PÖNIs: (4/5)
„DICKE MÄDCHEN“ von Axel Ranisch (B; Co-Pr.; K + R; D 2011; M: Tilmann Dehnhard; 76 Minuten; deutscher Kino-Start: 15.11.2012); du hast fast nichts, also ganz, ganz wenig, also an Mitteln, dafür eine Menge Ideen und viel gute Film-Lust – und schaffst daraus einen originellen Film. Der dann urig ankommt. Was bisher nur aus den USA hin und wieder gemeldet wird/wurde, man denke etwa an einen – heute international bekannten, geschätzten – Kevin Smith, der 1994 im Alter von 24 Jahren in New Jersey für 27.000 Dollar das spätere Kultstück „Clerks – Die Ladenhüter“ schuf, das dann mehr als das Hundertfache seiner Produktionskosten einspielte, wird nun auch hier wahr. Im offiziellen Kino-Programm: Die Regie-Helden des herbstlichen deutschen Kinofilms von 2012 heißen JAN OLE GERSTER, gerade im Kino mit seinem Debütstreich „Oh Boy“ (s. Kino-KRITIK), und jetzt auch AXEL RANISCH.
Der Berliner des Jahrgangs 1983 gründete mit einigen Getreuen die Produktionsfirma „Sehr gute Filme“. Um dort seinen Studien-Abschlussfilm an der HFF Potsdam-Babelsberg zu realisieren: Mit einem sechsseitigen „losen Drehbuch“, mit kleinem Freundesteam, bei vollem Selbstausbeutungsvergnügen und einem „erklärten“ Barmitteleinsatz von 517,32 EURO. Mit einer einfachen Mini-DV-Kamera wurde in gerade einmal zehn Tagen hauptsächlich in der Wohnung seiner 89-jährigen Oma Ruth Bickelhaupt gedreht. Das Ergebnis ist überwältigend – so viel freies, kreatives und schnelles Improvisationskino gibt es bei uns selten. Von der Idee bis zur Fertigstellung dauerte es gerade einmal drei Monate. Die Idee: „Frei von Kompromissen eine kleine liebevolle Geschichte erzählen“ (Axel Ranisch in filmecho/filmwoche 45/2012). Dies funktionierte, inzwischen auch international, denn der Regie-Diplomfilm „Dicke Mädchen“ lief vielbeachtet, vielgemocht u.a. im Vorjahr auf den Hofer Filmtagen und danach beim Kinofest in Lünen und wurde in diesem Jahr beim „Slamdance Film Festival“ im amerikanischen Utah für seine „kühne Originalität“ ausgezeichnet. Hatte dann auch seinen Einsatz beim Internationalen Filmfestival in Warschau im „Wettbewerb des freien Geistes“ und fand auch beim „Chicago Underground Film Festival“ eine lobende Erwähnung in der Kategorie „Die nicht kategorisierbaren Besten“.
Sven (HEIKO PINKOWSKI) ist ein lieber Dicker. Lebt zusammen mit seiner an Demenz erkrankten Oma Edeltraut (RUTH BICKELHAUPT) in einer Plattenbauwohnung im Berliner Ostbezirk Lichtenberg. Teilt sogar das Bett mit ihr. Sven arbeitet in einer Bank, also passt tagsüber der füllige Daniel (PETER TRABNER), ein verheirateter Familienvater, auf Oma „voll“ auf. Als bezahlter Freundschaftsdienst. Wäscht sie, geht mit ihr zum Friseur oder spazieren oder einkaufen und sorgt für ein sauberes Heim. Als die alte Dame eines schönen Tages Daniel unbewusst auf dem Balkon aussperrt und abhaut, „starten“ die beiden Kerle hinter ihr her. Das, was danach folgt, ist eine verblüffende individuelle emotionale wie authentische Entdeckung als pure, also humane Lebens-Inspiration. Freiheit, individuelle Lust, schwingt in, mit, durch kauzige Räume und pointierte Bewegungen. Stichwort: Männer, die sich zu entdecken mögen. Beginnen. Und eine Oma, die’s draufhat.
Axel Ranisch oder: frisch, fröhlich, unfromm, frei – ich bin, also mache ich. Was ich denke. Und will. Talent-Ergebnis: Ganz viel von sympathischem, lockerem, sinnlichem deutschem No Budget-Klima. Als köstlich unperfektes, eigenwillig-charmantes Seelchenkino: um drei Typen und ihren ganz eigenen „komischen“ Schwung zum Tun. Mal im Übermut, mit nicht immer klarem Ton, aber HERZlich deutlich. Mal seufzend, in der Tiefe des Bauches lächelnd grummelnd. Sympathisch, keck, mit Mut zur liebevollen menschlichen Peinlichkeit. Also konsequenter Zuneigung. Weil „die Drei“ lakonisch launig und zärtlich mitmischen: diese korpulenten kantigen Kerle und die Frische-Oma RUTH BICKELHAUPT alias Edeltraut Richter sowieso.
„Dicke Mädchen“ ist ein überraschend überraschungsvolles Home-Movie. Ich darf, ich mache, wie ich fühle. Weil (noch) niemand ‘reinredet. Fördernd eingreift. Kontrolliert. Bin gespannt, was aus diesem fröhlichen Regie-Burschen Axel Ranisch wird. Seine Erstleichtigkeit jedenfalls ist erfreulich, sympathisch, voller köstlicher No-Lust. Kerl, möchte man ihm wünschen, lass‘ Dich so lange wie möglich nicht ‘runterkriegen. In Sachen Kompromisse. Bei und in Gedanken und Taten. Dein Anfang jedenfalls trifft deinen übermütigen Firmennamen voll und ganz = bitte mehr von diesen „sehr guten (Bauch-)Filmen“. „Wozu großes Event-Kino, wenn es derart intensiv erzählte, bezaubernde Filme wie diese gibt“, lautete die Jury-Begründung beim Lüner Filmfest für die schmunzelnde Auszeichnung „Bestes Drehbuch“… !!! (3 PÖNIs + 1 Debüt-PÖNI = 4 PÖNIs).