FRANKENWEENIE

„FRANKENWEENIE“ von Tim Burton (USA 2012; B: John August; nach einer Idee von Tim Burton; K: Peter Sorg; M: Danny Elfman; 87 Minuten; schwarz-weiß; deutscher Kino-Start: 24.01.2013).

Gastkritik von Caroline „Carrie“ Steinkrug 

Es ist „sein“ vierter Puppen-Animations-Film nach VINCENT (1982), NIGHTMARE BEFORE CHRISTMAS (1993; unter der Regie von Henry Selick) und CORPSE BRIDE (2005), der im Stop-Motion-Verfahren hergestellt wurde und somit eine lange Erfolgs- und ganz eigene Liebesgeschichte fortsetzt. Wie immer mit an Bord ist sein Haus- und Hofkomponist DANNY ELFMAN, der wieder einmal beweist, dass er sehr eindrucksvoll in die traditionellen Fußstapfen namhafter Komponisten (wie beispielsweise die von Hitchcock-Musiker BERNARD HERRMANN) treten kann. Denn sie steigen nun wieder auf aus ihren Gräbern: die Geschöpfe der alten, schwarz-weißen UNIVERSAL-Horrorklassiker, begleitet von dumpf-wabernden, düsteren Melodien – doch dazu später mehr.

Zunächst einmal sei erwähnt, dass die Geschichte von FRANKENWEENIE bereits 1984 als Vorfilm für die „Neu-Kinofassung“ von DISNEY`S PINOCCHIO veröffentlicht werden sollte, was allerdings von der Führungsseite der berühmten Zeichentrickstudios abgelehnt wurde. Diese empfand den 25-minütigen – zu dieser Zeit noch mit realen Schauspielern gedrehten Kurzfilm – als zu brutal für das von ihnen anvisierte Kinderzielpublikum. Denn wie der Name des Filmes schon vermuten lässt, stellte auch damals schon die Erzählung einen klaren Bezug zur alten FRANKENSTEIN-UNIVERSAL-Verfilmung von JAMES WHALE (1932) her, welche natürlich wiederum auf der Grundlage von MARY SHELLEY`S berühmten Gothic-Roman basierte.

In diesem Sinne begegnen wir als Zuschauer bei BURTON auch heute wieder dem gerade einmal zehnjährigen Victor Frankenstein (im Englischen gesprochen von CHARLIE TAHAN; im Deutschen synchronisiert von NIKLAS MÜNNIGHOFF), der mit seiner Familie und seinem geliebten Pit-Bull-Terrier Sparky in einer kleinen Vorstadt namens „New Holland“ lebt. In dieser tummeln sich ziemlich „burtonesk“ (ein Begriff, der gerne auf Filme angewandt wird, die düster, überspannt und verschroben sind) skurrile Figuren aller Art, die ihre vorstädtische Idylle mehr oder weniger zelebrieren. Und das bedeutet konkret: Barbecues, Baseball, Gartenpflege und allerlei öffentliche Veranstaltungen, an denen sich vorrangig „Mr. Bürgermeister“ (im Originalton gesprochen von TOM KENNY; im Deutschen mit der Synchronstimme von ALEXANDER DUDA) erfreut. Doch Victor ist anders als die Anderen. Denn er liebt die Wissenschaft – mit Leib, Seele und vor allem mit sehr viel Herz!

Diese Charaktereigenschaft kommt ihm letztlich auch zugute als es eines Tages zu einem tragischen Autounfall kommt, bei welchem der „Franken-Teenie“ seinen besten Freund, Hund Sparky, verliert. Inspiriert durch den Unterricht seines Naturwissenschaftslehrers Mr. Rzykruski (mit der Stimme des berühmten und ebenso grandiosen MARTIN LANDAU (im Deutschen gesprochen von ERICH LUDWIG), der bereits die Ehre hatte in Burtons Bio-Pic über den amerikanischen B-Movie Regisseur ED WOOD (1994) den legendären Schauspieler Bela Lugosi zu verkörpern), beschließt der Junge, sein geliebtes Haustier in klassischer Frankenstein-Labormanier wieder zurück ins Leben zu holen. Mit Erfolg! Aber während die beiden „Kumpels“, ein Wort mit welchem Victor seine Verbindung zu Sparky immer wieder sanft umschreibt, ihre Wiedervereinigung feiern, wittern bereits die unterschiedlichsten Neider ihre ganz eigene Chance, mit Victors eindrucksvollem Sieg über den Tod, beim Wissenschaftswettbewerb in der Schule den Pokal einzuheimsen… Und so beginnen die „Frankenstein-Kinder“ von „verbotenen“ Früchten zu naschen, die sie auf eine gefühlvoll-rasante Reise in das klassische Arsenal des Horror-Kinos führen!

