The Homesman

THE HOMESMAN“ von und mit Tommy Lee Jones (Co-B, Mit-Produzent + R + Hauptdarsteller; USA/Fr 2013; Co-B: Kieran Fitzgerald, Wesley Oliver; nach dem gleichnamigen Roman von Glendon Swarthout/1988; K: Rodrigo Prieto; M: Marco Beltrani; 122 Minuten; Start D: 18.12.2014). Der am 15. September 1946 in San Saba/Texas geborene TOMMY LEE JONES zählt zu den markantesten, zugleich aber auch in Sachen Medien-Präsenz „unauffälligen“ Hollywood-Akteuren. Er ist prädestiniert für Rollen als „harter Hund“. Jones war viermal für den „Oscar“ nominiert und bekam ihn 1994 als „Bester Nebendarsteller“ für seinen Part als hitziger U.S. Marshal Samuel Gerard in „Auf der Flucht“ (wo er Harrison Ford als Dr. Richard Kimble jagte). Ansonsten kennen wir ihn aus Blockbuster-Movies wie den drei „Men In Black“-Shows beziehungsweise durch starke Auftritte in „Lincoln“, „No Country for Old Men“, “Im Tal von Elah” oder „J.F.K. – Tatort Dallas“. Tommy Lee Jones lebt fern von Hollywood auf einer Ranch im texanischen San Antonio. Ein Mann des Westen, ein sperriger Kerl, geschaffen für den Western.

Seit 1995 ist Tommy Lee Jones auch als Regisseur unterwegs. Sein Debütfilm entstand für das US-Fernsehen, hieß „The Good Old Boys“ und Tommy Lee Jones spielte auch die Hauptrolle, einen Cowboy namens Hewey Calloway. Weitere namhafte Mitwirkende waren u.a. Sissy Spacek, Sam Shepard, Frances McDormand und Matt Damon. Sein erster KINO-Film war 2005 „Three Burials – Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada“ (s. Heimkino-KRITIK), ein zeitgenössischer Western, der in den Wettbewerb der Filmfestspiele von Cannes eingeladen wurde und auf viel Zuspruch stieß. Tommy Lee Jones selbst wurde für die Rolle des Pete Perkins mit dem „Darsteller-Preis“ ausgezeichnet. 2011 folgte mit „The Sunset Limited“ ein weiterer Regie-Film von ihm, wieder inszeniert für das US-Fernsehen. Seine vierte Regie-Arbeit, „The Homesman“, nun wieder für das KINO gedreht, war in diesem Frühjahr auch wieder für den Cannes-Wettbewerb eingeladen und wurde sehr gelobt.

Die Romane des amerikanischen Schriftstellers GLENDON SWARTHOUT (8. April 1918 – 23. September 1992) waren schon des Öfteren Basis für Adaptionen durch Hollywood-Filme. So etwa „Sie kamen nach Cordura“ (1959), „Where the Boys Are“ / „Dazu gehören Zwei“ (1960) oder „The Shootist – Der letzte Scharfschütze“ (1976/der letzte John Wayne-Film). In seinem 1988 veröffentlichten Roman „The Homesman“, hierzulande 1992 unter dem Titel „Es führt ein Weg zurück“ und jetzt gerade wieder bei uns unter dem Original- und Film-Titel neu herausgebracht, interessiert sich der Autor für die „andere Seite“ der Besiedelungs-Eroberung der weißen amerikanischen Bevölkerung. Im amerikanischen Westen von 1862. Für die Seite der Verlierer. Für jene Siedler, die in weitaus kleineren Trecks zurück gen Osten zogen, weil sie die Gesundheit und den Mut verloren hatten. Weil ihre Ernte verdorben, ihr Vermögen aufgebraucht, ihre kleinen Herden verhungert oder gestohlen waren. Oder weil sie bei dem erhofften Neuanfang im amerikanischen Westen völlig den Verstand verloren haben. Und sich nun mühsam zurück in den vergleichsweise sicheren Osten von Amerika quälten. In eine halbwegs zivilisiertere Gesellschaft.

Übrigens – ursprünglich interessierte sich einmal der 2008 verstorbene Paul Newman für diesen Stoff. Kaufte die Rechte, konnte ihn aber nicht mehr realisieren.

Nebraska. In jener Zeit. Mary Bee Cuddy (HILLARY SWANK) hat es geschafft. Sie, die ehrgeizige und gegenüber Sich-Selbst genauso unerbittliche spröde Frau um die Dreißig, hat sich auf ihrer Farm gegenüber Natur, Hindernissen, Entbehrungen durchsetzen, behaupten können. Sie steht voll „ihren Mann“. Allein. Die gottesfürchtige Mary Bee findet in diesem Methodisten-Nest im Nebraska-Territorium einfach keinen Partner. Obwohl sie sich gerne als Ehefrau „anbietet“. Doch für die Kerle ist sie zu autoritär. Viel zu emanzipiert. Viel zu dominant. Im Gegensatz zu anderen Frauen in der Gemeinde. Kein Wunder, dass nur sie einen äußerst schwierigen Auftrag des Geistlichen Dows (JOHN LITHGOW) zu übernehmen bereit ist. Drei Frauen sind an diesem Umfeld wie an den Behandlungen durch ihre Männer „kaputt“ gegangen. Wahnsinnig geworden. Nun sollen sie zurück in eine zivilere Gesellschaft gebracht werden. Die überaus schwierige Aufgabe wird es sein, sie 640 Kilometer in einem Planwagen nach Hebron in Iowa zu bringen. Zu transportieren. Eine mehrwöchige Expedition durch unerschlossenes, gefährliches Gebiet, bedroht von Hunger, Durst, Banditen. Und Indianern. George Briggs (TOMMY LEE JONES) ist ein Outlaw. Sieht aus, als wären ihm im Verlaufe seines schäbigen Lebens dutzende Rinder übers Gesicht gelaufen. Als ihn Mary Bee wimmernd an einem Baum aufgehängt findet, erkennt sie die Chance: der Halunke und unabhängige Herumtreiber wird gegen Rettung und 300 Dollar Honorar verpflichtet, ihr zur Seite zu stehen. Auf und bei dieser abenteuerlichen Odyssee. Bei der sich immer mehr die Frage stellt, wer hier eigentlich wirklich „verrückt“ ist.

