„FRAU MÜLLER MUSS WEG!“ von Sönke Wortmann (D 2014; B: Lutz Hübner, Sarah Nemitz + Lutz Hübner; nach dem gleichnamigen Bühnenstück von Lutz Hübner; K: Tom Fährmann; M: Martin Todsharow; 87 Minuten; Start D: 15.01.2015); Dresden, immer wieder Dresden. Hauptstadt des Freistaates Sachsen. Erst Pegida, jetzt noch diese Protest-Eltern. Schon wie sie über den Parkplatz des Schulhofs anrücken, geradezu einmarschieren, lässt eine drillige Wut-Wonne ahnen. Wie Soldaten mit ohne Uniform, die einen ganz dringenden Auftrag, nein: Befehl, auszuführen haben. Mit enormem Vernichtungscharme. Dabei sind diese fünf Herrschaften, die sich an einem Samstag-Nachmittag in der Juri-Gagarin-Grundschule einfinden, „bloß“: Eltern. Allerdings – besorgte Eltern. Die Nerven liegen blank. Denn der anstehende Übertritt aufs Gymnasium ist bei ihren Sprösslingen aus der Klasse 4b arg gefährdet. Also wollen sie die Klassenlehrerin, Frau Müller, sprechen. Eigentlich aber nicht nur sprechen, sondern gleich auch „feuern“. Im Namen der gesamten Elternschaft. Die sie hier vertreten. Denn natürlich liegt das Versagen ihrer Kinder nicht bei denen, sondern bei dieser „unfähigen“ Pädagogin. Die „ganz offensichtlich“ „hoffnungslos überfordert“ ist. Und sogar, wie man vermutet, sich in „therapeutischer Behandlung“ befinden soll. Kurzum: Frau Müller geht gar nicht. Mehr. Soll weg. Möglichst umgehend. Also gleich. Sofort. Meint dieses Fünfer-Komitee. Bestehend aus der Sprecherin, einer knallharten Karriere-Frau namens Jessica Höfel („Ich bin hier heute angetreten, weil ich Laura auf dem Gymnasium haben will; alles andere ist mir scheißegal“), gespielt von ANKE ENGELKE; dem arbeitslosen Wolf Heider (JUSTUS VON DOHNÁNY), der offensichtlich seiner Tochter tägliche Schul-Angst requiriert und sich ihr Versagen gar nicht erklären kann beziehungsweise will („Leistungsschwach ist nicht das richtige Wort für Janine“); dem aus Köln zugereisten „Wessi“-Ehepaar Marina und Patrick Jeskow (MINA TANDER + KEN DUKEN), die ihren Sohn, einst ein Waldorf-Musterschüler („Hochbegabt haben sie auf der Montessori-Schule gesagt, hochbegabt“), HIER, „im Osten“, von der Klassengemeinschaft ausgegrenzt sieht und vor allem darüber reden will. Nur die alleinerziehende Katja Grabowski (ALWARA HÖFELS) bleibt in diesem aufgebrachten Mengengelage erstaunlich gelassen, schließlich ist ihr Sohn Klassen-Primus und hat die Versetzung aufs Gymnasium sicher. Frau Grabowski macht aus Solidarität mit. Währenddessen Frau Müller (GABRIELA MARIA SCHMEIDE) perplex ist. Hatte sie doch eine „vernünftige“ Elternversammlung erwartet und kriegt nun DAS zu hören: Vorwürfe wegen Unfähigkeit; Versagen in der Ausbildung der Kinder; viele eigene Defizite. Auch persönliche. Frau Müller aber gibt nicht klein bei, sondern kontra. Geht ihrerseits zum Angriff gegenüber. Stellt das Verhalten der Kinder auf den Prüfstand und wirft den Erzeugern latente Fehleinsicht und häusliches Falschverhalten vor. Was zu diesen absurden Fehleinschätzungen geführt habe. Sie, die Eltern, wissen gar nicht, was ihre Kinder wirklich in der Schule anstellen. Und wirklich verunstalten. Als sie nach ihrem verbalen Rundumschlag – ohne ihre Tasche mitzunehmen – aus dem Klassenzimmer stürmt, hinterlässt sie aufgebrachte, ratlose und nun überhaupt nicht mehr einig seiende, ordentlich gedanklich „durchgeprügelte“ Typen. Es wird kino-like krawallig. Weil DIE zunehmend beginnen, sich selbst bissig-komisch anzugehen. Zu zerfleischen. Und damit ihre reichlich beschädigten Charaktere pointiert pö a pö vorzuführen. Auszuschütten. Was für viele ulkige wie intelligente Gedanken-Späße sorgt. Für unsere – schmunzelnde – Erkennung. Der originären Wieder-Erkennung. „Frau Müller muss weg“ ist eine scharfe, blitzgescheite wie höchst amüsante, also clever unterhaltsame deutsche Gesellschafts-Komödie. Mit viel Aktualitätsgeschmack. Von wegen dem immer noch latenten „Ost-Hass“. In jeder Interpretation. Hüben wie drüben. Und einem bitterem Eitelkeiten-Charme. Seitens der Erziehungsberechtigten. Von wegen die „Gören“ so schnell wie möglich an die Herausforderungen des Lebens heranführen und gewöhnen. Zu starken Mitgliedern der Gemeinschaft trimmen, auf dass die „Konkurrenz“ keine Chance hat. Vergnügungslos kämpfen, lautet das Motto dieses