Bereits beim Vorspann wird schnell deutlich, wie sehr DISNEY die Arbeit des „Gothic-Regisseurs“ über die Jahre hinweg zu schätzen gelernt hat. Das Oeuvre von einem Mann, welcher die so genannte „graveyard-poetry“ („Friedhofspoetik“) des viktorianischen Zeitalters zum Publikum liebevoll zurückträgt. Und das in einer Schatztruhe, die für jeden etwas bereit hält: für den Feuilleton, der sich an der hohen Kunst erfreuen kann; für den Filmliebhaber, der tief in die Filmgeschichte eintauchen darf sowie für den „normalen“ Kinogänger, der sich einfach nur erfreuen will an einer schönen, unterhaltsamen Geschichte über die tiefe Freundschaft zwischen einem Kind und seinem Hund. Es lohnt sich also in diesem Fall, die monströse Büchse der Pandora zu öffnen. Und genau dieser Schritt, den die DISNEY-Studios da gegangen sind, nämlich wieder zurück zu einem ihrer ureigenen Zeichenschüler – dem „melancholischen Magier“ (wie Mark Salisbury Burton in seinem neuen Buch nennt) -, war kein einfacher. Zumal es in der Vergangenheit zu einer harschen Trennung des Arbeitsverhältnisses gekommen war. Ironischerweise genau aufgrund dieser morbiden Figuren, die einen BURTON ausmachen. Erst sehr spät – mit ALICE IM WUNDERLAND (2010) – wurde das Kriegsbeil dieses sehr langen, künstlerischen Konfliktes wieder begraben.

Doch nun lassen sie ihn ENDLICH gewähren! Und zwar so wie er es SELBST für richtig hält! ZUM GLÜCK – möchte man schreien! Denn FRANKENWEENIE ist mit Abstand das persönlichste Werk, das BURTON jemals auf die Leinwand gebracht hat. Alles daran atmet die nostalgische Luft einer Liebe ein, die ihn zu dem macht; was er ist. Und ja! Er darf – ALLES! Eigens das berühmte Disney-Schloss (im Kino-Vorspann-Logo der Firma) verwandelt sich nahezu selbstverständlich in eine düstere, zerfallene Frankenstein-Burg; umgeben von Blitzen, Donnern und den dunklen, musikalischen Klängen einer sehr traditionellen Horrorfilm-Melodie. Eine Eröffnung gleich einer Adelung des Regisseurs, die DISNEY bereits dort in den ersten Sekunden fast ehrfürchtig „entschuldigend“ gewähren lässt. Und auch meine Angst, man könnte ihn hier (wie bereits bei der ALICE-Verfilmung) wieder an eine moralische Kette gelegt haben, die ihn dazu zwang auf gewisse Handstriche seiner Kunst bewusst zu verzichten, um die Richtlinien einer etwaigen Altersfreigabe zu wahren, verflog letztlich schnell. Denn in jeder Bildfaser steckt die Erinnerung an seine eigene Kindheit. An einen kleinen Jungen, der in Burbank aufwuchs, als Außenseiter, als Freak – aufgrund seiner Zuneigung für Monster, resultierend aus der Tatsache heraus, ANDERS zu sein – an ein Alter-Ego des Regisseurs, das seinen einzigen Freund, einen Hund, einst auf sehr tragische Weise verlor. Ein Verlust, welchem der Regisseur ständig in vielen seiner Filme nachsinnt. Denn kaum ein Werk von ihm gibt es, in dem KEIN Hund (zumindest kurz) über die Leinwand springt. Er schätzt die Verbindung zwischen Mensch und Tier und schenkt ihr eine Seele!

