„UNTER MENSCHEN“ von Christian Rost & Claus Strigel (D/Ö 2010-2012; K: Waldemar Hauschild; 95 Minuten; Start D: 21.03.2013); dieser lange Moment geht sichtlich tief unter die Haut. Sicherlich auch selbst abgehärtesten Zusehenden: Jahrelang lebten sie isoliert. „In Einzelhaft“. Als sie sich erstmals begegnen, nehmen sie sich nur stumm in die Arme. Minutenlang. Ergriffenheit. Aber auch: Kotz-Wut. Macht sich tief atmend breit. Der Dokumentarfilm mit dem zynischen Titel weiß von wahrem Schlimmem zu berichten. Zu erzählen. Vom menschlichen Horror. Gegenüber Tieren. Schimpansen. Die nächsten lebenden Verwandten des Menschen. Die im mittleren Afrika zu Hause sind. Eigentlich.
Mitte der 1980er Jahren werden 40 Schimpansen-Babys aus Sierra Leone von einem Pharmaunternehmen nach Österreich „geholt“. Zum Versuchsdienst „für die Menschheit“. Für die Entwicklung von Aids-, Hepatitis- und Grippe-Impfstoffen. Sie wurden einzeln in sechs Quadratmeter kleine Boxen aus Beton, Glas und Gitterstäbe eingepfercht. Ohne Tageslicht, ohne Kontakt zu ihren Artgenossen. Zwar gab es bereits seit Österreichs Beitritt zum Internationalen Artenschutzabkommen im Jahr 1984 strikte, dies untersagende Reglementierungen, doch heute offensichtliche Lobby-Seilschaften aus Wirtschaft / Politik und Juristerei ließen dies „amtlich“ zu. Ein Satz wie „Kameraden aus dem Zweiten Weltkrieg deckten sich gegenseitig“, fällt einmal im Film, ohne dass dies näher erläutert wird. Naturschützer beginnen frühzeitig diese „katastrophale Tierquälerei“ anzuprangern, doch vergeblich. Erst als der österreichische Pharmakonzern „Immuno“ nach 15 erfolglosen Versuchsjahren von einem amerikanischen („Baxter“) aufgekauft wird, endet die Praxis der quälenden Tierversuche. Wendet sich das schlimme Blatt. Etwas.
Stell dir vor, du erwachst in einer Kiste. Immerhin so hoch, dass du stehen kannst. Täglich bekommst du durch eine Klappe dein Essen. Ansonsten wirst du „behandelt“. Mit „allem Drum und Dran“. Über 15 Jahre lang. Isolationshaft. Die einem „höheren Zweck“ dienen soll. Sie heißen Bonnie und Clyde, Xsera und Gabi, Johannes und Pepi, Martha, Peter und Pünktchen. Sind krank, kaputt, traumatisiert. Sie hassen Menschen und haben allen Grund dazu. Die beiden deutschen Dokumentarfilmer Christian Rost, 1955 in Lörrach geboren, und Claus Strigel, Münchner des gleichen Jahrgangs und 1976, gemeinsam mit Bertram Verhaag, Mitgründer von DENKmal-Film, nennen ihren Film international „Redemption“, also „Erlösung“. Sie zeichnen diese Tier-Mensch-Geschichte akribisch – und ohne jedwede Off-Kommentierung – nach und begeben sich auf die Spuren einer Art begonnener „Wiedergutmachung“. Resozialisierung. Der Schimpansen. Die heute in und auf einer Anlage in Gänserndorf bei Wien das Leben nachlernen. Sollen. Mit ihren vier Pflegerinnen. Zwei von ihnen waren schon bei den Pharma-Experimenten für sie zuständig. Auch für sie ist es eine Art Hilfe. Resozialisierung. Für Annemarie Kuthi und für Renate Foidl ist die Weiterbeschäftigung mit „ihren Tieren“ ein großer Schritt, um sich selbst aus der Verstrickung mit dem Schicksal der Schimpansen zu befreien. Denn auch sie sind Gefangene – auf der anderen Seite des Gitters.
„Unter Menschen“ wirkt wie ein spannender Polit-Thriller. Nur eben nicht fiktiv. Rost & Strigels Bilder drücken. Etwa wenn es darum geht, keine Verantwortlichen dieser kriminellen Taten jemals zur Rechenschaft „zu bekommen“. Und bedrücken. Immens. Etwa, wenn die Affen bei ihren ersten Begegnungen nach den vielen Jahren ihre Kräfte nicht einzuschätzen wissen und untereinander wüste Verletzungen entstehen. Oder wenn ihr erster gemeinsamer Ausflug in die Natur im Außengehege „vorsichtig“ ansteht. Danach werden diese hochemotionalen Bilder so leicht nicht mehr aus dem Kopf zu kriegen sein. Wie gehen wir mit der Natur um. Wie mit den Tieren. Wie wollen wir zusammen existieren. Ein Film mit VIEL Wirkung. Von wegen Reflexion, von wegen vielem Bedenkens- und Nachdenkenswertem. In Sachen Zivilisation. In Sachen WIR. Auf der Erde.
Was für ein engagiertes Werk von „riesigem“ gutem Dokumentarfilm ist hier entstanden und – SEHR dringend wie nachhaltig UNBEDINGT zu empfehlen (= 5 PÖNIs).