überkandidelten Eltern-Haufens. Als Daseins-Motto für ihren Nachwuchs. Ob „Kind“ dies kann, will, möchte, ist unwichtig. Wir „befehlen“, Du „machen“. Basta. Alles paletti. Wenn es bloß diese Frau Müller nicht gäbe. Die ihre Kinder „offensichtlich“ „nicht richtig“ behandelt und vor allem – falsch bewertet. Benotet. Deshalb, siehe Titel. Verzweifelt ringt man um einen Konsens, öffnet sich dabei unwillkürlich wie eigentlich gar nicht beabsichtigt seelentief und zeigt sich dabei immer konträrer. Erbärmlicher. Da steht der Moralismus der Arbeitslosen plötzlich dem Pragmatismus derjenigen gegenüber, die GELD verdienen. Und haben. Alte und neue Ressentiments von Ost und West (und umgekehrt) prallen aufeinander. Als wäre die Mauer erst gestern gefallen. Die eigenen Defizite treten offen und voll-krass zutage. Bei diesen phänomenalen sogenannten „Helikopter-Eltern“. Man geht ans Eingemachte. „Ringt“ sich buchstäblich in Rage. Dann aber ist ja da noch die Tasche. Die zurückgebliebene. Von Frau Müller. Was plötzlich zu einem verblüffenden Opportunismus dieser eigentlichen Müller-Gegner führt. Als die Lehrerin zurückkehrt. Allerdings… 2010 hatte das gleichnamige Bühnenstück des Co-Drehbuch-Autoren LUTZ HÜBNER, geboren am 16. Januar 1964 in Heilbronn, in Dresden Uraufführung. 2012 inszenierte es SÖNKE WORTMANN am Berliner „Grips-Theater“. Seine filmische Adaption kann sich sehen und vor allem hören lassen. Sönke Wortmann, inzwischen 55 und dreifacher Vater, bekannt geworden durch komödiantische Volltreffer wie „Der bewegte Mann“, „Der Campus“ und „Das Wunder von Bern“ und zuletzt „abgestürzt“ bei der Adaption der „Schoßgebete“, trifft den „komischen“ Nerv unserer Zeit: WIE in dieser immer hektischeren, nervösen, aggressiven Gesellschaft mit den eigenen Moral- und Leistungs-Werten und Ansprüchen „richtig“ umgehen? Wieso erweisen Eltern sich häufig als verklemmte, egomanische, also totale Spaß-Verderber für ihre Kinder? Warum dürfen immer mehr Kinder nicht mehr einfach Kinder während ihrer Kinderjahre sein? Warum werden Kinder heutzutage schon früh dermaßen „gedrillt“? Zuhause wie überhaupt? Dabei lässt Sönke Wortmann den Zeigefinger völlig außen vor und gibt sich hintergründig-witzig wie herrlich augenzwinkernd hämisch. Ironisch a la Grönemeyer: Gebt lieber den Kindern das Kommando…, denn diese ihre Eltern sind viel zu unreif…. Das Ensemble ist saustark. Vortrefflich emotional präsent. Absolut Figuren-skurril-überzeugend. Genau die stimmungsvolle Balance zwischen Sinn und Spaß auslotend. Zielsicher die Lachmuskeln treffend. Ohne albern herum zu blödeln, ganz im vergnüglichen Gegenteil: Herrlich mundsicher wie köstlich pointiert tönend in Sachen doppelbödigem Egoismus, gepaart mit pikantem Frust-Twist. „Frau Müller muss weg“ unterhält prächtig, ohne den Kopf zu unterfordern. Sozusagen: „Der Gott des Gemetzels“ (von Autorin Yasmina Reza und Filmregisseur Roman Polanski) nunmehr in der kompetenten deutschen Version. Mit einer geradezu sensationell auftrumpfenden ANKE ENGELKE als 1. Ton-Frau. Als Jessica-Anführerin mit snobistischer Schnoddrigkeits-Kälte. Als konsequente Power-Furie. Auch noch im Fallen „überlegen“ hantierend. Die Engelke ist körpersprachlich eine einzige prächtige Wut-Wucht. Eine Klasse Performance! JUSTUS VON DOHNÁNY unterstreicht als völlig überforderter Wolf-Vater einmal mehr seine grandiose darstellerische Begabung als sentimentaler Spießer. Und faszinierender Zeter-Clown. (Schade, dass Quentin Tarantino ihn nicht kennt). Während die gute GABRIELA MARIA SCHMEIDE, seit dem Drama „Die Polizistin“ von Andreas Dresen (2001/„Adolf-Grimme-Preis“ in Gold) bekannt, ihre attackierte Frau Müller in Timing und Zwischentönen bestechend präsentiert. Was für ein gelungener Wurf von einer exzellenten deutschen Komödie. Höchst unterhaltsam, prima zu empfinden. Warum sich die BERLINALE mal wieder einen – deutschen – Eröffnungsknaller für demnächst (65. Berlinale vom 5.-15. Februar 2015) hat entgehen lassen…, aber das ist ja schon normal („Das Leben der Anderen“ „taugte“ ja damals auch nicht für die Berlinale). Wahrscheinlich ist „Frau Müller muss weg“ bei allem Pädagogik-Problem-Stress viel zu amüsant für den „Roten Berlinale-Auftakt-Teppich“…. (= 4 ½ PÖNIs). |
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