GOD BLESS AMERICA

Sein Name: Frank Murdoch. Alter: So um die Mittelvierzig. Ein „öffentlich“ unscheinbarer Typ. Geschieden, eine kleine verzogene Gören-Tochter, die von ihm wenig wissen will, bei der Mutter lebt, die demnächst wieder heiraten will. Frank, der Kriegsveteran mit Pistole und Medaillen, ist Versicherungsvertreter, verbringt seine tägliche Arbeitszeit in einem Großraumbüro und wohnt in einem kleinen Haus-Appartement in Syracuse, New York mit der Nummer 5753 1/2. Wo die Wände dermaßen dünn sind, dass er den täglichen abendlichen Trouble der 5753er-Nachbarwohnung lauthals mitbekommt (Ehepaar mit dauerschreiendem Baby). Frank sieht fern. Das heißt, er schaltet den Fernseher ein, um dauernd herumzuzappen. Der Grund: Überall nur derselbe TV-Mist.

Frank ist ein an sich gutmütiger Mensch. Zivilisiert, respektvoll gegenüber seinen Mitmenschen, stets höflich. Freundlich. Kriegt aber zunehmend das Grausen, wenn er im Fernsehen diese inzwischen selbstverständliche Rundum-Primitivität, Häme gegenüber Schwächeren oder diese eklige Gewaltpornographie erblickt. Und zwar inzwischen auf jedem Kanal – Castingshows-Verblödung, radikale Prediger, Reality-TV um völlig überkandidelte Familien und deren durchgeknallten Nachwuchs. Wo Frank auch hin- und zuschaut, nur noch einfältiges Abschaum-TV. Verkauft als hippes, „wahres“ Leben. „Heutzutage ist alles so grausam, ich will einfach , dass das aufhört“, meint Frank zu einem Kollegen. Bevor er kurze Zeit später entlassen wird. Wegen angeblicher sexueller Belästigung am Arbeitsplatz (hat einer Kollegin, die ihm sympathisch ist, einen Blumenstrauß zukommen lassen). Aber das war es längst noch nicht mit den Horrormeldungen für Frank Murdoch, ganz im Gegenteil. Wir befinden uns erst ganz am Anfang seines persönlichen Alptraums: „Ich weiß, dass es nicht normal ist, sie töten zu wollen. Aber ich weiß auch, dass ich nicht mehr normal bin:

GOD BLESS AMERICA“ von Bobcat Goldthwait (B + R; USA 2011; K: Bradley Stonesifer; M: Matt Kollar, Linda Cohen; 105 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 07.11.2013).

Vielleicht klingelt es beim Leser, Bobcat Goldthwait, woher kenne ich DEN…; der am 26. Mai 1962 in Syracuse, New York geborene Robert Francis „Bobcat“ Goldthwait war in drei Kinofilmen der „Police Academy“-Reihe (Filme 2 bis 4) der überkandidelte Kadet Zed. Der mit der Fistelstimme. Darüber hinaus aber ist Bobcat Goldthwait ein in den USA geschätzter, erfolgreicher TV-Serien-Schauspieler, Komiker, Drehbuch-Autor, Fernsehregisseur. Einige seiner Gastauftritte in US-Late Night-Shows sind legendär, so 1993 in „Conan O’Brien“, wo er Möbel umwarf und dann ins Publikum lief, oder als er am 9. Mai 1994 in der „Tonightshow mit Jay Leno“ seinen Stuhl in Brand setzte. „God Bless America“ ist sein 5. Kinofilm (davor u.,a. „Sleeping Dogs Lie“/2006 und „Der größte Vati der Welt“/2009). „In welche Richtung entwickelt sich unsere Gesellschaft“, erklärt er im Bonus-Interview seine Motivation für diese großartige, bitterböse Satire. Als sozusagen aktuelle – gedankliche – Fortführung der einstigen Oliver Stone-Provokation „Natural Born Killers“ von 1994 (Story: Quentin Tarantino). Denn sein Frank Murdoch sieht rot. Als sein Arzt (übrigens ein unsensibles Arschloch vor dem Herrn) einen Gehirntumor bei ihm diagnostiziert. „Wieso halten wir an einer Zivilisationsform fest, wenn keiner interessiert ist, sich daran zu halten?“ Sagt er sich deprimiert, bringt sich doch nicht um, sondern zieht angewidert los. Um DIE „zu bestrafen“, „die es verdient haben“. Wie diese widerliche blonde Kindfrau-Zicke Chloe aus der Reality-TV-Sendung „My Super Sweet 16“, die gerade von ihren reichen Eltern mit einem „falschen“ Luxus-Auto beschenkt wurde und deshalb ausrastet. Wer sich „so“ dämlich aufführt, ständig beobachtet, begleitet von der gierigen Fernsehkamera, ist „fällig“. Gedacht, getan. Ausgeführt. Allerdings hat Frank fortan Teenager Roxy (TARA LYNNE BARR) als Fan und „Mitwirkenden“ an seiner Seite. Die 16-jährige ist Zeugin und will, ebenfalls angeekelt vom gesellschaftlichen amerikanischen Dreckszustand („Ich hasse dieses Land zutiefst“), „mitmachen“. Gemeinsam attackieren sie künftig extrem unhöfliche Kinobesucher, fundamentalistische Christen, Verkehrsteilnehmer, die mit ihrem Wagen gleich zwei Parkplätze blockieren, gehässige TV-Moderatoren. Tödlich. Und auch großmäulige „Tea Party“-Mitglieder müssen „dran glauben“.

