BARBARA

„BARBARA“ von Christian Petzold (Co-B + R; D 2011; Co-B: Harun Farocki; K: Hans Fromm; M: Stefan Will; 105 Minuten; deutscher Kino-Start: 08.03.2012); natürlich George Orwell (“1984”), natürlich diese Atmosphäre von Unterdrückung, ständigem Unwohl-Sein, permanentem Misstrauen. Die DDR war Diktatur. Wo der Mensch sich dem System unterzuordnen hatte. Und wenn er sich nicht einordnen wollte, wurde eben „nachgeholfen“. In diesem verlogenen „ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“. Endlich einmal zielt ein deutscher Film auf die historische Klarheit. Und Wahrheit. Spaßlos wie spannend. Sie heißt Barbara. Barbara Wolff. Sie ist Ärztin. Am renommierten Ostberliner Charité-Haus. Das heißt, sie war dort beschäftigt. Denn in der DDR anno 1980 wurde es „übel“ genommen, wenn man nicht mehr in der DDR leben wollte. Barbara Wolff stellte einen Ausreiseantrag. Wo man „woanders“ sich einfach aufmachte, um woanders zu leben, hatte man hier nur zwei – „unangenehme“ – Möglichkeiten: unter großer Gefahr abzuhauen, als „Republikflüchtling“, oder eben einen förmlichen Antrag zu stellen. Die junge Ärztin Barbara Wolff wird in die Provinz versetzt. An die Küste von Mecklenburg-Vorpommern, in ein Provinzkrankenhaus. Mit allen Schikanen. Also ständigem Misstrauen und fortgesetzten Haus- wie erniedrigenden, eiseskalten Ganzkörperkontrollen. Wenn sie für die Stasi-Typen mal wieder vorübergehend „nicht auffindbar“ war.

Barbara plant jetzt die Flucht. Aus diesem unerträglichen DDR-Mief. Ihr „West-Geliebter“ unterstützt sie dabei. Wäre aber auch bereit, zu ihr „hierher“ zu ziehen: „Spinnst du? Hier kann man nicht glücklich werden!“. Barbara lässt HIER niemanden (mehr) an sich ´ran. Misstrauen rund um die Uhr. André Reiser ist ihr neuer Krankenhaus-Chef. Gibt sich hilfsbereit, zeigt sich behutsam verständnisvoll, scheint ein freundlicher, zugänglicher Mensch zu sein. Doch wem kann man überhaupt (ver-)trauen? Will er, soll er sie auch ausspionieren? Über die Patienten, über die Behandlung von Patienten, öffnet sich Barbara. Ein wenig. Zum Beispiel die junge Stella (JASNA FRITZI BAUER). Völlig entwurzelt. Verzweifelt. Nach Menschlichkeit und Hilfe still wie verzweifelt schreiend. Ihre Odyssee durch einheimische Erziehungsheime hat sie wieder einmal hierher gebracht. In die Klinik. Zur „Wiederherstellung“. Und verordneten „Gebrauchsfähigkeit“. In Barbara „bekommt“ sie eine Seelenverwandte. Und emotionale Nähe. Was aber deren „Ausreise“ gefährdet. Gefährden kann.

Bewegungen in unbeweglichen Zeiten. Wo „Bewegungen“ amtlich „gestattet“ sein müssen. Von oben „geduldet“. Der Staats-Mensch. Als genormtes Individuum. Der „gebrochene“ Bürger. CHRISTIAN PETZOLD, am 14. September 1960 in Hilden (im Bergischen Land) geboren und seit 1981 in (West-)Berlin lebend, hat einen außerordentlichen deutschen Spannungsfilm geschaffen. Als politischen Liebesfilm. Der Staat und „sein“ Mensch. Die „Interessenkollisionen“. Zu Kalten Kriegszeiten. Ohne Schwarzweiß-Malerei, ohne Klischee-Häme, als Geschichte aus der deutschen Geschichte. „Jemand“ möchte sein Zuhause finden. Endlich. Als Volljährige. Innerlich wie äußerlich. In der Seele und mit der freien Bewegung. Hat sich im Sommer von 1980 in und von der DDR innerlich bereits verabschiedet. Es fehlt nur noch „der praktische Schlusspunkt“. Doch dann wird aus dem Wollen ein neuer individueller Wille. Eine andere emotionale Sichtweise. Eine neue geistige Haltung. Ebenso mitmenschlich wie individuell „glücklich“.

Der Film „Barbara“ ist ein faszinierender Glücksfall von Erzählung, Dramaturgie, Darstellung. Beschreibt (sehr) atmosphärisch deutsche „Zeiten“. Sowohl in der stürmischen schönen Landschaft wie in den engen, bedrückenden Räumlichkeiten. Ohne dabei zu verunglimpfen. Ohne einen moralischen (West-)Zeigefinger. Ohne verlogene Botschaften mit dicken Ausrufungszeichen. Sondern als verständliche, berührende Deutsch-Deutsche-Geschichte mit viel Damals-Realitätsgeschmack. Stichwort: Dieser tägliche DDR-Soundtrack. In den Straßen, Häusern und Wohnungen. Diese Räume: Zum „erzählenden“ Hören und Schauen. Und Gruseln.

Mit einer unter die Haut gehenden großartigen NINA HOSS in der Titelrolle. Die geradezu traumwandlerisch in diese starke, verletzte, kluge Figur von Individuum schlüpft und mit jeder Pore und Körpersprache unangestrengt tief auslotet. Ausdrückt. Schwerkraftfrei. Ohne Mitleids-Duselei. Sondern wahrhaft anfühlend, begreifbar, packend. Es ist die bereits – nach „Toter Mann“ (2002), „Wolfsburg“ (2003), „Yella“ (2007) und „Jerichow“ (2008) – fünfte Zusammenarbeit der 36-jährigen Stuttgarterin mit dem Drehbuch-Autor und Regisseur Christian Petzold und ihre zweifellos beste. Großartig und „so spröde, als sei ihre Seele rissig geworden“, war in der „Süddeutschen Zeitung“ über die Intensität zu lesen, wie Nina Hoss ihre „Barbara“ wunderschön füllt.

In ihrer „Begleitung“, an ihrer Seite, wird dann auch der im hiesigen Kino bislang eher „unauffällige“ RONALD ZEHRFELD (34/“Der Rote Kakadu“) als Vorgesetzter und Arzt-Kollege André Reiser „adäquat“ zum ungeschliffenen, charmanten Rohdiamanten. Zum Wiedersehen empfohlen.

„Barbara“ ist ein transparenter wie vorzüglich unterhaltender Von-und-Über-Uns-Film. In Sachen „deutsche Glückssuche“ von neulich (= 4 PÖNIs).

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