12 YEARS A SLAVE

12 YEARS A SLAVE“ von Steve McQueen (USA/GB 2012; B: John Ridley, basierend auf dem gleichnamigen Roman von Solomon Northup; K: Sean Bobbitt; M: Hans Zimmer; 135 Minuten; Start D: 16.01.2014); schon in seinen ersten beiden Filmen, dem IRA-Drama „Hunger“ (2008) und in „Shame“ (2011), einem Drama über einen sexsüchtigen Mann im heutigen New York, der zu keinerlei sozialen Bindungen fähig ist, befasste sich der 44jährige Londoner Fotograf, Video-Künstler und Regisseur Steve McQueen mit Männer in Extremsituationen. Sein neues Werk zählt zu den schonungslosesten und bedeutsamsten in den jüngeren Filmgeschichte. Der schwarze Filmemacher nimmt sich eines der düsteren Kapitel in der Geschichte der Vereinigen Staaten von Amerika an: Der widerwärtigen Sklaverei. Dabei setzt er auf ein authentisches, grausam-wahrhaftiges historisches Ereignis: Der Afroamerikaner SOLOMON NORTHUP ist ein freier Mann. Und Familienvater. Lebt 1841 mit Ehefrau und zwei Kindern glücklich und zufrieden als Tischler und virtuoser Gelegenheitsgeigenspieler in Saratoga/New York. Von seiner Entführung, seiner entsetzlichen Leidenszeit als Sklave im amerikanischen Süden und von seiner Befreiung im Januar 1853 erzählt dieses großartig-eindringliche wie berührend-schmerzhafte Meisterwerk.

Was geht durch den Kopf – erst haben sie die Ureinwohner, die Indianer, gewaltsam zu Untertanen degradiert, wenn sie sie nicht vorher gekillt haben, dann setzte sich die weiße amerikanische Eroberer- und Oberherrenrasse in Positur, um ihre vermeintliche „Überlegenheit“ gegenüber einheimischen Schwarzen zu erklären. Oftmals, „abgesichert“, nämlich religiös behauptet beziehungsweise dadurch für gerechtfertigt erklärt. Stichwort: Dieser widerwärtige Rassismus. DEN wir zutiefst verabscheuen, DER „allgemein“ aber nicht wirkungsvoll (genug) (er-)fassbar ist und nur dann „mehr“ angeht, wenn wir es mit einer identifizierbaren Person zu tun haben. Solomon Northup (CHIWETEL EJIOFOR) ist solch ein Mensch, über den wir näheres erfahren. Wodurch unser Interesse, unsere Anteilnahme, spannende „Nahrung“ bekommt. Über DEN wir zugleich sagenhaft intensiv wie außerordentlich nahegehend umfangreich angesprochen werden.

Stellen wir uns folgendes vor: Sie sind ein freundlicher Familienvater, Tischler und gutmütiger Mitbürger. Besitzen Talent an der Violine, so dass zwei höfliche Fremde eines Tages auftauchen, um Ihnen ein verlockendes Angebot für Auftritte im Zirkus zu machen. Der verabredete Lohn übersteigt die Einnahmen aus der Alltagsarbeit immens. Dann trinkt man zusammen einen auf den Deal, und als Sie aufwachen und wieder bei Verstand sind, liegen Sie in Ketten. Befinden sich auf einem Schiff in Richtung Louisiana. Werden fortan nicht mehr als Mensch, sondern als Ware behandelt. Denn: Sie sind schwarz. Es ist die Zeit um Mitte des 19. Jahrhunderts. Wir befinden uns im „zweigeteilten“ Amerika. Während sie im Norden unangetastet als freier Staatsbürger tun und lassen können, was sie im Rahmen der Gesetze machen wollen, handelt und behandelt man Sie im Süden als Unmensch. Sklave. Sie haben fortan der weißen Rasse gefügig zu sein. Besitzen keinerlei Rechte, sondern nur Pflichten. Können verschachert werden wie ein Möbelstück, dürfen jederzeit misshandelt und sogar getötet werden. Wenn es „dem Herrn“ in den profitablen Geschäftskram oder aus sadistischer Privatlust passt.

