Einen talentierten Filmemacher bereits von Anfang an zu erkennen, also zu entdecken, ist ein außerordentliches Vergnügen. D e r US-amerikanische Drehbuch-Autor und Regisseur, um den es hier geht, stand von seinem ersten Langfilm an bereits im Fokus des cineastischen Interesses. Sein Name ist unbedingt zu merken: JEFF NICHOLS.
Geboren am 7. Dezember 1978 in Little Rock, Arkansas. Nach Abschluss des Filmstudiums an der „North Carolina School of Arts“ im Jahr 2001 entstanden sechs Kurzfilme von ihm. Im Herbst 2004 drehte Jeff Nichols in den Baumwollfeldern von Arkansas an seinem Spielfilm-Debüt: „Shotgun Stories“. Mit wenig Geld, ehemaligen Hochschul-Kommilitonen, Bekannten sowie mit dem befreundeten Schauspieler Michael Shannon. Die „archaische Rachegeschichte biblischen Ausmaßes“ (Berlinale-Pressetext) wurde im Berlinale-Forum-Programm von 2007 uraufgeführt und brachte Jeff Nichols große Aufmerksamkeit und viel Anerkennung. In Interviews gab er an, zum Beispiel von Autoren wie William Faulkner, Larry Brown und den Kurzgeschichten von Raymond Carver ebenso inspiriert zu sein wie von Filmen wie „Der Wildeste unter Tausend“ mit Paul Newman (1963), den er verehrt, Terence Malicks Meisterwerk „Badlands – Zerschossene Träume“ (1973) und Billy Bob Thorntons-„Oscar“-Hit „Sling Blade“ (1996) .
Seit seinem zweiten Spielfilm – „Take Shelter – Ein Sturm zieht auf“ (s. Kino-KRITIK) -, der 2011 beim Cannes-Festival den Hauptpreis der Reihe „Semaine internationale de la critique“ gewann, gilt der heute in Austin/Texas lebende Filmemacher als „besonders beachtenswert“. Dennoch ist sein dritter Spielfilm hierzulande 1.) nie bei uns im Kino gelandet und 2.) bereits 2012 gedreht worden und trotz Uraufführung beim renommierten Sundance-Festival im Januar 2013 sowie der Wettbewerbsteilnahme beim Cannes-Festival 2013 jetzt erst bei uns „aufgetaucht“, als Premiere im Heimkino, und 3.) auch wohl nur deshalb, weil sein erwachsener Hauptdarsteller MATTHEW McCONAUGHEY in diesem Frühjahr den „Oscar“ als „Bester Hauptdarsteller“ für seine Rolle in „Dallas Buyers Club“ gewonnen hat. Egal, freuen wir uns halt über eine großartige aktuelle Entdeckung für das Kino-Zuhause:
„MUD – KEIN AUSWEG“ von Jeff Nichols (B+R; USA 2012; K: Adam Stone; M: David Wings; 130 Minuten; Heimkinoveröffentlichung: 13.05.2014).
Eine Standortbestimmung: Dieser neue Jeff Nichols-Film ist im amerikanischen Süden angesiedelt. Am Mississippi. Wo es noch Menschen, Familien, gibt, die direkt am beziehungsweise auf dem Wasser leben. Und riecht verdammt gut nach MARK TWAIN. Und nach dessen beiden Kinder-Helden TOM SAWYER und HUCKLEBERRY FINN. Deren Nachfahren sind sensible wie couragierte 14, heißen Ellis und Neckbone, sind starke Freunde und haben gerade eine aufregende Entdeckung auf einer kleinen Insel im Arkansas River gemacht: Ein Bootswrack in einem Baumwipfel. Gerade als sie ihren Fund zu ihrem neuen Eigentum erklären wollen, taucht dieser Typ auf. Mud (Matthew McConaughey). Und bittet um Hilfe. Die Jungs mögen doch Nahrung besorgen. Er sei vorübergehend hier gestrandet, befinde sich momentan in der Klemme und sei auf ihre Unterstützung angewiesen. Wenn er weiterzieht, will er ihnen das Boot überlassen. Und in der Tat, Mud ist und bleibt friedlich. Obwohl er immer eine Pistole bei sich trägt. Man freundet sich an. Mud ist auf der Suche nach seiner großen Liebe. Juniper. Als die Jungs sie in der Gemeinde entdecken, startet für die pubertierenden Bengels ihr erstes „richtiges“ Lebens-Abenteuer. In Sachen Erfahren. Von Liebe und Hiebe. Und davon, was Erwachsene böses anzustellen vermögen, wenn bei und mit ihnen der Verstand, besser der Anstand, aussetzt und die emotionalen Ausraster zu üblen Aggressionen führen. Denn Mud wird gejagt. Von einem ziemlich unangenehmen Sippen-Pack. Doch Sinn-Stress ist für den gutmütigen, an das naive Gute glaubende Ellis (TYE SHERIDAN) auch Zuhause vorhanden. Die Eltern werden sich wohl trennen, die Mutter möchte zudem hier, vom unmittelbaren Wasser, wegziehen. Und seine Freundin bekennt sich zu allem Übel plötzlich auch nicht mehr zu ihm. Was kann man glauben, wem vertrauen?
