FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR

PÖNIs: (5/5)

„FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR“ von Sergio Leone (Co-B + R; It/Spanien/D 1964; Co-B: Duccio Tessari – nach dem japanischen Film „Yojimbo“ von Akira Kurosawa (1961); K: Massimo Dallamano; M: Ennio Morricone; 99 Minuten; deutscher Kinostart: 05.03.1965; Wiederaufführung: 21.12.1979; DVD-Veröffentlichung: 06.10.2005).

Wie wirkt heute etwas, das vor 15 Jahren wie eine Bombe einschlug? Wie wirkt heute ein Western, der vor einer Generation für ein neues Genre-Klima sorgte? Wie wirkt heute der erste der sogenannten „Spaghetti-“ oder “Italo“-Western? Um den vollen Umfang dieser Fragen zu erörtern, begeben wir uns zunächst zurück an den Anfang, in das Jahr 1964.

1. DAMALS – DER HINTERGRUND
In jener Zeit, so Mitte der 60er Jahre war der Western ausschließlich eine Domäne Hollywoods. Die einsamen tapferen, leidenden und bravourös um die gerechte Sache kämpfenden Helden hießen in ihrer A-Statur John Wayne, Richard Widmark, Kirk Douglas oder Glenn Ford. Der europäische Film ging gerade daran zu versuchen, wenigstens etwas von dieser amerikanischen Vorherrschaft durchbrechen zu können. Karl May hieß beispielsweise hierzulande das Rezept, und diese zumeist (aus Kostengründen) in Jugoslawien hergestellten Abenteuergeschichten hatten anfänglich, z.B. “Der Schatz im Silbersee“, sogar beträchtlichen Publikumsanspruch. Aber die Deutschen verhunzten diesen guten Start sogleich auch wieder, indem sie daraufhin eine (wie bei den Edgar-Wallace-Verfilmungen) bald nur noch unappetitliche, dahin geschluderte, nur mehr auf die schnelle Kasse zielende Dauer-Serie machten, deren einzelne Folgen lieblos zusammengeschusterte Werke ohne Spannung, gescheite Dramaturgie und optisch ansprechende Zubereitungen waren. Ungefähr zu diesem Moment kam Sergio Leone mit seinem ersten Western auf den Markt. Dieser war aus Restgeldern einer anderen Produktion hergestellt worden und sollte nicht nur zu einem sensationellen Publikumserfolg werden, sondern auch zu einem Meilenstein in der an Überraschungen gewiss nicht armen Leinwandgeschichte der Neuzeitgeschichte.

2. DIE VORBEREITUNG
In seiner Ausgabe vom 2. Mai 1964 informiert das Branchenblatt “Film-Echo“ über die Dreharbeiten zu einigen neuen europäischen Western wie “Old Shatterhand“, „Freddy und das Lied der Prärie“ und “Das war Buffalo Bill“ (Originaltitel: „Buffalo Bill, l‘eroe del Far West“) und vermerkt unter ferner liefen: “Wie ein italienisches Blatt berichtet, soll ‘Jolly-Film‘, Rom, ein Co-Produktionsabkommen mit ‘Constantin-Film‘, München, getroffen haben, das ebenfalls die Herstellung von zwei Western in italienisch-deutscher Produktionsgemeinschaft zum Gegenstand vorsieht. Unter der Spielleitung des italienischen Regisseurs Sergio Leone wurde mit den Aufnahmen zum ersten Film bereits begonnen, der den italienischen Titel ‘Texas-Joe, il magnifico straniero‘ (Texas-Joe, der Fremde) führt und an dem noch die spanische Firma ‘Ocean-Film‘ beteiligt ist. Die Handlung (situiert sich) um 1870 nach den Sezessionskriegen an der Grenze zwischen Texas und Mexiko und erzählt von einem Mann, der sich in die Kämpfe zweier rivalisierender Banden einschaltet. Für die Titelrolle hat man den amerikanischen Cowboy-Darsteller Clint Eastwood verpflichtet.“ Ein Jahr später kündigte der italienische Verleiher diesen Film unter dem neuen Titel “Per un pugno di dollari“ an, der Constantin-Verleih unter dem Titel “Nur einer kam zurück“. Als Inszenator wurde in Italien ein Bob Robertson genannt, in der Bundesrepublik ein Georg Schock. “Interessanterweise herrschte in Italien der Glaube, die Italiener schätzten nur Western, die von Amerikanern gemacht sind, während nach deutscher Verleiher-Meinung nur eine einheimische Kraft für die Beherrschung des Genres bürgt“ (Joe Hembus in seinem „Western-Lexikon“).

