„ZEITGENOSSEN“ von Ernst Josef Lauscher (Co-B + R; Ö 1982; Co-B: Peter Berecz; K: Wolfgang Simon, Walter Kindler; M: Wolf & Wolf; 93 Minuten; Start D: 12.07.1985);
“Man kann sehr viel über eine Gesellschaft erfahren, wenn man sieht, wie sie mit ihren Kranken, mit ihren Gestörten, mit ihren Außenseitern umgeht“, meinte der 1947 in Wien geborene Ex-Berufsmusiker und Prager wie Wiener Filmhochschulabsolvent Lauscher 1981 anlässlich seines Spielfilmdebüts “Kopfstand“, in dem er von einem, allein gelassenen Jungen erzählt, der aufsässig ist und sogleich psychiatrisch für behandlungswürdig befinden und eingesperrt wird. Zwei Jahre darauf war Lauschers Wut (“Mach keine Schwierigkeiten – mach Filme, das ist schwierig genug“) einer ersten trüben Bestandsaufnahme gewichen: “Ich glaube nicht, dass wir Österreicher neurotischer sind als andere Nationen, aber eines ist sicher: Wir sind Weltmeister im Selbstzerfleischen. Von unserer Ausländerfeindlichkeit, unserem Minderheitenhass und von unseren Irrationalitäten muss nicht noch extra gesprochen werden, die schaffen schon von ganz allein die Aggressionen, die einem das Arbeiten in diesem Lande so einfach und nett werden lassen. Und dann hört man: ‚Macht doch Filme, die man sich anschauen kann‘. Die das sagen, glauben offenbar, wir, die Regisseure, seien so ganz frei von Österreich; dass wir einfach drehen konnten… dahin drehen, dahin schreiben. Die so reden, müssen sich mit der Realität anfreunden, in diesem Land ständig Filme auch gegen die Ignoranz, die beamtete Behäbigkeit der Ministerien und den unglaublichen Schlendrian der Filmkritik zu machen“.
So ähnlich sieht sich denn auch seine neueste Arbeit an, in der das Wochenende eines aus den unruhigen Jugendjahren entwachsenen Mannes beschrieben wird, der beruflich sehr viel und privat dagegen sehr wenig erreicht hat. Er ist Architekt, lebt in Paris und wollte eigentlich den Geburtstag seiner Mutter für ein Treffen mit einer alten Liebe ausnutzen. Aber was sich als ruhiges Meeting anlässt, wächst ihm bald über den Kopf. Anstatt die begehrte Sybille trifft er auf Krista, seine Exfrau, auf Karl, einen fiebernden Anti-Komödianten, Spezialist für Selbstmorde und Wiederauferstehungen aller Art, auf dessen Schwester Lilly, einer liebenswerten Kindfrau mi Identitätsproblemen, und schließlich auf den Literaten Andrej, den Altsponti, Alkoholiker und Paranoiker, der mit dem 13. Kapitel seines neuen Wurf so offensichtlich Schwierigkeiten hat. Aber auch die eigene Familie versteht es glänzend, Max zu irritieren. Während die aufgekratzte Oma über die Lebens-Bilanz sinniert und Opa aus dem Rollstuhl nur noch neidische Blicke und Po-Kneifen austeilen kann, beschäftigt sich die verwitwete einsame Mama mit Aussteigerplänen ans Meer. Und dann taucht dann auch immer wieder jener buntbemalte VW-Bus mit der (überdeutlich symbolträchtigen) Aufschrift “Chaos“ auf, die Überschrift von allem. Ein turbulentes “Wiener Zeitgeist“-Weekend ist annonciert, prall ausgefüllt zwischen Palatschinken und Neonröhrenromantik.
Bei unserem Nachbarn tut sich was in Sachen KINO. Nach der spannenden politischen Rechts-Quittung “Die Erben“ von Walter Bannert und dem amüsant-intelligenten feministischen “Karambolage“-Aufbegehren der Kitty Kino versucht sich Ernst Josef Lauscher an so was wie ‘Nouvelle Vague‘-Stimmungen im Moser-Tal. Sein ungehobelter Zivilisationsreigen ist eine durchaus ansprechende, ironisch-verspielte Zustandsbeschreibung einer Privat-Zeit der unerfüllten Sehnsüchte und zwischenmenschlichen Kurzschlüsse. Wolfram Berger als Hauptakteur Max sieht nicht nur aus wie Harvey Keitel, sondern bringt in seinen besten Szenen auch dessen ständige Unruhe und Unsicherheit mit, während drum herum ein munteres Schattenkabinett von austauschbaren Lebenskünstlern ihre Wehen vorführen.
So unfein und so frech-locker, dass der Wunsch nach mehr solcher unterhaltsamen Finger- und Gedankenübungen aufkommt (= 4 PÖNIs).