DER VORLESER

DER VORLESER“ von Stephen Daldry (USA/D 2007/2008; 123 Minuten; Start D: 26.02.2009); einem namhaften britischen Theater-Regisseur des Jahrgangs 1961, der mit allen wichtigen britischen Theaterpreisen (wie dem „Laurence Olivier Theatre Award“ oder dem „London Critics Circle Theatre Award“) bedacht wurde. Seit 2000 arbeitet Daldry auch für das Kino und war gleich mit seinem Debüt-Spielfilm „BILLY ELLIOT – I WILL DANCE“ äußerst erfolgreich. Der Film über einen aus einer nordenglischen Arbeiterfamilie stammenden Jungen, der das Ballett für sich entdeckt, bekam viele internationale Preise zugesprochen und erhielt eine „Oscar“-Nominierung. Und auch mit Kino-Spielfilm 2 war Stephen Daldry äußerst erfolgreich: Basierend auf einem Skript des renommierten britischen Dramatikers und Drehbuch-Autoren David Hare, der den Roman „The Hours“ des Pulitzer-Preisträgers Michael Cunningham adaptierte, entstand 2002 das vielbeachtete, vielgelobte Drama „THE HOURS – Von Ewigkeit zu Ewigkeit“, das mit dem „Golden Globe“ prämiert wurde und seiner Hauptdarstellerin NICOLE KIDMAN in der Rolle der Virginia Woolf den „Oscar“ einbrachte.

Für „Der Vorleser“ fand das Team David Hare (Drehbuch) und Stephen Daldry wieder zusammen. Der literarische Ausgangspunkt: Der gleichnamige, 1995 veröffentlichte Bestseller-Roman des Berliner Rechtsprofessors und Schriftstellers BERNHARD SCHLINK. Der Roman des 1944 in Bielefeld geborenen Autors wurde in 39 Sprachen übersetzt, erschien unter dem Titel „The Reader“ 1997 in den USA und war das erste deutsche Buch, das es auf Platz 1 der Bestsellerliste der „New York Times“ brachte. (Vor allem die Ankündigung von Oprah Winfrey, der Roman werde in ihrem „Book Club“ besprochen, sorgte für eine Million verkaufter Taschenbuch-Exemplare in den USA). Die Welturaufführung der englischsprachigen Verfilmung, die in Berlin, Görlitz und Köln realisiert wurde, fand am 3. Dezember 2008 in New York statt. Für die Hauptrolle in diesem Film erhielt die 33jährige britische Schauspielerin KATE WINSLET („Titanic“) sowohl den „Golden Globe“ wie auch am vergangenen Sonntag in L.A. den „Oscar“. Gibt es auch an der seriösen darstellerischen Leistung von Kate Winslet nichts zu deuteln, so ist doch ihr Film in seiner thematischen wie gedanklichen „Leseart“ höchst umstritten.

In der ersten Film-Stunde lautet das Thema: Junger Bursche liebt ältere Frau. 1958 irgendwo in einer süddeutschen Kleinstadt. Der pubertierende Michael, 15, begegnet der über 20 Jahre ältere Straßenbahnschaffnerin Hanna, lernt sie kennen und verliebt sich in sie. In ihrer kleinen, ärmlichen Wohnung lernt er zum Erstenmal „Liebe“ praktizieren. Doch dieses Begehren hat auch ihren Preis, erst muß er ihr immer erst etwas vorlesen. Kapitelweise. Aus anspruchsvoller Literatur. Dann erst winkt „die Belohnung“. Natürlich merken wir, aber nicht der aufgeregte Junge, daß Hanna offensichtlich Analphabetin ist. Viel nackte Körper, noch mehr Wasser, die Akrobatik, das Lesen. Bzw. umgekehrt. Während Kate Winslet souverän ihren „geheimnisvollen Part“ spielt, wirkt der 18jährige DAVID KROSS („Knallhart“ von Detlev Buck/2005; neulich in „Krabat“ von Marco Kreuzpaintner) sichtlich überfordert. Kommt viel mehr angestrengt denn sensibel ´rüber. Dann verschwindet sie. Jahre später „entdeckt“ er sie als Jurastudent bei einem Gerichtsprozeß. Gemeinsam mit anderen Frauen ist Hanna angeklagt, in einem Konzentrationslager während des Krieges als Aufseherin an Nazi-Verbrechen gegen Häftlinge beteiligt gewesen zu sein. Michael ist hin- und hergerissen. Sieht sich in einem emotionalen wie moralischen Dilemma. Wenn er bekannt geben würde, daß sie Analphabetin ist, wäre ihr sehr geholfen. Doch er wendet sich unerkannt ab.

Jahre später, RALPH FIENNES spielt den inzwischen erwachsenen Michael nur noch mit starrer Leidensmiene – und das funktioniert typenmäßig nun überhaupt nicht mehr –, läßt die immer noch vorhandene tiefe emotionale Bindung zu Hanna und überhaupt zu ihrem Schicksal den etablierten Juristen Michael keine Ruhe finden. Er schickt ihr also einen Kassettenrekorder ins Gefängnis und dann auch regelmäßig Kassetten, auf denen er ihr ganze Bücher vorliest. Sie beginnt, anhand der Kassetten und der entsprechenden Bücher aus der Gefängnisbibliothek, sich Lesen und Schreiben beizubringen. Dies ist ein „merkwürdiger“ Film. Er will sich „melden“, um über eine ungewöhnliche Beziehungsgeschichte und zugleich über den Holocaust zu erzählen, verfängt/verheddert sich aber in einem ziemlich „unsicheren“ bis sentimentalen Melodram. In dem letztlich so etwas wie die „Resozialisierung“ einer SS-Verbrecherin beschrieben wird, die dabei auch immer mehr selbst zum „armen Opfer“ wird. Zugleich wird über eine Liebesbeziehung berichtet, die sich von Anfang an immer „schwieriger“ entwickelt. Und die den Menschen Michael lebenslang (zerstörerisch) verfolgen soll.

Kate Winslet gelingt es, die widersprüchliche und innerlich gebrochene „dumme Frau“ ohne Peinlichkeit überzeugend darzustellen. Doch der Film?: Während es bei Schlink im Roman vor allem auch darum geht, nach der Schuld in der Nazi-Diktatur ebenso zu fragen wie über die Verantwortung von Kinder und Enkel der „Täter-Generation“ nachzudenken, ersülzt sich der Film in Beziehungsstreß, in Dauer-Trauer, Schluchzen, Tränen und schließlich in eine Art Erlösungsversuch. Währenddessen der Musikteppich (von Nico Muhly) immer kräftiger mitflennt. Das ist unangemessen, unangenehm, unpassend. Der Film „Der Vorleser“ hat sein Thema verfehlt bzw. verschenkt, hinterläßt höchst zwiespältige Gedanken und Gefühle (= 2 ½ PÖNIs).

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