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Der Künstler mit dem schönen, exotischen Namen zählt heute zu den bekanntesten und renommiertesten Filmemachern Kanadas. Dass selbst seine neuesten Werke nicht mehr unsere Kinos erreichen, zeigt die Wandelbarkeit in unserer Leinwand-Epoche: Hin in Richtung kommerzielle Oberflächlichkeit. ATOM EGOYAN. Geboren am 19. Juli 1960 in Kairo. Als Kind armenischer Eltern, ausgebildeten Kunstmalern, die seinen Vornamen aus Anlass des Baus des ersten ägyptischen Atomreaktors wählten. Atom wuchs dreisprachig auf in Victoria, im kanadischen British Columbia, wohin seine Familie 1963 ging. Er graduierte am „Trinity College“ der Universität von Toronto, wo er auch heute noch lebt; wesentliche Einflüsse waren der Dramatiker Harold Pinter und der Schriftsteller Samuel Beckett. Seit 1984 dreht er Filme, aus den Anfangsjahren stammen „Der Schätzer“, „Exotica“, „Kalender“. 1998 erhielt er für „Das süße Jenseits“ zwei „Oscar“-Nominierungen. Der internationale Durchbruch gelang Atom Egoyan 1991 mit seinem Film „Der Schätzer“. Seitdem wird er auf den internationalen Festivals der Welt hofiert und oftmals prämiert. 2003 war er Jury-Präsident der Berlinale. Seine letzten Werke hießen „Wahre Lügen“ (2005), „Simons Geheimnis“ (2008) und „Chloe“ (2009). „DEVIL’S KNOT“ von Atom Egoyan (Kanada/USA 2012; B: Paul Harris Boarman, Scott Derickson; nach dem gleichnamigen Roman von Mara Leveritt; K: Paul Sarossy; M: Mychael Danna; 114 Minuten; Heimkino-Veröffentlichung: 12.12.2014). Das System ist eindeutig. Du hast ein Verbrechen begangen. Behauptet jedenfalls die Anklage. Die Staatsanwaltschaft. Ein und d e r Prozess kommt in Gang. Dann haben der Richter, die Anwälte und die Jury das Wort. Am Prozess-Ende steht das Urteil. Doch so einfach und klar erweist sich der Fall, um den es hier geht, keineswegs. Er beginnt am. 5. Mai 1993. Ort ist die kleine, tiefreligiöse Gemeinde West Memphis in Kansas. Wo drei kleine Jungs brutal ermordet werden. Bald sind Beschuldigte ausgemacht, drei Jugendliche, der älteste gerade 17. Ihnen sagt man eine Verbindung zu einem Satanskult nach. Die Stimmung in der Region ist aufgeheizt, für viele Bewohner ist sofort klar: Die „West Memphis Three“ waren es. Und sollten deshalb schnell verurteilt werden. Ron Lax (COLIN FIRTH) ist ein privater Ermittler. Mit ausgeprägtem Gerechtigkeitsempfinden. Er ist Gegner der Todesstrafe, die hier zur Anwendung kommen kann, und hilft den Pflichtverteidigern bei ihrer mühevollen Arbeit. Gemeinsam stößt man auf unzählige Widersprüche, nicht nachgegangenen oder schlampig verfolgten Spuren, nicht pflichtgemäß überprüften Auswertungen von Erkenntnissen, die möglicherweise andere Gesichtspunkte dieses Falles beleuchtet und erbracht hätten. Und auch der Richter (BRUCE GREENWOOD) hat offensichtlich kein „gesteigertes“ Interesse, für diese Justiz-Arbeit mehr Zeit zu veranschlagen, als unbedingt nötig. Wenn die juristische und „christliche“ Ordnung so schnell wie möglich wieder hergestellt werden kann, soll es „genug“ sein. Wird es aber keineswegs. Atom Egoyan hat sich an einer wahren Begebenheit orientiert. Dabei ist er nicht an einem spektakulären Ereignis (und möglichem Justiz-Irrtum) interessiert, sondern emotional an den einschneidenden Bewegungen, Veränderungen, Befindlichkeiten und unterschiedlichen Bewertungen, wenn solch ein fürchterliches Ereignis wie dieser dreifache Kindes-Mord Menschen „erreicht“. Wie reagieren sie auf diese Schrecklichkeit, wie kommen sie „damit“ klar, wie verarbeiten sie das Unfassbare, wie gehen sie mit dem „Danach“ um. Wie zum Beispiel Pamela Hobbs (REESE WITHERSPOON), die Mutter eines der geschändeten Jungs. Als sich ihr Schmerz in langsame „Bewältigung“ wandelt, bekommt sie mehr und mehr die Widersprüche mit, die beim Prozess zu Tage treten, die dort aber keine Würdigung und Aufarbeitung bekommen. Und wird misstrauisch. Was wiederum ihrem Mann gar nicht gefällt. „Devil’s Knot“ „ist eine spannende Studie über die Hoffnungslosigkeit, die auf all jenen lastet, die von solch einem Schicksalsschlag getroffen werden und das nicht akzeptieren wollen“, sagt Colin Firth im „Focus“-Interview (Ausgabe 50/2014). „Es geht um den Zeitdruck und die Paranoia, die sich aus der Angst und dem Bedürfnis, einen Schuldigen zu präsentieren, entwickelt. UND DAS PASSIERT IM GRUNDE ÜBERALL“. Und fährt fort: „Auch die Demokratie lässt sich missbrauchen, wenn man Leute an der Spitze hat, die genau das wollen“. „Devil’s Knot“ ist ein Tiefgang-Thriller mit sehr viel Spannungs- und aktuellem Denk-Geschmack. „Die Todesstrafe ist ein Systemfehler, den es abzuschaffen gilt“, lässt Colin Firth klug verlauten. Die Wahrnehmung verändert sich, wenn auf Brutalität nur mit Brutalität reagiert wird. Um sich der Wahrheit zu nähern, bedarf es der Erkenntnis, dass man an der Wahrheit auch interessiert ist. „Devil’s Knot“, also „des Teufels Knoten“, der in Georgia gedreht wurde, lief auf den Festivals von Toronto und San Sebastian. Und war im letztjährigen Programm beim Filmfest Hamburg zu sehen. Es ist bedauerlich, dass sich danach das heimische Kino für ihn nicht interessierte. Umso nachhaltiger gilt die Empfehlung für das gute Kino-Zuhause. Anbieter: „Senator Home Entertainment“ |
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