ANATOMIE EINES FALLS

PÖNIs: (5/5)

CINEASTISCHER UNTERHALTSAMER SPITZEN-GENUSS. Titel = „ANATOMIE EINES FALLS“ von JUSTINE TRIET (Co-B + R; Fr 2022; Co-B: Arthur Harari; K: Simon Beaufils; M: 50 Cent; 151 Minuten; deutscher Kino-Start: 02.11.2023). Ich lese gerne. Verziehe mich dann in eine Zimmer-Ecke, um „so abgeschottet“ – in einem Sessel – voll in die Lektüre einzutauchen. Abzutauchen. Bei diesem Spielfilm ging es mir ähnlich. Nach kurzer Zeit befand ich mich in einer beweglichen Lektüre. In die ich mich interessiert wie packend störungsfrei vertiefte.

Das Paar. Sie, Sandra Voyter, (SANDRA HÜLLER), ist eine anerkannte, erfolgreiche Roman-Autorin. Ihr Ehemann Samuel (SAMUEL THEIS) dagegen ist auf seiner Identitätssuche. Gemeinsam mit dem Augen-erkrankten elfjährigen Sohn Daniel (MILO MACHADO GRANER) leben die Voyters in einer großzügigen wie einsamen Hütte in den französischen Alpen bei Grenoble. Er hat seinen Roman „angefangen“, kommt aber „mit DEM“ nicht weiter. Voran. Offensichtlich spielen Beziehungskonflikte eine Rolle. Frau und Mann haben sich mittlerweile mehr entfernt. Denn in dieser Abgeschiedenheit genähert. Ist – demnächst – zu erfahren. Jetzt aber durchbricht ein Unfall das Lebens-Zeitfenster. Der sehbehinderte Daniel ist mit dem Hund spazieren. Als er zurückkommt, liegt Daddy Samuel tot vor dem Haus. Aufgrund der Hilfeschreie stürzt die Mutter aus dem Haus. Ruft den Notarzt.

Ein Jahr später: Ein Prozess ist angesetzt. Der Film wandelt sich zu einem Krimi-Drama. Der Staatsanwalt tritt dabei als harter Ermittler – Erklärer auf. Will „unbedingt“ zu beweisen vermögen, dass es sich hier um einen Mordfall handelt. Wie es offensichtlich auch die Polizei „empfindet“. War es also Mord? Oder doch Selbstmord? Oder doch nur ein tragischer Unfall, lauten nun die Fakten? Sandra jedenfalls ist hier als Hauptverdächtige ausgemacht. Was folgt ist ein aufreibender Indizienprozess, der nach und nach nicht nur die Umstände von Samuels Tod, sondern auch Sandras und Samuels lebhaftes Zusammenleben im Detail seziert. Und auch der kleine Sohn wird bei diesem Gerichtsduell schließlich näher mit-einbezogen.

Wie bei einem Buch – man kann den Film nicht mehr „ablegen“. Ganz im Gegenteil: Während SANDRA HÜLLER als Sandra Voyter („I’m Not A Monster“) vehement, gemeinsam mit ihrem engagierten Anwalt (SWANN ARLAUD), um die Wahrheit“ ringt, setzt der Ankläger (begeisternd „fanatisch“: ANTOINE REINARTZ) mit aller Raffinesse alles in ausgiebige, listige Wortbewegungen, um seine Anklagevorwürfe zu festigen. Zu untermauern. Eine Spannung jedenfalls vibriert immer aufwallender durch den Gerichts- bzw. Kinosaal. Im Ringen um die Fragen, was wirklich geschah, was tatsächlich damals passierte. Oder eben nicht. Wo sich die „Wahrheit“ befindet. Und wie-überhaupt DIE lautet. Lauten kann. Beziehungsweise – ob DIE überhaupt durch diesen Justizfall herauskommen wird.

Dieser packende, spannende, faszinierende Film von JUSTINE TRIET stellt die Widersprüche im Privaten der harten Realität des Justizsystems gegenüber. Besitzt mit der phänomenal-wandlungsfähigen SANDRA HÜLLER eine begeisternd-nuancierte Akteurin, deren empathische wie verbale Wirkung einen in  ihren faszinierenden Bann zieht. Kein Wunder, dass es in Cannes Lobeshymnen für Film, Regisseurin und Hauptdarstellerin hagelte. Und der Film den Hauptpreis, die „Goldene Palme“, für die Regisseurin zugesprochen bekam. Vor ihr gewannen nur drei Frauen diesen begehrten Filmpreis  = die Dänin BODIL IPSEN (1946) als Co-Regisseurin für „Rote Wiesen“; die Neuseeländerin JANE CAMPION“ (1993)  für „Das Piano“ und die Französin JULIA DUCOURNAU (2021) für „Titane“ /s. Kino-KRITIK/ 3 PÖNIS).

„Anatomie eines Falls“ oder: Mit was für einem meisterlichen Kino-Werk triumphiert das aktuelle Kino (= 5 PÖNIs).

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