LIZZIE BORDEN

Das kommt auch nicht alle (Film-)Tage vor, dass ein „aushäusiger“ Fernsehfilm es zur Premiere in unser Heimkino schafft. Denn wenn dies passiert, muss es sich schon um einen „ganz besonderes Werk“ handeln. Wie im vorliegenden Film-Falle gegeben:

LIZZIE BORDEN“ von Nick Gomez (Kanada/USA 2013; B: Stephen Kay; K: Steve Cosens; M: Brad Hamilton; 84 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 27.5.2014).

Da ist dieser bekannte Reim: Lizzie Borden nahm eine Axt / Und gab ihrer Mutter vierzig Schläge / Als sie sah, was sie getan hatte / Gab sie ihrem Vater einundvierzig.

Lizzie Borden (19. Juli 1860 – 1. Juni 1927) ist in der US-Popkultur ein Begriff. Die Literatur, das Theater, die Oper, das Ballett, thematisierten sie. In Songs wurde sie „behandelt“. Eine Heavy Metal-Band nannte sich nach ihr. „Die Legende von Lizzie Borden“ hieß 1975 ein US-TV-Film, der von ihr und ihrem Fall erzählte. Die jetzige Neuverfilmung von „Sony Pictures Television“ hatte am 25. Januar 2014 auf dem amerikanischen Netzwerk „Lifetime“ US-Premiere und konnte mit rd. 4,4 Millionen Zuschauer einen Nummer Eins-TV-Hit verbuchen. Bekam danach ausgesprochen wohlwollende Kritiken.

Mit zwei Jahren verlor Lizzie Borden ihre Mutter. In der Folgezeit wurde sie von ihrer älteren Schwester Emma betreut. Ihr Vater Andrew Borden heiratete später Abby Durfee Grey. Obwohl die Familie wohlhabend war, lebte sie verhältnismäßig spartanisch in ihrem Haus im Ort River in Massachusetts. Was Lizzie zunehmend nervte. Sie, die als Sonntagsschullehrerin tätig war und sich ehrenamtlich in der Kirche engagierte, wollte gerne „wie die Reichen“ leben. Doch ihr Vater verbot ihr den Umgang mit „dieser Gesellschaft“. In der jungen Frau begann es „zu rumoren“.

Es ist einer der bekanntesten Morde in der amerikanischen Geschichte. Verübt am 4. August 1892. Opfer waren Andrew und Abby Borden. Lizzies Stiefmutter fand man im Obergeschoß-Gästezimmer mit 18 Verletzungen im Rücken auf. Der Vater wurde im Erdgeschoß auf der Couch beim Mittagsschlaf abgestochen. Mit vielen Hieben eines axtähnlichen Gegenstands. Der Gerichtsgutachter stellte fest, dass Abby Borden etwa zwei Stunden vor ihrem Mann getötet wurde.

Der Verdacht fällt schnell auf Lizzie (CHRISTINA RICCI). Ihre Widersprüche in den Aussagen, ihre „sonderbaren Handlungen“ wie das mutwillige Verbrennen des Kleides, das sie am Tat-Tag an hatte und der Tatsache, dass nur sie und das Hausmädchen sich zu den beiden Tatzeiten im Haus befanden und das Hausmädchen keinerlei Motive für solche bestialische Morde besaß, lassen sie ins vorderste Blickfeld der Ermittlungen geraten. Zudem gibt sich die junge Frau spröde. Kann nicht begreifen, dass man sie überhaupt zu verdächtigen wagt. Doch der fest überzeugte Staatsanwalt fährt schwere Beschuldigungsgeschütze auf. Lizzie hat Glück, dass ihre Schwester Emma (CLEA DuVALL), die am Tag der Morde außer Haus war, fest zu ihr steht und moralischen wie dann auch Prozess- „technischen“ Beistand liefert. Und dass sie in dem findigen Strafverteidiger Andrew Jennings (BILLY CAMPBELL) einen ausgesprochen kompetenten Anwalt an ihrer Seite weiß. Der jede juristische Attacke glänzend zu parieren versteht.

CHRISTINA RICCI, 34, zählt zu den IMMER neugierig machenden US-Darstellerinnen. Ist immer dann angesagt und bevorzugt, wenn es Film –thematisch um zwiespältige, undurchsichtige, also „gar nicht klare“ Persönlichkeiten geht. Sowohl im Hollywood-Business („Die Addams Family“; „Casper“; „Speed Racer“) wie vor allem aber durch ihre grandiose Mitwirkung in („dadurch“ hervorragenden) US-Independent-Movies wie „Der Eissturm“; „The Opposite of Sex – Das Gegenteil von Sex“/“Golden Globe“-Nominierung 1999; „Sleepy Hollow“ oder in „Anything Else“ von Woody Allen (2003). Hier nun kriecht sie enthusiastisch-intim in „ihre“ Lizzie Borden hinein. Füllt sie äußerlich wie innerlich beeindruckend. Mit wenigen Worten, mit auf den feinen Pointen-Punkt gebrachten körpersprachlichen Gesten, mit dem charismatischen Ausdruck zwischen Reh und Schlange; zwischen Miststück oder Unschuld; zwischen Unverdorben und trickreicher Psycho-Lady. Bisweilen erinnert sie an die weibliche Formation eines Norman Bates (aus Hitchcocks „Psycho“/Anthony Perkins). „Was für ein dunkles Herz mag in dieser Seele wohnen?“, argwöhnt der Ankläger einmal im Prozess. Und in der Tat: Wer und vor allem Wie war sie? Ist sie wirklich? Diese „wahnsinnige“ oder nur gewiefte oder einfach nur vollends „missverständliche“ Lizzie Borden? Die kulleräugige CHRISTINA RICCI herrscht hier wunderbar.

Regisseur Nick Gomez, 35, überwiegend beim US-Serien-Fernsehen tätig („True Blood“; „Die Sopranos“), aber auch im Kino dann und wann aktiv („Der Fall Mona“/2000), hat ein erstklassiges atmosphärisches Psycho-Drama inszeniert; angenehm unspektakulär, jedoch in der historischen Außen-Wirkung, in Ausstattung, Kostüme, Bauten und in der wunderbaren Ausleuchtung der Innen-Räume (Gerichtssaal), außerordentlich reizvoll. Sein „Nur TV-Film“ ist sehenswerte Unterhaltung, bietet hochkarätige Spannungsklasse (= 4 PÖNIs).

Anbieter: „Sony Pictures Home Entertainment“

 

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