GAINSBOURG – DER MANN, DER DIE FRAUEN LIEBTE

GAINSBOURG – DER MANN, DER DIE FRAUEN LIEBTE“ von Joann Sfar (B+R; Fr 2009; 121 Minuten; Start D: 14.10.2010); der am 28. August 1971 in Nizza geborene Film-Debütant hat ein Philosophie-Studium mit Auszeichnung abgeschlossen. Anfang der 90er Jahre begann er an der Kunsthochschule in Paris zu studieren, arbeitete als Comic-Zeichner und Szenarist bei einer Vielzahl von Comic-Reihen für Kinder und Erwachsene. Heute gilt der vielfach ausgezeichnete Künstler („Die Katze des Rabiners“, auch trickverfilmt) als einer der kreativsten und phantasievollsten Zeichner Frankreichs. Für seinen ersten Kinospielfilm, der mit einem Budget von 16 Millionen EURO entstand, adaptierte er die Biographie einer heimischen Ikone: SERGE GAINSBOURG (2.4.1928 – 2.3.1991). Allerdings anders als bekannte Personenbeschreibungen im Kino – märchenhaft, (im wahrsten Sinne) komplett überzeichnet, eigenwillig, originell, tragikomisch amüsant. Mit vielen stimmungsvollen künstlerischen Freiheiten versehen: „Gainsbourg übertrifft die Realität. Seine Lügen sind mir wichtiger als seine Wahrheiten“, lässt Joann Sfarr im Abspann übermitteln. Als Vorlage diente ihm sein eigener umfangreicher Comicband „Gainsbourg (Hors champ)“.

Am Anfang: Ein kleiner Junge und ein kleines Mädchen am Strand. Darf ich meine Hand in deine legen, fragt er? Nein. Du bist zu hässlich, antwortet sie. Und haut ab. Er scheint aber „damit“ keine Schwierigkeiten zu haben. Ist wohl „Abgrund“ eh gewohnt. Seelisch und überhaupt. Ganz klares Signal: Dies ist ein typischer Grenzgängertyp. Mit Sonder-Charme Marke extrem.
Serge G. wurde als Lucien Ginsburg inmitten einer russisch-jüdischen Immigranten-Familie geboren. Der Vater war Klavierspieler in Bars und Kabaretts. Sorgte für eine klassische Klavier-Ausbildung seines Sohnes. Doch immer mehr „entgleitet“ ihm der Junge. Der setzt mehr und mehr seinen eigenen eigenwilligen Kopf durch. Gibt sich selbstbewusst, zeigt sich clever. Als die Nazis immer näher anrücken, versteckt er sich im Wald.

Seit dem 13. Lebensjahr ist er Raucher. Zeit seines Lebens wird er die Zigarette kaum aus dem Mundwinkel nehmen. Wird als Zeichner, Chansonnier wahrgenommen und als Musiker bekannt. Entdeckt. Von immerhin Boris Vian und Juliette Gréco. Setzt fortan voll auf Musik. SEINE Musik. Wird hofiert. Hat Erfolg. Auch als Schauspieler. Und ist stets in phantastischer Begleitung von „Monsieur Gainsbarre“, auch genannt „Die Fresse“; der große Menschen-Comic-Kerl als personifizierter Selbstzweifel, mit riesigen abstehenden Ohren (wie G.) und einer langen, spitzen Pinocchio-Nase (verblüffend, beweglich, listig, spirituell, kokett: Der biegsame amerikanische Akteur DOUG JONES als verführerischer Masken-Kobold). Ein „Wahnsinns“-Duo. Das nun heftigst „ausschlägt“. Die Musik, der Alkohol, das Rauchen und die Frauen. Bzw. umgekehrt. 1965 gewinnt FRANCE GALL mit seiner Komposition „Poupée de cire, poupée de son“ den Eurovision Song Contest. Der Chansonnier als Beat- und Pop-Hero. Die erste Ehe, längst abgehakt, die zweite bald auch. Es geht hin und her.

G. ist Begehrlichkeit-pur. Kostet aus, nimmt alles mit. Genießt in übervollen, maßlosen Zügen. Keine Regeln, Begrenzungen, kein Ausruhen. G. mit Kumpan „Fresse“ auf der permanenten Überholspur. „Hat was“, das die Frauen magisch anzieht. Und wie. Und wieviele. Stars wie Brigitte Bardot, die sich verführerisch, kochend erotisch wie lasziv-sex an den abgefahrenen, angesagten Dandy-Pianisten rollt (superb, hinreißend identisch: LAETITIA CASTA) und einen Hit bekommt („Harley Davidson“). Dann aber zu Ehemann Gunter Sachs zurückrudert. Und den gemeinsamen Stöhn-Song „Je t´aime…moi non plus“ zurückzieht. DEN kriegt 1969 die nächste „Muse“ von Serge, die knabenhafte Britin JANE BIRKIN (einfühlsam interpretiert von der britischen Schauspielerin LUCY GORDON, die sich kurz vor dem Kinostart im Alter von 28 Jahren in Paris das Leben nahm).

Der Skandal ist perfekt, „der Musikproduzent“ ist ebenso empört wie begeistert (der kürzlich verstorbene CLAUDE CHABROL in einem letzten Kurzauftritt). Denn das Lied steht zeitweise auf dem Index, von wegen „Anstößigkeit“ (die vatikanische Zeitung „Osservatore Romano“ sprach von „beschämender Obszönität“), wird dadurch noch populärer, „begehrlicher“, verkauft sich innerhalb weniger Monate millionenfach und macht das provokante Paar international bekannt.1981 trennen sie sich, bleiben aber intensive Freunde. Gainsbourg, der dauerrauchende Kampftrinker, der ständig alkoholisierte Gitanest, driftet langsam ab. Lebt zuletzt mit der Sängerin Bambou zusammen; 1986 wird Sohn Lucien geboren. Der Herzinfarkt beendet ein „umfassendes“, „vielfaches“ Leben.

Das hier surreal bebildert wird, voller bunter Motiv- und Phantasiewelten, wunderbar unkorrekt, mit subversivem Feingeschmack, also ohne zu denunzieren, hämisch zu attackieren oder G. bloßzustellen. Bisweilen spielerisch ungereimt, unübersichtlich im Ablauf, aber jederzeit cool, in der Bewegung, Zeitsprache und in dieser „schmeckenden“ selbst- wie schwarzironischen Atmosphäre. Und einen SUPERSTAR in der Hauptrollen-Aktion besitzt: Wer eigentlich ist ERIC ELMOSNINO??? Der 46-jährige französische Bühnen-Schauspieler sieht nicht nur aus wie das zynische Ebenbild von Serge Gainsbourg, der steigt einfach auch grandios, faszinierend, in jedem Moment packend, voll zielend in die Gestalt, in die Figur, in den Charakter dieser französischen Legende ein. Trifft Seelen-Nähe und –Tiefe. Ist so etwas von beeindruckend, anti-sexy, authentisch, wild, kaputt, smokend…..eine absolute Gänsehaut-Darstellung. Durch ihn wird „Gainsbourg – Der Film“ zu einer Reise in das charismatische, obszöne, „verruchte“ Ich eines ganz und gar außergewöhnlichen Enfant terribles, eines spannenden „irren“ Lebenssüchtigen. Des gelbfingrigen Serge Gainsbourg.

„Gainsbourg, vie héroique“, etwa „Gainsbourg, ein heldenhaftes Leben“, riecht prächtig nach Kino-like (= 4 PÖNIs).

 

Teilen mit: