„BALZAC UND DIE KLEINE CHINESISCHE SCHNEIDERIN“ von Dei Sijie (Fr/China; Co-B+R; 110 Minuten; Start D:25.12.2003)
Dei Sijie wurde 1954 in der Provinz Fujian in China geboren. Als er 12 Jahre alt war, wurden seine Elte1n, beide Ärzte, als „Volksfeinde“ verhaftet. Von 1971 bis 1974, also während der „Kulturrevolution“, befand sich Dei Sijie in der Provinz Sichuan. In einem entlegenen Bergdorf. Zur „kulturellen Umerziehung“. Nach Maos Tod studierte er Kunstgeschichte. 1984 emigrierte er im Rahmen eines Stipendiums nach Paris. Dort begann er eine Karriere als Filmemacher.
Und: Als Schriftsteller. Im Herbst des Jahres 2000 erschien in Frankreich sein erster Roman: „Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“. Mit über 250.000 verkauften Exemplaren avancierte er zu einem großen Erfolg. Hierzulande kam der Roman im Jahr darauf heraus. Und gilt mit über 300.000 verkauften Exemplaren als Bestseller. Im Vorjahr entstand: zugleich die Verfilmung des Romans. Von Dei Siji höchstpersönlich: Als Co-Autor und Regisseur.
Wir schreiben das Jahr 1971. Die Kulturrevolution hat in China ihren Höhepunkt überschritten. Dennoch: Die Universitäten sind immer noch geschlossen. Also werden der 17jährige Ma und der 18jährige LuO,wie viele andere junge Städter auch, nach dem Abschluss der Oberschule aufs Land geschickt. Hier sollen sie dem Einfluss ihrer bürgerlichen Eltern entzogen werden. Und hier sollen ihnen Maos revolutionäre Ideen von den Landbewohnern nahegebracht werden. Doch diese geplante „Umerziehung“ funktioniert bei Ma und LuO überhaupt nicht; ganz im Gegenteil. Ma und LuO schuften, „ganz proletarisch“, im örtlichen Kupferbergwerk. Doch weil sie lesen, schreiben und auch ganz gut „reden“ können, werden sie auch schon mal in die Kreisstadt geschickt, um sich dort einen Film anzusehen. Den sie dann den Dorfbewohnern nacherzählen sollen. Doch dann lernen die beiden Intellektuellen die Enkelin des Schneiders kennen. Man freundet sich an. Und kommt den anderen Verbannten näher. Mit verbotener europäischer Literatur. Das trübe Alltagsleben hier beginnt sich zu verändern.
Der neue- französische Kinofilm „Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“ wurde in weiten Teilen vor Ort und vor einer phantastischen chinesischen Landschaftskulisse gedreht. Jedoch besteht heute in China immer noch das Vorführverbot. Der Grund: Den dortigen Zensoren passt es nicht, dass sich die Charaktere im Film vor allem durch „ausländische Bücher“ so beeindrucken lassen. „Jules und Jim in China“ oder „Balzac und die kleine chinesische Schneiderin“ ist ein ganz feiner, leiser und intelligenter Film. Der sich weniger um die Härten und Auswüchse der Politik und mehr um die Folgen von Dichtung und Poesie beim Menschen kümmert. Der Film ist eine zauberhafte Hommage an die Seelenwelt der Literatur. Ist aber auch eine atmosphärische Dreiecks-Liebesgeschichte und: Erzählt zugleich mit schelmischem Humor von der wundersamen Emanzipation einer einfachen Frau. Eine Hymne also an das denkende, fühlende und sich ständig verändernde Leben. Selbst und gerade in ‚Krisenzeiten‘: „Balzac…“ oder Die ganz private Kulturrevolution.
Ein wunderbarer, weil ein so MENSCHLICHER Film (= 4 ½ PÖNIs).