„BELLA DONNA“ von Peter Keglevic (B+R; D 1982/83; K: Edward Klosinski, M: Astor Piazolla; 107 Minuten; Start D: 24.03.1983)
In der Gefühlszone Null. Tango Rhythmen, alarmierte, irritierte Menschen, die Suche nach Berührung, Wärme, Zärtlichkeit. „Ich kenne den Porzellanladen der Gefühle“, raunzt die 70jährige Lady auf dem Sofa und legt „So oder so ist das Leben“ von vorgestern auf. Fritz spielt Saxophon und übt dabei den Ur-Schrei. Lena will von Vergangenem nichts wissen und singt auf dem Vergnügungsdampfer von Johnny, der wieder mal Geburtstag hat. Max hat längst schon resigniert, ist galant geblieben und betäubt seinen Unterleib mit Rosen. Ruhm und Reichtum? Lächerlich. Und die Liebe? Die Freundin stirbt trotzdem an Krebs, und als Allheilmittel kommt Bella Donna in die Augen. Das sind Augentropfen. Der Film erzählt vom Ende der Toleranz. Denn das sei doch nur ein anderes Wort für Gleichgültigkeit, heißt es. „Immer wenn man keine Überzeugung hat, ist man tolerant“, schreit es aus Fritz heraus. Die Schlacht der Gefühle geht weiter. Deutsches Kino der totalen Emotionen. Nie so aufregend und interessant wie hier. Mit einer Frau, die zu einem Begriff werden wird: Krystyna Janda. Vormals auch: Die Wajda-Polin.
I DIE RUHE
Wir müssen erst wieder ganz von vorn anfangen, bei uns ganz persönlich. Nicht die Welt, das Land, die Stadt oder die Parteien, sondern uns selber zunächst verbessern. Jeder einzelne. Erst dann sind wir wieder Menschen, Das Materielle hat uns zu lange erstickt. Wir müssen wieder Gefühle entdecken. Jeder für sich. Erst wenn das klappt, klappt das auch mit der Weltverbesserung. (Die österreichische Filmemacherin Kitty Kino)
II DIE WUT
Es wird hier andauernd von Gefühlen geredet, als ob sie irgendwas Exotisches sind. Ich mache Filme über Gefühle, weil ich mich danach sehne, dass Menschen Gefühle haben. Dass sie sich überhaupt trauen, die Gefühle, die sie ständig unterdrücken, auch mal wieder auszudrücken. Wir leben in einer so kommunikationsarmen Zeit, keiner möchte irgendwie zugeben, dass er Gefühle hat. Oder dass es ihm stinkt, oder dass ihm irgendwas weh tut. Und wenn er dann um Hilfe schreit, und manchmal sieht man‘s ja sogar in den .Augen, dann drehen sich die Leute einfach weg. Es ist ein Zustand, der mich in dieser Gesellschaft ankotzt. (Der deutsche Filmemacher Vadim Glowna)
III DIIE ERINNERUNG
In einer kleinen polnischen Stadt. Es ist der 8 Mai 1945. Gerade ist dieser fürchterliche Krieg zu Ende. Nullzeit. Im Ballsaal des alten, beschädigten Hotels tanzen die Überlebenden stumm die Polonaise. Die Musik, wehmütig klingende Walzertöne, beschreibt den Zustand dieser momentanen Zeitlosigkeit. Sie ist die einzig noch existierende Sprache. (Schlussszene aus Andrzej Wajdas Film „Asche und Diamant“ von 1958)
Die Schlussszene aus „Bella Donna“. Wieder ist die Musik das einzige Verständigungsmittel. Eine Handvoll Menschen dreht sich im Kreis eines Lokalgartens, während die beiden männlichen Hauptbeteiligten müde, ausgelaugt und erschöpft an einen Baum lehnen. Nichts ist mehr zu sagen, der Krieg der Gefühle hat sie alle verletzt. Wie soll es weitergehen?
Blende zurück. Fritz, der Musiker, der Saxophonist ohne Job, trifft auf Jutta, die alt geworden ist. Sie steigt in seinen Wagen, will in die Stadt und weiß so beharrlich über die gute alte Zeit zu plappern. Fritz verliert sie an einem Haveldampfer aus den Augen. Dafür entdeckt er Lena, die Sängerin mit den Liedern von vorgestern. In ihrer Nähe stets Max, der Verehrer, der Rosen-Anbeter. Jetzt haben wir sie alle zusammen, um diese drei geht es.
„Was willst du über mich wissen?“, fragt Lena “Wollte ich was wissen?“, antwortet Fritz. “Ich will doch gar nichts wissen“. “Versprichst du mir das? Gut, dann fangen wir an diesem Punkt an. Alles, was vorher war, ist unwichtig. Bist du einverstanden?“ Natürlich ist Fritz einverstanden, aber es dauert nicht lange, bis er die abgemachten Spielregeln nicht mehr akzeptiert. Liebe ist ja auch kein Fußballspiel. Er will mehr über Lena wissen, fährt ihr nach, folgt ihr in die Pension, bezieht im Nachbarzimmer Quartier. Für Fritz bedeutet Liebe Besitz, für Lena vor allem weiterhin Freiheit. Man quält sich, man demütigt sich, man schlägt sich, man liebt sich leidenschaftlich. Ein Tanz der Gefühle. Drumherum Stichwortgeber, Exoten, Farbtupfer.
