„A MAN OF INTEGRITY“ von Mohammad Rasoulof (B + R; Iran 2016/2017; K: Ashkan Ashkani M: Peyman Yazdanian; 118 Minuten; Original mit deutschen Untertiteln; deutscher Kino-Start: 02.05.2019); „In diesem Land bist du entweder Unterdrücker oder Unterdrückter. Es gibt keine andere Möglichkeit“. Die Ehefrau richtet diese Worte an ihren Ehemann Reza (REZA AKHLAGHIRAD). „Hier wirst du entweder zum Erpresser oder zum Erpressten“, äußert sich der Schwager von Reza. Starker verbaler Tobak. Denn wir befinden uns nicht in einem demokratischen Gebilde, wo solche Kritik-Äußerungen selbstverständlich sind und zum öffentlichen Alltag gehören, sondern wir befinden uns im: IRAN. Und sehen auf den vollkommen unabhängig gedrehten Film mit dem Originaltitel „Lerd“/“Integrität“, der vor zwei Jahren in Cannes innerhalb der Sektion „Un Certain Regard“ vorgestellt wurde und den Hauptpreis zugesprochen bekam. Seitdem darf der iranische Filmkünstler das Land nicht mehr verlassen.
Du bist gescheit. Könntest also in dem System durchaus „geschickt“, also listig leben. Du bist aber auch sensibel. Mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Der es dir unmöglich macht, das allgemeine Drumherum-Unrecht auszuhalten. Gelassen zu ertragen. Stattdessen beharrst du auf das wahre Recht. Trotz der allgemein herrschenden, blühenden Korruption und Willkür. Die du dir nicht gefallen lassen willst. Aber gegen die du letztlich keine Chance hast. Willst du halbwegs „gesund“ mit-leben. Überleben.
Aber: Du gehst weg. Aus der Hauptstadt Teheran. Ziehst mit Ehefrau und Sohn aufs Land. Baust dir eine neue Existenz als Goldfischzüchter auf. Diese Tiere sind äußerst beliebt im Iran. Werden gerne an Silvester als Zeichen der Lebensfreude verschenkt. Aber auch hier, abseits der großen blühenden, gemeinen Stadt, kommst du nicht zur Ruhe. Auch hier wirst du von „Mächtigen“ bedrängt. Unter Druck gesetzt. Von wegen Korruption. Mitmachen im System. Bestechungsgelder platzieren. Zum Beispiel. Und weitere „Gefälligkeiten“. Alles nicht so schlimm. Doch anstatt auf Abbas, dem örtlichen Diktator-Statthalter zu hören, setzt Reza auf Polizei und Justiz. Er will nicht mit solch einem System paktieren. Aber wen interessiert schon, was DU willst?! Entweder du wirst Mitläufer oder…
Du hast keine Chance. Da kannst du dir noch so den selbstgemachten Wassermelonenschnaps heimlich `reinziehen, SIE kriegen dich. Doch. Machen dich mürbe. Bis du bereit bist, mitzumachen. Fertig mit Aufbegehren bist. Und mit dem Glauben an Gerechtigkeit. Und dich in eine neue Gefahr begibst. In dem du jetzt diese Anstellung im System annimmst. Akzeptierst. Diese neue – nunmehr Führungsposition. Doch „nebenan“ wird schon unterschwellig gelästert, wie lange DU in und mit dieser „Beförderung“ wohl unbeschadet bleibst. In Anspielung auf den unnatürlichen Tod deines Vorgängers. Der kürzlich draufgegangen ist. Und du fühlst dich nur noch schmutzig. Widerlich. Von dir selbst: angeekelt.
„A Man Of Integrity“ ist kein Lehrstück. Keine Dokumentation. Kein trockenes Bildungskino. Keine plumpe Ideologie mit Ausrufungszeichen. Sondern ein packender politischer Emotions-Thriller aus einem Land, in dem politische Spannungsfilme herzustellen mit Gefahren für Leib, Seele und Beruf (Berufsverbot) verbunden ist. Um so erstaunlicher, um so wahnwitziger ist die trotzige Trotzdem-Haltung von MOHAMMAD RASOULOF, solch einen bärbeißigen Wut-Film herzustellen. Offensichtlich war (und ist) sein Engagement größer als die Angst vor Konsequenzen. Der Film „fühlt sich an wie Zorn unter einer Glasglocke“, lese ich gerade („Indiekino Berlin“; Ausgabe Mai 2019).
„A Man of Integrity“ ist ein hellhöriger, dabei immens angehender, sehr spannender, regional-intimer Genre-Film über ein autoritäres Land, das seine Bürger kontrolliert, entmündigt und leblos werden, gedanklich ausbluten lässt. Ein großartig-aufwühlendes, atmosphärisch-reales Bravour-Stück von überwältigendem Unterhaltungsaufschrei eines Empörten und Gerechten (= 4 1/2 PÖNIs).