Als der Film schon kurz nach seiner italienischen Erstaufführung zu einem Riesenerfolg wurde (in seiner Erstauswertung hat der für verhältnismäßig wenig Geld hergestellte Streifen allein in Europa 7 Millionen Dollar eingespielt), durften Sergio Leone und seine Mitstreiter, die zunächst ebenfalls amerikanische Pseudonyme führten – Gian Maria Volonte = John Wells, Massimo Dallamano = Jack Dalmas, Ennio Morricone = Leo Nichols/Dan Savio – zu ihrer Identität zurückkehren. Und auch bei uns kam der Film dann unter dem Titel “Für eine Handvoll Dollar“ heraus (wenngleich im Vorspann noch all die amerikanischen Namen auftauchten). Und wurde dann wie in Italien zu einem unglaublichen Erfolg.

3. DIE GESCHICHTE
Der Film “stellt die Wiederfindung des Westerns aus dem Geist des italienischen Schelmenromans und des japanischen Samurai-Films dar und den wirklichen Beginn des Italo-Western“ notiert Joe Hembus. Was war geschehen? Im Jahre 1960 hatte der renommierte japanische Regisseur Akira Kurosawa einen Film mit dem Titel: “Yojimbo“ (Der Leibwächter) gedreht, der bei der Biennale von 1961 vorgeführt und zu einem der erfolgreichsten Festivalbeiträge wurde (hierzulande war der Film noch nicht im Programm, vermutlich wegen seiner überstarken Grausamkeiten). Hauptdarsteller war Toshiro Mifune, einer der berühmtesten Schauspieler Japans. Kurosawa, der ein Verehrer des amerikanischen Western ist, damals über seinen Film: “Die Story ist so faszinierend, dass ich mich wundere, dass vor mir noch niemand darauf gekommen ist. Die Idee ist, dass man zwei rivalisierende Parteien hat, und dass beide Parteien gleichermaßen schlecht sind. Das ist eine Situation, die die meisten schon einmal erlebt haben: Man steht hilflos in der Mitte und kann sich unmöglich zwischen diesen beiden Übeln entscheiden“.

Und nun taucht ein Mann auf, der diese Situation erkennt und daraus für sich Nutzen zu ziehen vermag. Der stark und clever genug ist, die Situationen zu meistern, ohne sich dabei emotional zu engagieren, der nur auf seinen Vorteil sieht und danach handelt. Und der im Übrigen davon überzeugt ist, nicht besser, “anständiger“, als die zu sein, die er für seine Zwecke benutzt (“Ich werde euch am Eingang der Hölle erwarten“, sagt Yojimbo zu seinem letzten verblutenden Gegner). Eine moralische Feststellung und Verfremdung, wie sie damals für die Leinwand fremd war. Leone sah diesen Film und war beeindruckt. Für ihn stand fest, eines Tages daraus ein Western-Thema zu machen. Leone, Jahrgang 1921, hatte lange Jahre als erster Assistent bei über 80 Spiel- und Kurzfilmen mitgewirkt, u.a. bei de Sica, Le Roy („Quo Vadis“, 1951) und Wyler („Ben Hur“, 1959), und hatte 1960 sein Regie-Debüt mit der „Der Koloß von Rhodos“ gegeben, einem recht erfolgreichen Monumentalschinken.

Der kommerzielle Erfolg ermöglichte es ihm, Regisseur des zweiten Produktionsstabes von Robert Aldrichs „Sodom und Gomorrah“ (1961) zu werden. Als es dann darum ging, schnell und billig aus „Restgeld“ einer Produktion einen Western zu machen, kam man auf ihn zurück. Leone schrieb dann gemeinsam mit dem heute als Action- und Horrorspezialisten auftretenden Duccio Tessari das Buch und machte sich an die Fertigstellung, wobei er sich stark an das japanische Original hielt.

