Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber Kritik

Sich an ein leeres weißes Blatt Papier zu setzen und einige Zeilen zum neuen Film des Engländers Peter Greenaway in die Maschine zu tippen, bedeutet wie völlig ausgehungert vor einem Berg von kulinarischen Genüssen zu sitzen und nicht zu wissen, wo man nun anfangen soll. So viel fällt
einem zu
DER KOCH, DER DIEB, SEINE FRAU UND IHR LIEBHABER“ von Peter Greenaway (B+R; GB/Fr 1989; 124 Minuten; Start D: 23.11.1989) ein, so viel gab es zu sehen, zu staunen, zu interpretieren, zu erleben.
Aber Dieser Film geht auch bei aller Faszination und Schönheit an die Schmerzgrenzen von Sinne und Gefühl.

Aber der Reihe nach. Zunächst zum Inhalt, der keine eigentliche Geschichte, Story kennt, sondern mit Bildern aufwartet, bei denen man sich schon mit eigenen Wahrnehmungen und Empfindungen konfrontiert sieht. Ein Restaurant, das eher wie eine riesige Sporthalle oder große Opern-Bühne feudal ausgestattet ist, gehört zur Luxus-Kategorie 1. Geführt wird es vom Franzosen Richard, der ein absoluter Meister seines Fachs und ein Perfektionist der Küche ist. Wenn ein Gericht nicht seinen höchsten Ansprüchen genügt, wirft er es lieber den vielen streunenden Hunden auf dem Parkplatz zum Fraß vor als dass er es seinen Gästen serviert. Diese gehören vornehmlich der gehobenen Bürgerschicht an, denn bei Monsieur Richard zu dinieren, ist zwangsläufig teuer. Eine Ausnahme bildet Albert und sein Clan. Albert ist ein Dieb, ein Gauner, ein Verbrecher, der gerne mit seinen schmutzigen Leuten ausgiebige Freßorgien im Restaurant feiert. Der Koch und der Dieb

Albert ist ein brutaler Mensch. Launisch, bösartig und sehr aggressiv, wenn es nicht nach seiner Fasson geht. Jeder richtet sich danach, denn sonst gibt es Prügel, Beleidigungen und Gemeinheiten am laufenden Band. Seine Frau ist Georginia. Intellektuell überlegen, deshalb physisch andauernd getreten und gedemütigt. Eine Sklavin, die aber im Restaurant schon mehr als einen Blick auf den stummen Gast Michael geworfen hat. Der hat die Angewohnheit, immer beim Essen zu lesen, und das wiederum ärgert Albert ungemein. Michael, der Buchhändler, wird zum Geliebten Georginias. Beim täglichen Abendessen nutzen sie die Pausen zwischen den Gängen zum erotischen Dauerclinch auf der Toilette oder in den Vorratskammern des Restaurants. Jetzt sind sie alle zusammen: “Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“. Als Albert von den Eskapaden seiner Angetrauten erfährt, nimmt er grausame, blutige Rache. Daraufhin beginnt seine Frau ihrerseits, ganz grauenvolle Rachepläne zu schmieden. Dazu aber braucht sie Richard, den Koch, weil ihr Mann, der Dieb, bekanntlich bereit ist, a l l e s zu essen, was Richard ihm vorsetzt. Und diesmal gibt es ‘Michel‘ flambiert‘…

Was für ein Film, was für ein Theater, was für eine Oper. In der es um Unmenschlichkeit“ in der sogenannten Zivilisation geht, um die vielen
Grausamkeiten, die Menschen Menschen antun können; um Shakespeare und Scorsese, um Bunuel und Verdi, um Kreuzzüge in das Innere und Dunkle des Menschen. Brecht taucht in den Gedanken auf, die Ausbeutung des Menschen durch sich selbst, und die Rache-Dramen großer Klassiker vereinen sich hier ebenso. Aber was wären Bilder und Worte und Gesten ohne dieses gigantische Dekor, ohne diese faszinierende Ausstattung der beiden Innenarchitekten Ben van Os und Jan Roelfs. Man glaubt sich in 3 oder 4 aneinandergereihten Kathedralen ebenso heimisch wie bei der bedrohlichen Fiktion-Welt eines Ridley Scott. Dabei werden Farben und Bauten um die Gunst eines Melodrams, um die Rätselhaftigkeit eines Stanley Kubrick – Alptraums, um die reine Spannungsbanalität eines Westerns von John Ford.

“Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ ist dabei laut, sehr vulgär und ordinär, überaus direkt und brutal, schmerzhaft bis an den Rand des Erträglichen. Ein Film, ein Werk der Superlative mit vorzüglichen Schauspielern in den Haupt- und Nebenrollen. Stellvertretend für das grandiose Ensemble seien Richard Bohringer als der Koch, Michael Gambon als der Dieb, Helen Mirren als seine Frau und Alan Howard als der Liebhaber genannt. 120 Minuten außergewöhnliches, reiches, sinnliches, schockierender Kino und Ewig-Theater über Essen, Klauen, Gewalt, das ganze verdammte, aufregende Sein namens Leben.

“Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ von Peter Greenaway, was für mitreißender Vulkan von Film (= 4 ½ PÖNIs)!

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