Ein „Seelengeschenk“, das auch der Animationstechnik schon sprichwörtlich innewohnt. Denn Stop-Motion versinnbildlicht durch die Belebung von leblosen Wesen ja bereits schon das, was das populäre Frankenstein-Motiv der „Wiederbelebung“ ausmacht. Mit einer der wichtigsten Gründe, so sagt Burton selbst, warum er diese Form der Filmherstellung so gerne nutzt, und die hier natürlich gleichwohl auf der Ebene der Erzählung ihre „schwarz-weiße“ Vollendung findet. Bedrückend kommt die Geschichte in diesen düsteren Nuancen daher, vor allem in dem Moment als Sparky vermeintlich sein Leben lässt. Allen Tierbesitzern (zu denen ich mich ebenfalls zähle) zerspringt das Herz und prompt keimen in einem selbst die ganz eigenen Momente der Kindheit wieder auf, in denen man mit dem einst so geliebten, tierischen Freund durch die Wälder streifte, um Abenteuer zu erleben. Vergangen sind diese Tage. Wie schön ist also da die Vorstellung, sie „wiederbeleben“ zu können? Wer wünscht sich das nicht? Und so lädt der Film ein: zum mit-leiden, zum mit-erinnern, zum mit-nostalgieren und zum mit-träumen… Genau darin liegt der eigentliche Reiz von FRANKENWEENIE!

Und Burton geht noch einen entscheidenden Schritt weiter. Es geht in seinem Werk nicht nur darum, einem einzelnen, verstorbenen Wesen wieder Leben einzuhauchen, sondern dem gesamten Kino an sich. Wir begegnen Puppen, die an all die großen Filmlegenden der schwarz-weißen Horror-Stummfilmzeit erinnern: VINCENT PRICE (optisch adaptiert in der Lehrerfigur); BORIS KARLOFF (als Klassenkamerad sowie als „Frankensteins-Monster-Maskenvorbild“ für Sparky); ELSA LANCHESTER (als FRANKENSTEINS BRAUT (1935), bedacht in der Frisur der Pudeldame Persephone); CHRISTOPHER LEE (als DRACULA (1958) – die Rolle seines Lebens! In „Frankenweenie“ ausgestrahlt im Fernsehen einer fiktiven Animationswelt. Was für eine Hommage an einen der ganz Großen!); dem japanischen Horrorklassiker GODZILLA (1954); DER MUMIE (1932) und vielen mehr. Und das macht Freude! Unglaublich viel SPASS! Denn ach wie schön waren die Zeiten, in denen noch „Bügeleisen“ als fliegende Untertassen an Schnüren vor der Kamera hin und her gezogen wurden, als noch „echte“ Schauspieler (und nicht die heutige Digitaltechnik) die Monsterfiguren verkörperten! Das ist kein ALTER SCHROTT! Das ist KULT… weil eben ab und an das Altbewährte vielleicht doch besser ist als das vermeintlich Modernere! Ein alter, zerfallener Teddy kann immer noch so viel mehr Zuneigung geben als eine blecherne Spielekonsole! So viel mehr Wärme… die hier wieder spürbar wird und melancholisch an uns herantritt.

Und gerade DIESES „Kino der Vergangenheit“ war gezwungen, noch viel mehr von sich preis zu geben, so viel mehr von sich persönlich zu investieren, um eine schöne Geschichte zu erzählen! Es musste auskommen ohne „KNALL und BUMM“ oder teure Spezialeffekte, die gegenwärtig oft sinnlos millionenfach in die Luft geblasen werden. Es geht TIM BURTON also um Besinnung! Um eine leidenschaftliche RÜCKbesinnung! Um die REANIMATION der Werte des „alten“ Kinos! Und genau DAS spricht eben jenen fantasievollen, zehnjährigen Victor Frankenstein in UNS an, der freudestrahlend den eigenen Eltern seinen handgemachten Super-8-Film „MONSTERS FROM LONG AGO“ zeigt, in dem sein bester Kumpel Sparky natürlich die Hauptrolle spielt…

„My dear old monster. I owe everything to him. He`s my best friend“ (= „Mein liebes altes Monster. Ich verdanke ihm alles. Er ist mein bester Freund.“), sagte einst BORIS KARLOFF über „sein“ Frankensteinmonster, dessen Darstellung für ihn den Grundstein zu einer Weltkarriere legte. Und genau dieses Gefühl – diese bedingungslose Liebe – unterschreibt TIM BURTON hier vorbehaltslos in seinem, wie ich finde, bisher größten Meisterwerk! Die inneren Werte zählen – und nicht die äußere Erscheinung, heißt es im Lied des Abspanns von FRANKENWEENIE! Ein Gedanke, den auch wir immer wieder in uns selbst „reanimieren“ sollten… (= 5 „Carrie“-PÖNIs).

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