Seinen Helden nennt er Joe. Joe ist ein amerikanischer Ex-Sergeant, der kurz nach dem Bürgerkrieg nach San Miguel kommt, einem kleinen Kaff an der mexikanischen Grenze. Zwei Familien, zwei Sippen, beherrschen den Ort. Die Baxters und die Rojos. Beide leben von Schmuggel, die einen mit Waffen, die anderen mit Alkohol. Beide sind verfeindet und ringen ständig mit aller Gewalt um die örtliche Vorherrschaft. Joe tritt zunächst in die Dienste der Rojos, weil er sie für die Stärkeren hält. Er lehnt jedoch die dort angebotene Unterkunft ab und quartiert sich beim Cantina-Wirt Silvanito ein. Von dort aus beginnt er sein doppeltes Spiel und beobachtet die Wirkung. Er schafft ständig neue Spannungsmomente und sorgt durch sein hinterhältiges, listiges Auftreten, dass sich die Gringos beider Lager permanent selber reduzieren. Bis Ramon Rojo (GIAN MARIA VOLONTE) dahinterkommt und ihn halbtot prügeln lässt. Aber er kann sich aus dieser Klemme nochmal befreien und gelangt mit Hilfe des alten, kauzigen Totengräbers Piripero (= der aus deutschen Schnulzen- und Heimatfilmen bekannte österreichische Mime JOSEF EGGER) aus der Stadt. In einer Höhle in den Bergen kommt er wieder zu Kräften und kann sich in Ruhe auf den großen Showdown vorbereiten. Die Rojos haben inzwischen die Baxters ausgerottet, weil sie bei denen Joe vermuteten. Gerade als sie dabei sind, den Wirt zu lynchen, taucht Joe aus der Versenkung auf und nimmt grausame Rache. Danach reitet er weiter.

4. DER ERFOLG
Zwei Gründe sind zu nennen, wenn es um die Frage nach den damaligen Erfolgsgründen geht. Der eine ist die Gestaltung der Titelfigur und ihre Interpretation durch CLINT EASTWOOD. Ursprünglich wollte Leone den damals ebenfalls noch unbekannten Charles Bronson für die Hauptrolle haben, aber der lehnte ab. Schließlich kam er auf Clint Eastwood, einen 34-jährigen Amerikaner, der nach einer bis dahin wenig erfolgreichen Filmkarriere eine der Hauptrollen in der auch bei uns gezeigten TV-Western-Serie „Rawhide“ „auffallend“ mitgespielt hatte (deutscher ARD-Serien-Titel: „Cowboys“; deutscher Titel bei der Ausstrahlung auf Pro7: „Tausend Meilen Staub“). Und die Rolle des anonymen, nur auf sich bedachten Einzelgängers, der in einer Welt ohne Moral, Gesetz und Religion nur für seinen Vorteil lebt, war ihm auf den Leib geschrieben. Zwar sagt er hier einmal in einer Szene zu Marisol (die deutsche Schauspielerin MARIANNE KOCH), einer jungen Frau, die der reiche und stärkere Rocco einem armen Burschen einfach weggenommen hat, auf die Frage, wieso er ihr und ihrem Mann helfe: „Ich kann nun mal keine Ungerechtigkeit vertragen“, aber das klingt gegenüber seinem sonstigen Auftreten nur mehr zynisch und widersinnig. Joe ist ein ebenso eisiger, brutaler Outlaw wie seine miesen Gegenspieler, und nur seine perfekten Schießkünste gestatten es ihm, Richter und Henker zugleich zu sein. Er weiß das und handelt danach. Dass er dennoch auf uns so faszinierend und identifizierend wirkt, unterstreicht einmal mehr die Perversion unserer Zeit, die dem Stärkeren und Klügeren den Vorteil einräumt. Zugleich aber sind diese Merkmale überzeugender und glaubwürdiger, weil sie der Realität eher entsprechen als die bis dahin zur Schau gestellten heroischen und kitschigen glorreichen Helden-Figuren aus den Hollywood-Western.