Der Südstaaten-Blues nimmt an Zweifel, Schärfe, Empfinden zu. Wie damals, in einem meiner definitiven US-Lieblingsfilme der Achtziger: „STAND BY ME – DAS GEHEIMNIS EINES SOMMERS“ (s. Kino-KRITIK). Von Rob Reiner, nach der Stephen King-Erzählung „Die Leiche“. Wo eine Clique von vier Boys aus einer amerikanischen Kleinstadt im Sommer von 1959 prägende Abenteuer erleben. Und die Schwelle vom Kind zum Bald-Erwachsenen erreichen. Ähnlich hier. Kinder, die mit Erwachsenen zuhauf Probleme haben. Bekommen. Die im glaubwürdigsten Sinne unschuldig sind, sich nun aber daranmachen, MÜSSEN, diese Unschuld mehr und mehr abzustreifen. Weil die Welt nun mal nicht so ist wie sie es gerne hätten und bisher erlebten: ganz gut, weitgehend behütet, vor allem fair. Und voller sagenhafter Abenteuer. Inmitten ihres herrlichen Spielplatzes am Mississippi. Wo Banjo-Klänge dieses besondere Licht-hier begleiten. Und diese spezielle regionale Atmosphäre der stolzen Armut stimmig ausdrücken. Und wo die menschlichen Gesichter „Bände“ erzählen. Zwischen Wehmut, Hoffen und Gleichgültigkeit.
Jeff Nichols setzt auf das Sehen, das Fühlen, das reizvolle unterhaltsame Genießen. In voller Erzählpracht. Drückt auf pure Atmosphäre. Auf das „Zusammenfügen“ von wunderschöner Natur und den deftigen Menschen-Bewegungen in ihr. Ohne Fallstricke, ohne Tricks und Explosionen. Um die Geschichten und die Protagonisten geht es ihm. Die er selbst sich ausgedacht und als Regisseur vortrefflich platziert hat. „Mud“, als Name und als Begriff von „Schlamm“, ist wie das faszinierende Schmökern in einem immer spannender werdenden Roman. Als Abenteuer-Poem. Mit Krimi-Geschmack. In dem komisch-kernige wie passende Südstaaten-Sätze fallen wie „Jungs, ich mag euch, ihr erinnert mich an – mich“. Oder: „Wir Männer müssen die Herausforderungen annehmen wie sie kommen“. Oder: „Ich bin hart zu dir, weil das Leben hart ist. Genieße den Fluss, mein Sohn, solange du noch auf ihm wohnst“. Oder: „Es gibt Dinge im Leben, mit denen du dich arrangieren kannst und mit manchen nicht“. Die melodramatische Rhythmus-Prosa. Der Süden bebt: Seelentief appetitlich.
„Solche Jungs kann man nicht in Hollywood züchten; sie sind echte Jungs aus dem Süden“, äußert sich Ensemble-Star SAM SHEPARD, der den „Mentor“ von Mud mimt, im Making Of-Bonusmaterial begeistert ist über die beiden Ellis- und Neckbone-Kids TYE SHERIDAN + JACOB LOFLAND. In der Tat, bei denen ist nichts von laienhafter Nervosität, Ungelenkigkeit zu spüren. Souverän steuern sie den braunverbrannten, zottelhaarigen Vagabunden Mud, in Persona MATTHEW McCONAUGHEY, an. Der seinen Mud als rauherzige Type mimt, die im fortgeschrittenen Kerle-Alter offensichtlich immer noch kindischen Illusionen nachjagt. Was die “Oscar“-Hübsche REESE WHITERSPOON (die June Carter in „Walk The Line“) als Juniper auf den blonden Plan ruft. Während „in klein“ auch noch die namhaften MICHAEL SHANNON und JOE DON BAKER reizvoll mitmischen.
„Mud“ = Ein faszinierender Abenteuerfilm. Mit einem Klasse Ensemble und SEHR gutem Spannungsgeruch. Als erzählerische Spitzenunterhaltung. Ein Hit im Daheim-Kino (= 4 1/2 PÖNIs).
Anbieter: „Ascot Elite Entertainment“