„DER HAUPTMANN“ von Robert Schwentke (B + R; D/Polen/Fr 2017; K: Florian Ballhaus; M: Martin Todsharow; 119 Minuten; Schwarz-Weiß; deutscher Kino-Start: 15.03.2018); die Deutschen haben es gerne mit Uniformen, können „mit denen“, wie wir wissen, „besonders gut“. Kleider machen halt Leute, wusste schon der Schweizer Dichter Gottfried Keller und verfasste 1874 seine berühmte gleichnamige Novelle. Beim legendären Schuhmacher Wilhelm Voigt wurde es „dabei & dadurch“ 1906 lustig, so wie es Carl Zuckmayer in seinem Bühnenstück von 1931 festhielt und Heinz Rühmann es filmisch 1956 in dem gleichnamigen Film von Helmut Käutner umsetzte. Vollendete. Dieser Film beruht ebenfalls auf Tatsachen, diese allerdings sind alles andere als komisch, sondern widerlich und verbrecherisch-mörderisch. Denn er erzählt von einem Massenmörder.
Ihn hat es gegeben, den Willi Herold, auch „Der Henker von Emsland“ genannt. Geboren am 11. September 1925 in Lunzenau bei Chemnitz wurde er, der Schornsteinfegerlehrling, Ende September 1943 zum Wehrdienst eingezogen. Nach der Grundausbildung bei der Fallschirmtruppe in Tangermünde wurde er in Italien eingesetzt und zum Gefreiten befördert. Seine Einheit wurde zum Ende des Krieges nach Deutschland verlegt. Hier wurde er am 3. April 1945 von seiner Kompanie getrennt und fand zwischen Gronau und Bad Bentheim eine Offizierskiste mit der Uniform eines Hauptmanns der Luftwaffe. Hier setzt der Film ein, nachdem Willi Herold (MAX HUBACHER) – als vermeintlicher Deserteur – einem ihn jagenden Schützenpanzer samt johlender Soldaten-Meute entkommen konnte und in einem verlassenen Jeep eine Uniform findet. Kaum hat er diese angezogen, „übernimmt“ er auch dessen ganze „Funktion“. Erklärt sich zum Hauptmann, versammelt versprengte Soldaten um sich und gibt sich mit einem vom Führer höchstpersönlich erteilten Sonderkommandobefehl die Legitimation zum Macht-Haben, Macht-Ausüben, sprich: Töten. Mit einem „Team“, das ebenso unterwürfig wie sadistisch auftritt. Man nennt sich die „Kampfgruppe Herold“ und erreicht am 11. April 1945 das Strafgefangenenlager Aschendorfermoor, das zu den berüchtigten „Emslandlagern“ gehört, wo der 19jährige (!) Hauptmann Willi Herold mit seinen Leuten bis zum 19. April ein Regime des Schreckens und Mordens einrichtet. Motto: „Auch ein Massaker muss seine Ordnung haben“.
Die Lust an der Uniform. An der damit verbundenen Möglichkeit, „anders“ auftreten zu können. Plötzlich Macht und Bedeutung zu besitzen. Anerkannt zu werden. Das Ur-Böse in sich entdecken und es genüsslich „ausüben“ zu können. Einzig – mit der Legitimation einer „höchsten Dienstgrad-Uniform“. In einer Zeit ohne jede rechtsstaatliche Ordnung. „Das Vieh“ Mensch kriecht aus sich heraus und wird entsetzlich aktiv.
Drehbuch-Autor und Regisseur ROBERT SCHWENTKE, 1968 in Stuttgart geboren, begann 2005 mit dem Erfolgs-Thriller „Flightplan – Ohne jede Spur“ (mit Jodie Foster) an einer Hollywood-Karriere zu basteln. Danach entstanden Streifen wie „Die Frau des Zeitreisenden“ (2009) sowie der köstliche Senioren-Agenten-Quatsch „R.E.D. – Älter, Härter, Besser“ (mit u.a. Bruce Willis & Helen Mirren). Zuletzt schuf er Teil zwei und drei des wenig überzeugenden (Jugendbuch-)Dreiteilers „Die Bestimmung“ (2015/2016). Um „Der Hauptmann“ zu realisieren, kam Schwentke nach 13 Jahren wieder nach Deutschland zurück. Entstanden ist ein unglaublich dichtes, monumentales Bild über faschistische Herrschaftsstrukturen: Ein Führer denkt und lenkt. Untertanen folgen. „Begeistert“. Dabei höre ich noch die Alibi-Sprüche von damals: Das war der Führer und seine Clique. Wir, aus dem Volk, wussten von nichts. Robert Schwenkte erzählt ganz aus der völkischen Täter-Perspektive und vermittelt eine durch die Haut gehende Parabel des Grauens über den Nazi-Wahnsinn mit Krieg. Über seine Auswüchse. „Die Brücke“ fällt einem in diesem Zusammenhang ein, dieses Meisterwerk von Bernhard Wicki aus dem Jahr 1957, der die Schuld der verführten Unschuldigen beschrieb. Dabei erweist sich der heutige, auch ganz in Schwarz-Weiß (unter anderem in Görlitz) gedrehte Film als besonders rüberkommend: er ist ebenso tief-gemein zu empfinden wie spannend-„kriminell“ unterhaltsam. Das gesamte Ensemble, darunter FREDERICK LAU, MILAN PESCHEL, WALDEMAR KOBUS, beeindruckt und stellt sich gleichrangig neben ihren „Anführer“, den jungen grandiosen MAX HUBACHER als überzeugend-„lächerlicher“ Hauptmann. Hubacher, 1993 in Bern geboren, wurde mit der Titelrolle des Schweizer Spielfilms „Der Verdingbub“ von Markus Imboden 2011 bekannt und hochgelobt. Hier möchte man ihm ständig sein Schand-Maul, die vorlaute, widerwärtige, menschenverachtende, inhumane Angeber-Fresse polieren, so gut ist er, so „intensiv“ tritt er in düstere Erscheinung (= 4 PÖNIs).
Texttafel vor dem Abspann: „Am 23. Mai 1945 wird der ehemalige Gefreite Herold in Wilhelmshaven von der Royal Navy für den Diebstahl von einem Laib Brot verhaftet. Im folgenden Verhör verstrickt sich Herold immer mehr in Widersprüche. Als sich herausstellt, welcher Kriegsverbrechen er sich schuldig gemacht hat, wird ihm der Prozess gemacht. Am 14. November 1946 wird Herold zusammen mit 6 seiner Komplizen hingerichtet. Er war 21“.