Ein fulminanter Western. Mit Road Movie-Geschmack. Und intensiven Gedanken: Warum, zum Teufel, strengen sich „Unbeteiligte“ eigentlich dermaßen an, um völlig hilflose Frauen durch den lebensgefährlichen Westen in die Sicherheit zu führen? Warum überlässt man sie einfach nicht ihrem Schicksal? Wie DAS in so vielen Filmen „sonst“ der US-Lebens-Fall ist? Wieso eine derartige, völlig überraschende, verblüffende Humanität inmitten einer amerikanischen Kino- wie TV-Film-Welt, die sich ansonsten, also oft genug, einen Deibel um Mensch-Sein, humanen Verpflichtungen und Aufopfern für Andere schert? Und diese „Anderen“, Schwächeren, gerne (dramaturgisch) lieber schnell „beseitigt“, vor allem auch der vermeintlichen Kurzweil wegen, anstatt sich mit ihnen auseinanderzusetzen? Überhaupt: zu befassen? Und nun plötzlich dürfen, sollen beschädigte Frauen hier weiter-leben? Können? In solch einer sowieso schon völlig überkandidelten, geschädigten West- und Western-Welt? Von Damals? In der eigentlich doch nur das Leben von Männern / Kerle „Wert“ besaß?

Lauter wunderbare Denk-Frage- und Ausrufungs-Zeichen?! In diesem grandiosen Werk des ungeheuren Mitgefühls und der gleichzeitigen psychologischen Western-Spannung. Wo der Einzelne durchaus noch etwas „zählt“. Seiner Würde nicht enthoben ist. George Briggs ist erstaunt. Kann diesen Akt der konsequenten Humanität nicht begreifen. Und schon gar nicht verstehen. Sieht sich in der Zwickmühle. Gegenüber „seinen“ Interessen.

Als Erstes: Die Panorama-Bilder. Diese sensationellen atmosphärischen Prärie-Motive des Landschaftszeichners, Kamera-Asses und „Oscar“-Preisträgers RODRIGO PRIETO („Amores Perros“; „Brokeback Mountain“; „The Wolf of Wall Street“; „Argo“). Als phantastischer Seelen-Bestandteil der Geschichte. Nach außen hin wie im Innern. Eben noch das satte Grün, dann diese elende Herbst-Dürre, die bedrohliche Schnee-Kälte. Kraftvoll wie spürend. Hoffnung und Verlorenheit. Der Schauspieler Tommy Lee Jones zeigt sich als knurriger Saukerl zurückhaltend. Geht nur wenn nötig „in den Clinch“ mit Angreifern. Heldenhafter Macker zu sein ist hier nicht seine Absicht. Viel mehr lässt er seine Frauen brillieren. Wirken. „Oscar“-Lady HILLARY SWANK („“Boys Don’t Cry“; „Million Dollar Baby“) und ihre weiblichen Mitstreiterinnen GRACE GUMMER (als Arabella), MIRANDA OTTO (als Theoline) und HAILEE STEINFELD (die “Kleene” aus “True Grit” hier als Tabitha) sind von immenser Gefühls-Kraft. Und taffer Ausdrucks-Stärke. Im Licht wie im Dunkeln. Eine unter die Haut gehende, sensible Performance von spannenden Anti-Heldinnen im prallen, ordinären und buchstäblichen Wilden Westen. Vom Regisseur Tommy Lee Jones mit durchtriebenen Pointen bisweilen süffisant wie bitter begleitet. „Angehoben“.

Ein weiteres hörbares Plus: Die bemerkenswert „unterstützende“, einfühlsame Musik von MARCO BELTRAMI, die sogar Wind-Geräusche emotional-anspannend einzubinden vermag.

Zudem: Die Schluss-Sequenz ist unglaublich. Grotesk, lächerlich, schön. In der Interpretation: Unvergesslich.

Was für ein gewaltiger, schroffer, bescheidener, intelligenter Western. Nicht den bekannten und ausgetretenen Mythen und Fight-Details nachhechelnd, sondern mit eigenständigen „Erlebnissen“ sich faszinierend wie besonnen und klug ausbreitend. Findend. Ein Außenseiter-Movie. Kein Wunder, dass sich im Business-Hollywood niemand „dafür“ ernsthaft interessierte; erst mit Rest-Mitteln von europäischem Geld durch den mitproduzierenden Franzosen Luc Besson konnte der Film schließlich für 16 Millionen Dollar an nur 42 Tagen im Osten New Mexikos gedreht werden. Entstehen. Gott sei Dank. „The Homesman“ ist bald ein Klassiker des Western-Genres (= 4 ½ PÖNIs).

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