gefühlswallungen. Dermaßen grandios, „intensiv“, aufregend, war John Cusack wohl noch nie zu sehen. Zu erleben. Zu bestaunen. Die „Oscar“-Nominierung sollte winken. ELIZABETH BANKS, der neue Blond-Stern am Hollywood-Himmel („Mädelsabend“), hat als „richtungsweisende“ Melinda-Partnerin von Brian Wilson den schönsten Part. Während PAUL GIAMATTI („Sideways“) als „spezieller“ Doktor Satan prächtig diabolisch twisted.

Schließlich: Bill Pohlad. WER bitte? BILL POHLAD. Als Regisseur hatte er bisher einen – unbekannt gebliebenen – Film gedreht, „Old Explorers“ (1990); als Produzent war er für Meisterwerke wie „12 Years A Slave“, dreifacher „Oscar“-Gewinner im Vorjahr; „Into the Wild“ von Sean Penn/zwei „Oscar“-Nominierungen und „Brokeback Mountain“ von Ang Lee/dreifacher „Oscar“-Preisträger mit-verantwortlich. Sein zweiter eigener Film ist eine SEHR unterhaltsame künstlerische Sternstunde. Mit unkonventionellen Einblicken in die Kulisse „Beach Boys“ und in die Person des Pop-Titanen Brian Wilson. Mit dessen Musik zum Ewig-Genießen (= 4 ½ PÖNIs).

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