PÖNIs: (5/5)
„DIEGO MARADONA“ von Asif Kapadia (B + R; GB 2017-2019; Bearbeitung: Chris King; M: Antonio Pinto; 130 Minuten; deutscher Kino-Start: 05.09.2019); es war Donnerstag, der 5. Juli 1984, 18:30 Uhr, als der Messias Neapel erreichte. 75.000 Zuschauer kamen ins Stadion, um ihn zu sehen. Tatsächlich – nur um ihn livehaftig zu sehen. Er wurde vorgestellt, sie brüllten sich die Kehlen aus dem Hals, er schlug ein paar Bälle, das war’s. DER MESSIAS hieß DIEGO ARMANDO MARADONA FRANCO. Genannt: DIEGO MARADONA. Geboren am 30. Oktober 1960 in Lanús, einem industriellen Vorort der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires, als viertes von insgesamt acht Kindern des armen Fabrikarbeiters Diego Maradona Senior und Dalma Salvadore Franco. Als er neun Jahre jung war, wurde er von einem Talentsucher des Erstligisten „Argentinos Juniors“ aus Buenos Aires beim Spielen in einer Straßenmannschaft entdeckt und verpflichtet. Als 12-jähriger Balljunge unterhielt er bei den Spielen der Seniorenmannschaft in den Halbzeitpausen die Zuschauer mit Dribbelkünsten und Kabinettstückchen. Am 20. Oktober 1976 debütierte Maradona in der Seniorenmannschaft. Am 27. Februar 1977 feierte er im Alter von 16 Jahren seine Premiere in der argentinischen Nationalmannschaft (beim 5:1-Sieg über Ungarn). Im Februar 1981 bezahlte der bekannteste und erfolgreichste Club Argentiniens, die „Boca Juniors“, – umgerechnet – 3 Millionen D-Mark-Ablöse für Maradona. Meisterschaft, dreimaliger Torschützenkönig und heimischer „Fußballer des Jahres“: Mit nur 21 Jahren galt Diego Maradona als d e r neue Superstar im Weltfußball. 1982 wechselte er für die damalige Rekord-Ablösesumme von – umgerechnet – 11 Millionen D-Mark zum spanischen Elite-Club „FC Barcelona“, wo der Deutsche Udo Lattek Trainer war. Im Juli die Ankunft in Neapel. Für die damalige Rekord-Ablösesumme von – umgerechnet – 24 Millionen D-Mark kaufte ihn zwei Jahre später der „SSC Neapel“. „Die ärmste Stadt der Welt kauft den teuersten Spieler der Welt“, melden die TV-Nachrichten. Ein einheimischer Journalist, der bei der ersten offiziellen Pressekonferenz fragt, ob hierbei auch „Mafia-Geld“ geflossen sei, wird vom Präsidenten „empört“ des Saales verwiesen. Hier setzt dieser Dokumentarfilm an. Die Neapolitaner wurden oft im Land als die „Afrikaner Italiens“ tituliert. Um diesen Fluch los zu werden, „leisteten“ sie sich den damals als „besten Fußballer der Welt“ geführten Diego Maradona.
Und der Plan geht auf. Überall Hype. Hysterie. Verehrung. „Maradona packte diese Stadt auf seine Schultern, wie ein politischer Anführer“ (Massimiliano Gallo/Gründer und Chefredakteur der Online-Zeitung „Il Napolista“, die Fußball und Politik „mischt“). „Gott-Gesänge“. „Wenn du das Spielfeld betrittst, wird das Leben unwichtig“, klärt der Maestro auf. Der Heilsbringer, der dieser Region zu weltweiter Aufmerksamkeit und Popularität verhilft, nimmt seine „Arbeit“ auf. Erfolgreich. Immer erfolgreicher. Zunächst. Lange Zeit. Doch während DIEGO das überragende Fußballspieler-Talent besitzt, stellt sich ihm immer wieder MARADONA in den Weg. Der Unkontrollierte. Der während dieser ungeheuren Erfolgszeit mehr und mehr „Angebote annimmt“, um sich privat feudal auszuleben. Man ist doch nur einmal jung, oder? Fortan „wirken“ die Verführungen durch den überreichen Luxus. Stichworte: Kontakte zu Mafia-Bossen; Drogen-Konsum, Sex. Neben „legalem“ Nachwuchs kommt auch unehelicher auf die Welt. Überspitzt: Bis Mittwoch wird gefeiert, danach „Entzug“ und Individual-Training bis zum nächsten Ligaspiel am Sonntag. Nochmal überspitzt, aber später wahr: Am Ende muss sich der König von seinem komfortablen neapolitanischen Hof schleichen. Der Jubel hat sich inzwischen in HASS gedreht, verwandelt: „Maradona ist der Teufel“, titelt ein Magazin. Schau-Prozesse werden initiiert. „Als ich kam, waren 85.000 Menschen da, als ich ging, war ich allein“ (Diego Maradona).
Warum, wieso, überhaupt: WIE das passieren konnte, passiert ist, erzählt dieser ungemein faszinierende, außerordentlich unterhaltsam – spannende – informative Dokumentarfilm in authentischer Breite und faszinierender Ausführlichkeit. Mit vielen rasanten, wunderbaren wie legendären („Die Hand Gottes“-)Fußball-Spielszenen. In denen das Genie Maradonas brilliert. Der britische Filmregisseur ASIF KAPADIA, der sich schon mit seinen Dokus/Biopics über den Formel-1-Rennfahrer Ayrton SENNA (2010) und vor allem zuletzt über die Sängerin AMY Winehouse (2016/“OSCAR“ als „Bester Dokumentarfilmer“/s. Kino-KRITIK) als überragender Spezialist für herausragende Dokumentarfilme erwiesen hat, spürte weltweit rund 500 Stunden Bildmaterial auf. Aus Privat- und TV-Archiven, vielfach als „Erstentdeckung“, und unterlegt diese Materialien mit Maradonas schleppender Erzählstimme im Hintergrund. Fünfmal hat er den Fußballgott dafür interviewt, ohne ihn dabei – so krank wie Maradona heute ist – im Film jemals vorzuführen. Das Glück für den unaufdringlich-neugierigen Filmemacher: Maradonas erster Spielerberater, ein Argentinier namens Jorge Cyterszpiler, verpflichtete einst zwei Kameramänner, die Maradona damals auf Schritt und Tritt ganz nah „begleiteten“. So kam es zu diesem Sensationsfund von authentischem, unverfälschtem Material aus dem Leben des Fußballers UND des Menschen DIEGO MARADONA. Der eine Shakespeare-Figur anbietet: vom Aufstieg und Fall eines Königs durch eine doppelte Identität.
Und: Die Maradona-Epoche ist längst noch nicht abgeschlossen. Mal Diego, mal Maradona – der Kerl ist heute immer noch aktiv. „Dabei“.
Was für ein begeisternder, mitreißender Film über einen Show-Wahnsinn namens Fußball und Götter. Dessen Regeln mittlerweile verfeinert und dessen legaler, selbstverständlicher Menschenhandel und dessen Geld-Unanständigkeiten inzwischen „optimiert“ wurden. Doch solange „das Volk“ mitzieht, ist alles erlaubt. Beim mächtigen, betäubenden Profi-Zirkus FUßBALL. Einst wie heute. Wo gedrillte Maradonas wie Messi oder Cristiano Ronaldo dominieren (= 5 PÖNIs).