„HIGH-RISE“ von Ben Wheatley (GB 2014; B: Amy Jump; nach dem gleichn. Roman von J. G. Ballard/1975; K: Laurie Rose; M: Clint Mansell; 119 Minuten; Start D: 30.06.2016); wir hatten vor zwei Jahren schon so einen „zugkräftigen“ Stoff und Film, der das Dilemma der menschlichen Klassen-Gesellschaft in der Endzeit packend vorführte: „Snowpiercer“ von Bong Joon-Ho (s. Kino-Kritik).
Dieser themenähnliche Film jetzt basiert auf dem gleichnamigen Roman des in China geborenen britischen Science-Fiction-Schriftstellers James Graham Ballard (15.11.1930 – 19.9.2009), bekannt unter seinem Autoren-Namen J. G. BALLARD, der in vielen seiner Romane Weltuntergangsszenarien beschrieb, vom Zerfall sozialer Strukturen unter den Menschen angesichts der bevorstehenden zivilisatorischen Total-Auflösung erzählte. Steven Spielberg adaptierte 1987 für „Das Reich der Sonne“ (s. Kino-Kritik) einen Ballard-Roman; David Cronenberg 1996 ebenfalls für seinen Film „Crash“ (s. Kino-Kritik).
Der dystopische Roman „High Rise“ erschien 1975. Hierzulande kam er 1982 unter dem Titel „Der Block“ und 1992 unter dem Titel „Hochhaus“ heraus. Der Film folgt der Roman-Zeit, ist Mitte der 1970er Jahre in London angesiedelt. Für „die Avantgarde der Bessergestellten“ hat der snobistische Architekt Anthony Royal (JEREMY IRONS) ein gigantisches, 40stöckiges Hochhaus gebaut. Allerdings außen wie innen in einem seelisch geradezu desaströsen unappetitlichen Beton-Grau. Aber eben: Mit vielen Annehmlichkeiten wie Supermarkt, Schwimmbäder, Fitness-Einrichtungen, eigene Schulen. Wenn man kann, braucht man das Gebäude eigentlich überhaupt nicht verlassen. Man bekommt alles in den Stockwerken, was zum täglichen Bedarf benötigt wird.
Jedoch: Bei selbstverständlicher wohnlicher Klassen-Teilung. OBEN lebt der Bauherr. Der Schöpfer. Der sich als „Modernist“ versteht. Sein Bauwerk als „Schmelztiegel für Veränderung“ identifiziert. Mit verkorkster Gattin wohnt er in einer Art riesigem wie dekadentem Paradies. Mit grünem Garten, sogar einem Pferd, das ganze riesige Komfort-Programm. Darunter haben es sich „die Gewinner“ bequem gemacht. Steuerbetrüger, Absahner, Entscheider. Darunter „die Mittelschicht“. Unten hat das Prekariat „Platz“ genommen. Die gesellschaftlichen Untertanen.
Als Dr. Robert Lang (TOM HIDDLESTON) eine Wohnung im 25. Stock, also im Mittel-Bereich, bezieht, herrscht noch allgemeine häusliche Gelassenheit. Der geschiedene wohlhabende Arzt hofft hier auf Ruhe und Anonymität. Doch schon bald befindet auch er sich mitten drin in einem kollektiven Strudel aus offenem Streit und wütender Auflehnung, was zu einer fortschreitenden allgemeinen Enthemmung führt. Die schlechten Lebensbedingungen „unten“ spitzen sich zu. Kein Strom, nur noch Nahrungsreste, Attacken auf den Fluren: Anarchie und Brutalität sind annonciert. Zwischendurch: Hundefutter und Rotwein. Während „oben“ Orgien gefeiert werden, arten die „Etagen-Partys“ unten in offene Rebellion aus. Mit zunehmenden Fights. Motto: Triebe und Hiebe. Die Bewohner, besser: Insassen, werden zunehmend „defekter“. Ziehen und zielen in Richtung Festung Loft. Während sich Dr. Robert Lang mehr und mehr in „Verhältnisse“ und „Maßnahmen“ mit Nachbarn verstrickt. TOM HIDDLESTON, gerade in der TV-Serie „Der Nachtmanager“ nach John Le Carré überragend, wirkt in seinem intellektuellen Anzug-Part „zu theoretisch“. Müsste sich körperbetonter erklären. Um „aufzufallen“. Wie überhaupt insgesamt hier: Die Apokalypse wird in trockener Zeitlupe serviert.
Fazit: Eine ganze Fuck-Gesellschaft unter Beobachtung: Wer und was fällt einem alles ein: George Orwell mit seiner Überwachungswelt („1984“); der Zynismus aus Kubricks „Uhrwerk Orange“; von wegen: diese klaustrophobische Paranoia-hier; die Selbstgeißelung von allein gelassenen Menschen. Das Versagen des selbsternannten Oberhaupts, des Denkers und Lenkers im Epi-Zentrum Penthouse. Viele Gedanken, mit mächtigem Düster-Thrill ausgestattet, von einer Klasse-Suggestiv-Musik kommentierend begleitet, aber auch – mit vielem Stillstand. Wir haben’s ja längst kapiert, möchte man Regisseur Bean Wheatley („Sightseers/2011) des Öfteren in der Mitte zurufen, wenn sein Film anhält, sich in Wiederholungen ergießt, sich nicht vom – physischen wie psychischen – Fleck bewegt. Sich in surreale Motive verbeißt. Am Schluss hören wir Margaret Thatcher original, die 1975, im Jahr der Roman-Veröffentlichung, bekanntlich Vorsitzende der Konservativen Partei Großbritanniens wurde. Und fortan die neoliberale Dekadenz hoffähig machte. Als politisches Ausrufungszeichen: Verstehe.
„High-Rise“ spielt zu sehr Kopf-Nuss. Mehr wirkliche Denk-Härte mit Real-Geschmack und eine deftigere Angst-Anspannung wären wirkungsvoller. Ein Thriller ohne wirklichen Sog (= 3 PÖNIs).