“Melodramen leben nicht von der Bedingungslosigkeit, sondern von der Maßlosigkeit von Gefühlen, sie zu erzeugen, uns lachen, weinen zu Hause oder einsam fühlen zu lassen, geliebt oder verlassen, ist die Metaphysik des Genres; es ist, ganz ohne denunziatorische Absicht gesagt, eine Pornographie des Herzens“, heißt es an einer Stelle im Handbuch 6 der „Grundligen des populären Films“,
Motto: “Das Kino der Gefühle“.
“Ich glaube, dass Menschen sich einander zu nähern versuchen — und dass ihnen dies nicht gelingt. Das interessiert doch jeden“, äußert sich Autor und Kino- Spielfilm-Debütant Peter Keglevic. “Liebe hat immer mit Egoismus zu tun, es gibt nur wenige Heilige wie Mutter Theresa. Man kann nicht lieben, ohne den anderen wehzutun. Der Fritz im Film will nicht verzichten, er glaubt nicht daran, das Glück schon ist, wenn man gerade nicht unglücklich ist. Das ist auch meine Meinung“. Man sucht unweigerlich und andauernd Vergleiche. Hierzulande gibt es sie noch kaum, sieht man von den ersten, ebenfalls sehr bemerkenswerten emotionalen Vadim-Glowna-Darbietungen ab („Desperado City“ und mehr noch „Dies rigorose Leben“). Gefühle im deutschen Kino, das bedeutete eine lange Zeit Schlager- und Wörthersee-Atmosphäre. Oder es standen radikale Frauen-Fahnen auf dem Programm, progressiv sicherlich, aber auch elitär. Populär und interessant wird es erst jetzt im hiesigen Melo-Dschungel. Newcomer wie Kitty Kino („Karambolage“ – einer der besten Filme aus der diesjährigen Berlinale-Infoschau), Vadim Glowna oder Peter Keglevic gehört die Zukunft. (Dass zwei von ihnen aus Österreich stammen, dürfte eine interessante Fußnote sein). Sie haben es satt, Gefühle immer nur andeuten oder verstecken zu müssen, sie haben es satt, mmer nur fiktive, unangreifbare, entfernte Geschichten zu zeigen, sie machen erstmals wieder Gefühle sichtbar und diskutabel im (deutschen) Kino. Sie entwickeln dabei phantastische Bilder, getreu ihrem persönlichen Motto: Was nutzt der beste klarste Kopf, wenn es ständig im Bauch rumort. Und, sie verfilmen keine fremden (Auftrags-)Buchstaben, sondern wollen “ihre“ Geschichten vorzeigen. Und Figuren. Sie haben alle was von mir – wie ich bin oder wie ich sein möchte: So plump, so derb wie der Fritz bin ich auch; so feige wie der Max könnte ich schnell sein; so straight wie die Lena, das möchte ich gerne“, meint Peter Keglevic über seine Protagonisten. Die allesamt wahnsinnig gut dargestellt sind.
Eine Sensation, eine Attraktion, eine unglaubliche Faszination, das ist KRYSTYNA JANDA, bei uns bisher vornehmlich als Wajda-Schauspielerin – und da meist sehr spröde – bekannt („Der Mann aus Eisen“, „Der Mann aus Marmor“ und „Der Dirigent“). Die .Wandlungsfähigkeit dieser 30jährigen ist ungeheuerlich, sie besitzt das Feuer und Temperament einer Liza Minnelli, die Kraft einer Glenda Jackson und Liv Ullmann, die sinnliche Ausstrahlung der frühen Rita Hayworth. Und wenn die (original deutsch) singt, ist es genau das, was wir bei Hanna Schygulla – „Lili Marleen“ – vergebens gesucht haben. Da die Janda (natürlich) in Frankreich schon als Star hofiert wird, verwundert nicht, wir (be)merken es wenigstens jetzt. FRIEDRICH-KARL PRAETORIUS tritt wie der jugendliche Marlon Brando auf, wild und ungestüm, mit einem unerhörten Bündel Energie, dabei zugleich wehleidig und sensibel, empfindsam wie ein alleingelassenes Kleinkind. BRIGITTE HORNEY und ERLAND JOSEPHSON sind um sie herum ausgezeichnete Schmuckstücke, wunderbare Partner.
Ein Ereignis ist diese Tango-Musik von Astor Piazzolla, ein Reiz, ein einziger Rausch, ausdrucksstark und fremd und kraftvoll. Krystyna Jandas Ehemann Edward Klosinski schuf dazu Bilder von atmosphärischer Dichte und spannendem Gefühl. Und Peter Keglevic?
“Ein Filmkünstler, der große Filme inszeniert, die niemanden bekannt würden, ist unvorstellbar, sagt Georges Sadoul in seiner „Geschichte der Filmkunst“. Ganz meine Meinung (= 4 ½ PÖNIs).