DAS SCHWEIGENDE KLASSENZIMMER

PÖNIs: (4/5)

„DAS SCHWEIGENDE KLASSENZIMMER“ von Lars Kraume (B + R; nach dem gleichn. Sachbuch von Dietrich Garstka/2007; D 2017; K: Jens Harant; M: Christoph M. Kaiser, Julian Maas; 111 Minuten; deutscher Kino-Start: 01.03.2018); nach dem herausragenden Spielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ (s. Kino-KRITIK) widmet sich der deutsche Autoren-Regisseur LARS KRAUME, 45, erneut einem interessanten, informativen, spannenden Stück – diesmal ostdeutsche – Nachkriegsgeschichte. Zeit: Herbst, präzise: Oktober und jetzt November 1956. Ort: Stalinstadt (ab 13. November 1961: Eisenhüttenstadt). Schüler einer Abiturklasse sehen bei einem Kino-Besuch in West-Berlin über die Wochenschau Bilder vom Volksaufstand in Ungarn und dessen Niederschlagung durch sowjetische Panzer. Erzählen davon bei der Rückkehr ihren Mitschülern. Als sie bei einem Freund, dem homosexuellen Freidenker Edgar (MICHAEL GWISDEK), über den (verbotenen) Sender RIAS weiteres beziehungsweise näheres hören, beschließen sie spontan, in der Klasse, während des Unterrichts, eine solidarische Schweigeminute abzuhalten.

Was für sie eine gute Art „Dummejungenstreich“ bedeutet, wird „offiziell“ ganz anders bewertet. Bemüht sich der Rektor (FLORIAN LUKAS) noch, das Ganze als unpolitische „Jugendlaune“ abzutun, geraten die 19 Schüler in den Fokus von Schulamt, SED-Bezirksleitung bis schließlich hin zum Volksbildungsminister Lange (BURGHART KLAUßNER). Dieser verurteilt diese „ungeheuerliche Aktion“ als „eindeutig konterrevolutionären Akt“, als direkte Attacke auf den jungen sozialistischen Staat, der bekanntlich vor drei Jahren selbst einen Aufstand dank des Eingreifens der sowjetischen Freunde „abwenden“ konnte und seitdem offensichtlich extrem „hellhöriger“ geworden ist, und verlangt von der Klasse, binnen einer Woche den Rädelsführer zu benennen. Man will unbedingt einen Namen. Anderenfalls…

Sie sind keine Rebellen. Haben den, ihren Staat nie kritisch hinterfragt. Dennoch werden die Schüler/Innen dieser 12. Klasse amtlicherseits ab sofort als „Feinde des Staates“ tituliert. Der Druck, die Erpressungsversuche und Repressalien nehmen zu. Deshalb steht auch nicht so sehr der politische Kampf im Mittelpunkt des Geschehens, sondern die außerordentliche Dramatik innerhalb einer – weitgehend – geschlossenen Gruppe, bei deren Konfrontation es um Fragen von wegen Mut, Zusammenhalt, also Integrität, Loyalität und möglichen Verrat, geht. Frei zu denken und diese kritischen Gedanken „bekannt“ zu machen, lautet das Thema. Wobei sich Drehbuch-Autor und Regisseur Lars Kraume auch explizit mit den unterschiedlichen Familienverhältnissen und Hintergründen der beiden jugendlichen Hauptfiguren Theo (LEONARD SCHEICHER) und Kurt (TOM GRAMENZ) befasst und auch die dazugehörigen Schwierigkeiten und internen familiären Probleme eindringlich beleuchtet. Während Theo aus einer einfachen Arbeiter-Familie stammt, deren größter Wunsch es ist, dass der Junge das Abitur macht, ist der Vater von Kurt ein typischer Opportunist und aalglatter Partei-Untertan. Dass ihre Kinder, möglichst schnell und „diskret“, „gebrochen“ werden sollen, damit alles wieder „im sozialistischen Lot“ ist, dagegen haben sie nichts. Ganz im Gegenteil. Und so müssen ihre Kinder ganz schnell und völlig unvorbereitet „richtig“ erwachsen werden. Eine gemeinsame und für ihr weiteres Leben richtungsweisende Entscheidung treffen. Mit allen Konsequenzen.

Gedanken und Emotionen im spannenden Einklang: Der Spielfilm „Das schweigende Klassenzimmer“ ist ebenso aufwühlend wie zeitlos wie außerordentlich bewegend. Hochinteressant tiefgründig. Von einem hervorragenden Ensemble dargeboten. Ein kraftvolles Stück deutsche Historie mit großem Kino-Atem; als exzellent-praktischer Geschichtsunterricht und mitreißendes Plädoyer für Zivilcourage und deshalb auch im Heute so bedeutungsstark (= 4 PÖNIs).

 

 

 

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