LION

PÖNIs: (3/5)

„LION“ von Garth Davis (Australien/GB/USA 2015; B: Luke Davies; nach dem Roman „A Long Way Home“ von Saroo Brierley/2014; bei uns im August 2016 unter dem Titel „Mein langer Weg nach Hause“ veröffentlicht; K: Greig Fraser; M: Volker Bertelmann/alias Hauschka, Dustin O’Halloran; 118 Minuten; deutscher Kino-Start: 23.02.2017); diese Geschichte ist passiert. Als er 5 Jahre jung ist, im Jahr 1986, verliert der kleine Saroo (sensationell: SUNNY PAWAR) durch Verkettung unglücklicher Umstände auf dem Bahnhof in der indischen Provinzstadt Khandwa seine Familie. Saroo begibt sich in einen leeren Zug, um zu schlafen. Als er aufwacht rattert der Zug zum anderen Ende des Kontinents, nach Kalkutta. Ein 5-Jähriger, im Moloch einer Millionen-Metropole. 1600 Kilometer entfernt von seinem Zuhause. Wo man seinen Hindi-Dialekt in der Bengali-Region nicht versteht. Wochenlang schlägt er sich alleine durch das kinderfeindliche Gebiet. Wo professionelle Kinder-Fänger „solche wie ihn“ gerne einfangen, um mit ihnen, den Hilflosen, schmutzige Geschäfte zu machen. Saroo landet schließlich in einem Heim und hat das Glück, von einer australischen Familie (NICOLE KIDMAN/DAVID WENHAM) adoptiert zu werden. Saroo lebt fortan in Melbourne.

Der Film „Lion“ ist zweigeteilt. Der erste Teil ist wunderbar. Befindet er sich doch, im wahrsten Sinne des Wortes, in den Händen, in der faszinierenden Ausdruckskraft und „Autorität“ eines kleinen großartigen Jungens, des 8-jährigen SUNNY PAWAR. Mir ist rätselhaft, wie das Team um den australischen Regisseur GARTH DAVIS es hinbekommen hat, diesen kleinen Kerl dermaßen natürlich, körpersprachlich-empfindsam, mimisch so grandios-mitteilsam und in jedem Moment so unglaublich präsent „hinzubekommen“. Jedenfalls zieht Sunny Pawar als junger Saroo ununterbrochen in den Bann. Erreicht die totale Aufmerksamkeit. Man ist ständig ganz nahe an ihm dran, an dieser einnehmenden kleinen großen Persönlichkeit. Man ist gebannt von seinem – erschreckenden – Leidensweg. Und wird dann ausgebremst.

Schnitt: 25 Jahre später. Saroo (jetzt: DEV PATEL/“Slumdog Millionär“) ist Student in Melbourne, fühlt sich längst als ein „Aussie“, will ins Hotelmanagement einsteigen. Wird von seinen „Eltern“ wie ein eigener Sohn geliebt und behandelt. Lebt mit Freundin Lucy (ROONEY MARA) zusammen. Im Gegensatz zu seinem auch aus Indien stammenden Bruder Mantosh, den die Brierleys auch adoptiert haben und der im Gegensatz zu Saroo sein Trauma nie überwinden konnte, führt Saroo ein selbstbewusstes Leben. Bis auch ihn eines Tages die Erinnerungen einholen. Und er über „Google Earth“ und andere Quellen beginnt, über seine Herkunft zu recherchieren. Was ihn total verändert.

Dieser rabiate Zeit-Schnitt bekommt dem Film überhaupt nicht. Weil er sich nun lange Zeit in ein spannungsloses, behäbiges Wechselbad der Gefühle verwandelt. Der erwachsene Saroo kann mit dem jüngeren Kind Saroo nicht mithalten. Man bekommt zwar sein inneres Ich, seine plötzliche pathologische Zerrissenheit, erklärt, aber dies reicht keineswegs aus, um nun sein ständiges grobes Schmollen und seine vielen Unbeherrschtheiten dauerhaft plausibel annehmen zu können. Zudem nerven die vielen „detektivischen Recherchen“ im Detail. Der eben noch so atmosphärisch-spannende Film stottert plötzlich nur noch. Der „Mann“ Saroo wirkt mitunter ziemlich oberflächlich. Unerklärt unnahbar. Schnell aufbrausend. Weitaus uninteressanter als „das Kind“.

Bis es dann zum emotionalen Showdown in Khandwa kommt, mit der Wiederbegegnung bei seiner Mutter. Da brechen natürlich emotionale Dämme.

Ein gespaltener Film. Für 6 Kategorien „Oscar“-nominiert, darunter auch als „Bester Film“.

„Lion“ ist ein Film mit nur halbem Sog (= 3 PÖNIs).

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