„Was ist aus uns geworden, wenn wir die Schwächsten der Gesellschaft herholen, damit sie verspottet vorgeführt werden? Und ausgelacht, zu unserem persönlichen Vergnügen?“ Schließlich: „American Superstarz“ (= heißt im Film wirklich so) ist so etwas wie „Deutschland sucht den Superstar“. Auf US-TV-Format. Gerade haben sie dort einen offensichtlich Behinderten „an der Angel“. Der junge Bursche wird dort und dann allgemein im Land zum „hämischen Spott-Thema“. Deshalb darf er dort auch weitermachen. Weiter „singen“. Es ist der Entscheidungstag. Um die Superstar-Krone. Und Frank und Roxy sind auch anwesend. Die Abrechnung. Naht.

„Amerika ist ein grausamer, brutaler Ort geworden. Wir verehren die Dümmsten, Gemeinsten und die Lautesten. Keiner legt auch nur irgendeinen Wert auf Anstand. Keiner fühlt mehr Scham. Die schlechtesten Angewohnheiten der Menschen werden angebetet und gefeiert. Lügen und Angstmacherei sind okay, solange damit Geld zu verdienen ist. Wir wurden zu einer Nation von Slogans – nachplappernden, Gift und Galle spuckenden Aufhetzern. Wir haben unsere Güte verloren. Wir haben unsere Seele verloren“.

Natürlich eine Satire. Eine saftige. Böse und komisch. In ihrer eindrucksvollen Denk- und Handlungswut. Ein bislang unbescholtener „kleiner“ Bürger kriegt seinen Ekel nicht mehr unterdrückt. Vor und von all dem Mist drum herum. Selbstsucht, Gier, Arroganz, Rücksichtslosigkeit, permanente Unhöflichkeit, wenn du nicht „cool“ mitspielst, und eine immer schlimmer, überdrehter werdende idiotische Berieselung lassen den „guten Bürger“ Frank, verbunden mit seinen riesigen eigenen Problemen, verzweifeln. Also dreht er seinen individuellen Schutzschalter um und „handelt“. „Es ist ein Aufruf zur Nächstenliebe. In Form einer Satire“, erklärt der Autoren-Regisseur Bob Goldthwait seine Absicht. Aber auch: „In unserem Land gibt es nicht mal mehr hitzige Debatten. Nur noch Rufmord“. Und: „Es wird kein Widerspruch akzeptiert“. Also hat er diesen „Gegen die Gehässigkeit“-Film erfunden und inszeniert. Der diesen gesellschafts-feindlichen Nur-Noch-Konsum-Umgang pointiert und scharf auf die Unterhaltungs-Schippe nimmt.

„Was sie für einen Mist sie täglich konsumieren“, empört sich der sensationelle (und hierzulande wenig Kino-bekannte) Frank-Darsteller JOEL MURRAY, 48, im Interview-Gespräch im Bonusmaterial wütend. Der zumeist in populären amerikanischen Fernsehserien (wie „Mad Men“ oder „Dharma & Greg“) aufgetretene Schauspieler liefert hier eine wunderbar unangestrengte, plausibel sensible wie „handfeste“ Performance ab und zählt ab sofort zu den Großen im amerikanischen Business. WIE er diese desillusionierte Durchschnittstype so wunderbar tiefgründig zwischen Eigenentsetzen und Zynik-Wut balanciert, ist famos. Grandios. Packend. Faszinierend. So merkwürdig es sich anhört, aber zwischen all diesen oberflächlichen Schreihälsen, Scharlatanen, Verführern und Bekloppten drum herum ist er die mit Abstand „menschlichste“ Figur. Trotz seines widerlichen Tuns. Man ist bei ihm. Bei diesem Massenmörder Frank Murdoch. Und das Schlimme ist – permanent schleicht sich die fiese „Genugtuung“ ein, dass sich „Einer mal traut“. Fürchterlich, aber spannend. Wie so ein unkorrektes KINO wirkt. Zu provozieren versteht. Denn Amerika ist so weit von uns gar nicht einmal weg, darf man aktuell hierzulande annoncieren. Was die unflätige, also einfältige, primitive = gleich verblödende TV-Ausstrahlungskraft zunehmend(er) betrifft. Und auslöst. Immer ein bisschen dümmer mehr. Und noch geschäftstüchtiger mehr. Ein Frank Murdoch wäre durchaus bzw. endlich auch mal für das deutsche Kino ein spannendes Reiz-Thema. Aber es traut sich ja niemand. ODER?

GOD BLESS AMERICA“ ist mit klugem, weil ins Detail gehendem wie ausführlichem und umfangreichem Bonusmaterial ausgestattet – und im Rahmen der Heimkino-Filmreihe „KINO KONTROVERS“ als Nummer 14 erschienen. Die Empfehlung gilt. Nachhaltig. Was für ein stark nachhallendes DVD-/Blu ray-„Spaß“-JUWEL!!!!! (= 5 PÖNIs).

Anbieter: „Bavaria Media“

 

Teilen mit: