„GODZILLA II: KING OF THE MONSTERS” von Michael Dougherty (Co-B + R; USA 2017/2018; Co-B: Max Borenstein, Zach Shields; K: Lawrence Sher; M: Bear McCreary; 132 Minuten; deutscher Kino-Start: 30.05.2019).
Gastkritik von Dr. Rolf Giesen
Logik ist eine Frage des menschlichen Verstandes, aber Godzilla II hat weder mit Logik noch mit menschlichem Verstand zu tun. Vielmehr ist der „Saurier-Mutant“ Godzilla II eine Missgeburt der amerikanischen „Kultur“industrie nach dem Geschmack von Präpubertierenden. Tatsächlich gab es ja einige Dinosaurier, die im Vergleich zu ihrer Größe ein vergleichsweise kleines Gehirn hatten. Obwohl der Pflanzenfresser Stegosaurus, dem Godzilla seine Knochenplatten verdankt, bis zu 7,6 Meter lang werden konnte, war sein Hirn nicht größer als eine Nussschale. Auch wenn Godzilla II über hundert Meter misst, braucht es nicht mehr Hirn, als in einer Nussschale Platz hätte, um dieses Super-Geschöpf aus der Computer-Retorte zu „verstehen“. Und wo wir schon beim Verstehen sind: Der Krieg der Monster in Godzilla II ist pure, ungesunde Gigantomanie – für Schwerhörige. Es scheppert, kracht und dröhnt in Dolby Surround, Dolby Atmos, DTS Neo X oder was auch immer, dass einem die Ohren abfallen, wenn man nicht schon taub ist. Nein, ein Gehör ist zum Verständnis dieses Films nicht unbedingt erforderlich. Menschen haben es in diesem Film sowieso schwer, sich akustisch bemerkbar zu machen. Sie müssen permanent schreien, aber was kann man schon schreien, wenn man den Hundert-Meter-Kolossen der Legendary-Unterhaltungs-Gesellschaft gegenübersteht?
Oh, shit! – Schöne Scheiße!
Bei der „kulturgeschichtlichen“ Deutung von derlei Hirngespinsten müssen wir tief hinabsteigen in die Gewölbe des Showgeschäfts.
Herrreinspaziert.
Hier sehen Sie die Frau ohne Unterleib! Den Menschen mit dem Kuhkopf!! Siamesische Zwillinge!!! Menschenfresser aus dem Herzen Afrikas!!!! Wir befinden uns in der Urzeit der Unterhaltung, in der Zeit vor dem Aufkommen der elektronischen Medien, als Sideshows, Freak Shows und Schaubuden die Gaffer animieren sollten, ihre Herzen und Portemonnaies zu öffnen und den Schaustellern den letzten Nickel zu opfern. Dann aber brach der Siegeszug des Nickelodeons an, wo man für ein paar Cent die animierte Puppe von King Kong, zerschossen von Modellflugzeugen, vom Empire State Building fallen sehen konnte.
Im 21. Jahrhundert muss da schon mehr geboten werden! Da plumpsen die Monster nicht mehr von Wolkenkratzern, da hauen sie diese wie Streichholzhäuser zu Klump. Für den Krieg der Ungeheuer werden diesmal gleich vier Monster zum Preis von einem aufgeboten, genau wie 1964, als die Tokioter Toho-Filmgesellschaft sie im identischen Viererpack auf das Publikum losließ (San Daikaijŭ: Chikyŭ Saidai no Kessen von Ishiro Honda und Eiji Tsuburaya). Neben Gojira (Godzilla) sind dies die Riesenmotte Mosura (US: Mothra), der gigantische Pterosaurier Radon (US: Rodan) und King Ghidorah, in den USA auch berüchtigt als Monster Zero. Ghidorah hat zudem noch drei Köpfe. Wenn das nichts ist! In einem der wenigen einfallsreichen Lichtblicke des neuen Films sieht man, wie sich die drei durchaus mal uneins sind. Jemand nennt sie gar Larry, Curly und Moe, in Erinnerung an die Komikertruppe der drei Stooges. Aber sonst darf hier nicht gelacht werden. Selbst unfreiwillige Komik geht unter in dem Gedröhn und Gebrülle. Es sollen doch eisig blau und vulkanisch rot gefärbte Bilder der Apokalypse entwickelt werden. Im Film werden die puerilen Alpträume, die in den Monstren Gestalt angenommen haben, als Titanen bezeichnet. In Washington versammeln sich schon die Demonstranten, die fordern: Kill the Titans! Besser hätten sie ihren Protest in Hollywood geäußert. (In der griechischen Sage sind die Titanen die Nachkommen der Erdgöttin Gaia und des Himmelsgottes Uranos und in die Unterwelt des Tartaros verbannt. Aber wen scheren schon die alten Griechen?)
Der ganze Zirkus mutet an wie ein Ausverkauf unter Blockbustern: Alles muss raus, Leute, alles wird in den Ring der gigantischen Catcher geworfen.