Erfolgsgrund Nr. 2 ist die Musik. Der Film begründete auch die Karriere von ENNIO MORRICONE, einem Komponisten, der von der experimentellen Musik kommt. „Künstlerisch gesehen, leben Ennio und ich einer katholischen, also unauflöslichen Ehe“, sagte Leone später in einem Interview. Der durchaus in Verwandtschaft mit einer Art Oper zu sehende bzw. zu hörende Film rührt daher, dass er nach Musik in Szene gesetzt wurde: Leone erzählte seinem Freund Ennio die Story, der schrieb dann den Soundtrack, nach dem Leone dann das Drehbuch fertigte. Auf diese Art und Weise entstanden dann auch die weiteren Leone-Filme, die immer mehr auch zu Morricone-Filmen wurden: „Zwei glorreiche Halunken“, „Todesmelodie“ und vor allen Dingen natürlich dann „Spiel mir das Lied vom Tod“, die wohl größte, schönste und beste Western-Oper aller Zeiten. Morricones Musik schafft durch ihre dramaturgische Verwendung die Distanz zum teilweise brutalen Geschehen, kehrt das Ganze zum Spiel zurück, vermittelt Vergnügen und Lust inmitten einer sonst keineswegs vergnüglichen, lustvollen Szenerie. Das Zusammenkommen des pfiffigen, gewitzten Inszenators Leone mit dem einfallsreichen, virtuosen Komponisten Morricone ist ein Glücksfall wie er in der Filmlandschaft ganz selten vorkommt. Einer wäre ohne den anderen nie zu der Größe gekommen, wie sie heute feststeht.

5. DIE KRITIK VON DAMALS
Heute die Pressestimmen von damals zu lesen bereitet einiges Vergnügen. Wie immer nämlich bei sogenannten „Nur-Genre-Filmen“ war sich die überwiegende Anzahl der internationalen Kritik einig in der Ansicht, es hier mit einem Allerweltsfilm, einem schäbigen Dutzendprodukt, zu tun zu haben, von dem kein Aufhebens zu machen sei. Die Pariser Filmzeitschrift „Cinema 66“ schrieb: „Von dieser Hekatombe von Horatiern und Kuratiera an der mexikanischen Grenze, von diesem naiv-brutalen, ahnungslosen und letztlich abstoßenden Film wird nichts bleiben als die Erinnerung an ihren Hauptdarsteller Clint Eastwood“. Das „Time“-Magazin stellte kurz und hämisch fest: „Like the villains, the picture was shot in Spain. Pity it wasn’t buried there“. Während hierzulande der „Film-Dienst“ urteilte: „Spannungsreich inszenierte europäische Western-Kopie, deren Hang zur Brutalität und Sympathisierung mit den fragwürdigen Methoden der vorgezeigten Privatjustiz nicht unwidersprochen bleiben kann – Einwände“.

6. DIE WIRKUNG HEUTE
Natürlich ist es nun nicht mehr die große Überraschung. Heute sind selbst derartige Gewalt-Details keine Seltenheit mehr auf der Leinwand. Auch sind mittlerweile Morricones Melodien hinreichend populär. Ebenso wie ein Eastwood, der heute ein Hollywood-Star ist. Von der Moral ganz zu schweigen, da sind inzwischen ganz andere Tabus durchbrochen, da wirken die Bemühungen hier nur noch wie ein altväterliches Kasperlespiel. Lynch-Dramen à la „Ein Mann sieht rot“ haben diesbezüglich inzwischen ganz andere Auswüchse gezeigt. Was also bleibt, ist die Reminiszenz an den Beginn der Neuformierung eines beliebten Genres. Durch diesen Anfang konnten neue, andere, aufregende Arbeiten hervorkommen, wurde der Weg geebnet für weitere kritische, schöne, spannende Leinwandkost, ebenso wie für viele Müll-Nachfolger natürlich. Dank Leones Western-Debüt geriet damals etwas in geharnischte Bewegung in der internationalen Film-Szene. Und das allein stellt diesen Film zu jeder Zeit auf eine besondere Stufe, gibt ihm stets einen speziellen Blickwinkel: den des Klassikers.

Leone, der damals über die mitunter nicht sehr feinen Kritik-Worte seines erfolgreichen Filmes ziemlich erbost war, wusste, dass sich seine Gegner eines Tages eines Besseren besinnen würden. Er machte sich sogleich daran, gemeinsam mit Morricone einen zweiten Western vorzubereiten. Der kam ein Jahr darauf, hieß „Für ein paar Dollar mehr“ und wurde zu einem neuerlichen Erfolg. Und: Auch die Kritik begann, die Qualitäten des Sergio Leone anzuerkennen (= 5 PÖNIs).

Anbieter: „Paramount Home Entertainment“.

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