Solomon Northup erlebte dies damals. Schrieb anschließend darüber ein Buch. Drehbuch-Autor John Ridley („U-Turn – Kein Weg zurück“; „Three Kings“) und Regisseur Steve McQueen setzen ihm heute ein filmisches Denkmal. Allerdings weder in romantisierender „abgeschwächter“ oder sentimentaler Form und Gestalt, sondern wirkungsvoll-knallhart, emotional wuchtig und intelligent-nachhaltig. Mit einem vergleichsweise überschaubaren Budget von 20 Millionen Dollar erzählen sie unbarmherzig wie packend von grauenvollem Unrecht und von dem Schändlichen, was Menschen Mitmenschen anzutun in der Lage waren. Sind. Diese ungeheuerlichen Scheußlichkeiten sind enorm. Widerlich. Intensiv. Prägen sich ein. Diese Exzesse sind an der und gehen an die Schmerzgrenze. Sind dem Thema um Entwürdigung und Entmenschlichung konsequent- angemessen. In diesem Amerika. Aber längst nicht nur dort. Der allgemeine schleichende Rassismus heizt bekanntlich auch hierzulande schon wieder die Gesellschaftsstimmung an. Gerade in diesen Tagen. Natürlich, subtiler. Wir haben ja gelernt. Und Gesetze. Der ordentliche Rassismus.

„12 Years A Slave“ knallt permanent gut an die Birne. Ist ein spannendes Gutstück bestes KINO. Unterhält erschreckend prächtig. Dank eines famosen Ensembles. Mit formidablen „Stichwortgebern“ wie Benedict Cumberbatch, Paul Giamatti, Paul Dano und Brad Pitt, der Mit-Produzent in einem Nebenpart. Der am 2. April 1977 geborene Ire MICHAEL FASSBENDER (zuletzt: „The Counselor“), der in allen drei bisherigen McQueen-Filmen mitspielt, gibt hier den finsteren Plantagenbesitzer und Menschenschinder Edwin Epps. Der sich gerne auf die Bibel und Gott beruft, während er „seine Neger“ quält. Ausbeutet. Erniedrigt. Misshandelt. Ein emotionaler Drecksack, ein menschliches Wrack, das Fassbender in dessen seelischem Zwiespalt überzeugend-kalt und charakter-brutal auslotet. Motto: Gebe mir gesetzliche Macht und ich werde diese weidlich (sadistisch) nutzen. Benutzen. Ausnutzen. Der Brite CHIWETEL EJIOFOR, 35, aufgefallen in Filmen wie „Amistad“ von Steven Spielberg (1997), „Kleine schmutzige Tricks“ (2003/ an der Seite von Audrey Tautou)), „Tatsächliche…Liebe“, „Melinda und Melinda“ von Woody Allen (2004) oder in einem Nebenpart in „Salt“ (2010/mit Angelina Jolie), spielt hier mit glaubhafter, präsenter, unaufdringlicher Eindringlichkeit einen Mann, dem seine Hautfarbe zum Schicksal wird. Chiwetel Ejiofor trägt den Film in einer bewundernswert beängstigenden Kraft. Treibt ihn wütend dicht voran. Übernimmt phantastisch poren- und seelentief diesen vom Schicksal gebeutelten, verfluchten Solomon Northup und drückt ihm einen unerhörten filmischen Schmerzstempel auf. Eine „Oscar“-reife Darstellung. In einem absolut „Oscar“-starken Spielfilm. Als überragendes, konsequentes Geschichtsmonument mit einem großartigen Denk- und Gefühlspegel.

„12 Years A Slave“ ist ein enorm bedeutender, großartig- unerhörter Muß-Film (= 5 PÖNIs).

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