Beim Schreiben von Rezensionen wie dieser kommt man sich als Verstandesmensch reichlich debil vor. Schon George Orwell, der eine Zeit lang mit dem Schreiben von Filmkritiken verbrachte, behagte das Übergewicht an amerikanischen Produktionen nicht. Ihm missfiel die Tendenz zur Gewaltverherrlichung und das „völlige Fehlen von glaubwürdigen Charakteren, die zu der glänzenden Technik und den schmissigen Dialogen passen würden“. Was hätte er über Godzilla II geschrieben? Der „Vater von Big Brother“ konnte natürlich nicht ahnen, dass die glänzende Technik von heute digital ist, dass es in Filmen wie diesen nicht mehr auf schmissige Dialoge ankommt, und dass die großen Brüder von heute Google, Facebook, YouTube, Disney oder Godzilla heißen und globale Ableger des gelegentlich so apostrophierten amerikanischen „Kulturimperialismus“ sind. Die US-Kulturindustrie funktioniert wie ein multikultureller Staubsauger, heute mehr denn je: Ganze Kulturgeschichten wurden absorbiert und amerikanisiert, so wie hier die japanischen Kaiju (Ungeheuer). Die Japaner produzierten ihre Kaiju-Filme damals für eine Handvoll Yen, das Budget von Godzilla II wird, in der Hoffnung auf einen weltweiten Umsatz von bis zu einer Milliarde Dollar, mit 200 Millionen angegeben. Unter dem machen es richtige Blockbuster nicht. Das ist genug Schotter, um die Erde zwei-, was sage ich dreimal auf der Leinwand zu zerstören.
Aber halt! Selbst hier darf das menschliche Drama nicht fehlen. Wir sind doch im Kino und (noch) nicht in einem Computerspiel. Man will doch nicht 132 Minuten zusehen, wie sich Monster prügeln, beißen und mit radioaktiver sowie Laser-Strahlung zuballern. Legendary hat doch auch Schauspielerpersonal unter Vertrag: die Oscar-nominierte Vera Farmiga (Up in the Air), Kyle Chandler (The Wolf of Wall Street) oder das 2004 in Marbella (Spanien) geborene Model Millie Bobby Brown, das in der Netflix-Serie Stranger Things bekannt wurde. Diese drei verkörpern die Familie Russell. So wird es letztlich auch ein Kampf der titanischen Digitalen gegen die zwergenhaften Realen, und man braucht nicht allzu viel Verstand, um zu ahnen, dass die Realen in diesem Wettkampf hoffnungslos unterlegen sind.
Im Mittelpunkt der von drei überforderten Drehbuch-Autoren ersonnenen Fortsetzung des US-Godzilla von 2014, den das Publikum als ziemlich lahm empfand (Regisseur Gareth Edwards stieg bei Godzilla II denn auch frühzeitig aus und überließ die Sequel-Regie Michael „Krampus“ Dougherty), steht einmal mehr die Öko-These vom gestörten Gleichgewicht der Natur, das der Mensch verschuldet hat und nicht er, sondern nur Monstren wie Godzilla wieder korrigieren können. Zwei Organisationen haben sich diesem Thema und den Monstren verschrieben: die kryptozoologische Agentur Monarch und die Orca. (James Bond lässt grüßen.) Letztere ködert Frau Dr. Russell und ihre im Umgang mit großen Tieren hochbegabte Tochter Madison, doch als diese die sinistren, unheilvollen Absichten der Orca durchschauen, ist es schon zu spät und King Ghidorah aus dem ewigen Eis aufgetaut. Ehemann Mark Russell kämpft derweil auf Seiten von Monarch, und Godzilla, unterstützt von Mothra, hat alle Krallen voll zu tun, um nicht nur die bösen Artgenossen, die die Menschheit in Angst und Schrecken versetzen, in die Schranken zu weisen, sondern auch noch Zeit, die Familie zu retten und wieder zusammenzufügen. Dies geschieht vor allem mit Blick auf die Zuschauer in Asien, für die Family Reunion conditio sine qua non ist. Prügeln und kloppen darf man sich in Asien, dass die Fetzen fliegen, aber die Familie gilt, wie groß das Gemetzel auch sein mag, als heilig. Ansonsten sucht man Asiaten im Schauspieler-Ensemble vergeblich, mit Ausnahme des Nebendarstellers Ken Watanabe, der den Vorzeige-Japaner spielt. Er gibt sein Leben für die Wiederauferstehung von Godzilla, der mit einem Oxygen-Zerstörer zeitweilig unschädlich gemacht wurde. Ansonsten ist alles fest in US-amerikanischer Hand.
Die musikalische Bearbeitung, ebenfalls in amerikanischer Hand (Bear McCreary hat für TV-Serien wie Battlestar Galactica und The Walking Dead komponiert) ist nachgerade einfallslos und ohne jeden Drive. Hier und da gibt es ein paar Takte der Originalmusiken aus den japanischen Originalfilmen. Dann packt einen die Sehnsucht nach der preiswerten Unschuld vergangener Kino-Zeiten, als alles noch in Gummikostümen steckte, geübte Augen gelegentlich die Drähte erspähten und die zu zertrümmernden Gebäude schön haptisch wie Holzspielzeug waren und alles kein monströser Cyberkrieg (= 1 1/2 „Dr. Rolf Giesen“-PÖNIs).