PÖNIs: (5/5)
Der spanische Film steht hoch im (Qualitäts-)Kurs. Mein bester Kinofilm des Jahres 2016 war bekanntlich ein spanischer, „La Isla Mínima – Mörderland“ (s. Kino-KRITIK), und jetzt wird uns ebenfalls aus Spanien ein neuer Kinofilm angeboten, der von überragender, weil raffinierter Thriller-Qualität ist, mit 17 “Goya“-Nominierungen zu Hause bedacht wurde, hierzulande aber – mit Ausnahme der „Fantasy Filmfest White Nights“ im Januar 2017 – erst gar nicht die „regulären“ Kino-Leinwände erreichte, sondern derzeit gleich im bzw. fürs deutsche Heim-Kino veröffentlicht wurde. Prädikat: PREMIUM! Ein Muss-Film für Liebhaber vom „Hitchcock-Kino“:
„DER UNSICHTBARE GAST“ von Oriol Paulo (B + R; Spanien 2015; K: Xavi Giménez; M: FERNANDO VELÁZQUEZ; 106 Minuten; deutsche Heimkino-Veröffentlichung: 23.02.2017).
Der Originaltitel weist in die Story-Richtung: „Contratiempo“, also „Zwischenfall“. Für den aufstrebenden Geschäftsmann Adrián Doria (MARIO CASAS) ist es eben ein solcher … Zwischenfall. Er, der kürzlich als Manager eines High-Tech-Unternehmens wegen eines besonders „überzeugenden“ Wirtschaft-Deals mit dem asiatischen Markt zum „Business Man“ des Jahres ausgerufen wurde, erlebt einen Alptraum. Stichwort: der intime Fremd-Gänger. Zwar ist Adrián glücklich verheiratet und Papa einer kleinen Tochter, was ihn aber nicht hinderte, eine Affäre zu beginnen. Doch dann überstürzen sich die Ereignisse. Er wird „erwischt“, weil seine Geliebte ermordet im Badezimmer des Hotel-Appartements liegt. Und: Türen und Fenster sind von innen versperrt. Was also ist, verdammt nochmal, passiert? Die Ermittlungen beginnen.
Du bist ein hochkarätiger Gesellschafts-Typ. Marke: Entscheider. Wenn DU Mist baust, gibt es immer eine Lösung. Und gestählte Helfer. Wie zum Beispiel SIE: Man stellt Dir eine Star-Anwältin zur Seite, Virginia Goodman (ANA WAGENER). Sie hat noch nie einen Mandanten nicht „‘raushauen“ können. Nach diesem Fall wird sie sich endgültig zur Ruhe setzen. Sie macht Adrián viel Hoffnung: Ich bekomme sie ‘raus, wenn sie mir alles, wirklich alles, und haarklein erzählen. Uns bleiben in dieser Nacht genau drei Stunden Zeit, dann wird der Richter einen neuen, einen unbekannten Zeugen präsentieren, und dies beziehungsweise der kann dann für Adrián ziemlich „ungemütlich“ werden. Also packt er aus. Bis in die kleinsten Intim-Details. Erzählt von diesem Autounfall, der alles auslöste.
Eine Nacht, und das Wettrennen gegen die Zeit. „Ohne Leiden gibt es keine Erlösung. Und Sie sind nicht cleverer als ich“, forciert die Anwältin das Tempo. „Innerlich fühle ich mich schon lange gebrochen“, lautet sein Resümee. Um dann doch nach dem anwaltlichen „Rettungsanker“ zu greifen.
Eine klare Sache. Eine klare Sache? Von wegen. Der Plot ist viel zu raffiniert, als dass alles so glatt abläuft, wie es zunächst ausschaut. Die Gedanken purzeln andauernd durcheinander. Gerade scheint eine Spur plausibel zu sein, taucht ein anderer Blickwinkel auf. Der in eine ganz andere Richtung verweist. Nichts ist so wie es scheint. Die Spannungs-Nervosität vereint mehr Fragezeichen als Ergebnisse. Denn diese zwinkern uns nur süffisant zu; es gilt, auf komplexe Weise um die Ecke zu denken, als angemachter Zuseher, und „so etwas“ sind wir filmisch ja gar nicht mehr gewohnt. Nichts da von wegen Gut-hier, Böse-dort; alles wird ständig auf den intelligenten Kopf gestellt und irritiert faszinierend.
Ich bin fest überzeugt: Hitchcock hätte heute auch solch ein „Erregungs-Movie“ im Angebot. Denn die seriös aufbereiteten Spannungs-Signale weisen eindeutig in sein großartig-verzwicktes Oeuvre: Penible Logik-Spiele; mitreißende verblüffende und dadurch immer undurchsichtiger werdende Tüfteleien an der Handlung und beim Personal; dieses Dauer-Zweifel-Säen durch geschickt montierte Rückblenden. Meine Güte, was ist, besser: Was war hier wirklich los und mit wem soll ich eigentlich „paktieren“? Zudem: Die wunderbar „einschmiegsame“, stimmungs-angemessene „Hitch“-Musikalität des spanischen Komponisten FERNANDO VELÁZQUEZ („Stolz und Vorurteil und Zombies“; „Colonia Dignidad – Es gibt kein Zurück“) begleitet den atmosphärischen Plot hochkarätig-pikant. Der dann schließlich mit einem Rausschmeißer-Twist aufwartet, der noch lange (und Film-ewig) nachhallen wird.
Warum sich das Kino solch ein exzellentes, clever durchdachtes, brillantes Spannungs-Meisterwerk hat entgehen lassen, ist mir ein Rätsel. „DER UNSICHTBARE GAST“ von Oriol Paulo gehört mit Sicherheit am Jahresende in die filmische Bestenliste.
Das hiesige Heim-Kino besitzt jedenfalls derzeit einen Genre-Knüller im Angebot! (= 5 PÖNIs).
Und mit dem 43-jährigen spanischen Autoren-Regisseur ORIOL PAULO werden wir uns in der nächsten Woche erneut filmisch beschäftigen, wenn wir uns mit seinem – auch viel gelobten – Vorgänger-Film „The Body – Die Leiche“ (s. Kino-KRITIK) befassen.
Anbieter: „Koch Media“.