TIP-Gespräch mit VADIM GLOWNA im Februar 1983
Jahrgang 1941, gebürtiger Eutiner (Schleswig-Holsteiner), Schule, Abitur, „dann kurz mal mit den Gedanken an ein Theologie-Studium gespielt“, mit 19 Besuch der Schauspielschule in Hamburg, nach zwei Monaten schon Anfänger-Engagement bei Gründgens am Schauspielhaus in Hamburg, die Schauspielschule nach etwa einem Jahr endgültig verlassen. 1963 mit Zadek und Minks nach Bremen gegangen, neben der Theaterarbeit als Schauspieler in TV-Filmen aufgetreten (u.a. bis 1968 in drei Peter-Lilienthal-Filmen: „Verbrechen mit Vorbedacht“, „Tramp“, „Horror“), dann „frei – ziemlich viel Fernsehen gemacht“. 1969 Mitglied im Ensemble der Münchner Kammerspiele, dann wieder zurück zum Hamburger Schauspielhaus, dazwischen und daneben immer wieder Fernseharbeit, auch in Krimi-Serien („11 Uhr 20), wobei Glowna immer wieder als „schräger“ Typ, als Bösewicht, Unruhegeist, als typischer Vertreter von Negativ-Charakteren verwendet wird.
1975 die erste eigene Filmproduktion, zugleich auch der erste Film der eigenen, zusammen mit seiner Frau, der Schauspielerin Vera Tschechowa, gegründeten Firma „Atossa-Filmproduktion“: „Eurydike BA 2037“, Autor und Regisseur Nikos Nikolaides („…hat zwar eine Menge Preise bekommen, war aber finanziell in Deutschland nicht zu verkaufen“); ab 1976 dann Schauspieler auch bei internationalen Produktionen, so z.B. „Police Python 357“ von Alain Corneau, „Das eiserne Kreuz“ von Sam Peckinpah, „Death Watch – Der gekaufte Tod“ von Bertrand Tavernier, und auch bei zahlreichen bundesdeutschen Filmen, u.a. „Gruppenbild mit Dame“, „Der Hauptdarsteller“ oder „Deutschland im Herbst“.
Der Drang, der Wunsch, selber Filme zu machen, „wurde immer stärker“. 1980 entsteht unter finanziellen Schwierigkeiten der Debüt-Spielfilm als Autor und Regisseur „Desperado City“. Der erhält viel Kritiker-Lob und hat im Kino guten Publikumszuspruch und bekommt dafür auch zahlreiche Preise zugesprochen, z.B. den Gildepreis – „Bester deutscher Spielfilm 1981“. Im Sommer 1981 beginnt Glowna mit den Vorbereitungen zu einem zweiten eigenen Projekt, „Nothing left to loose“, jetzt: „Dies rigorose Leben“, das mit einem Budget von 2,5 Millionen Mark in Amerika realisiert wird und als deutscher Wettbewerbsfilm bei der Berlinale 1983 soeben deutsche Erstaufführung hatte.
TIP: Warum hast Du ausgerechnet und ausschließlich in Amerika gedreht?
Glowna: Schon in „Desperado City“ schildert der Skoda ja seinen Traum von Amerika, das er natürlich nur aus einer Kinowelt kennt, und durch den er sich nicht gegen eine Realität schützt, die ihm nicht passt. Mein neuer Film ist aber nicht die Fortsetzung von diesen Träumereien, sondern die Ursprungsidee kam durch einen Amerika-Aufenthalt von mir im Jahre 1978. Da war ich das erste Mal dort und auch ganz alleine. Ich wollte mir einen Wunsch erfüllen, einmal quer durchzufahren. Was ja auch als Motiv in „Desperado“ vorkommt. Und da habe ich auch in Santa Fe den Peckinpah besucht, der drehte gerade „Convoy“, und von da bin ich dann weitergefahren. Und dann passierte mir etwas, was normalerweise nicht passiert oder passieren sollte: mir ging auf einmal das Benzin aus. Und zwar mitten in der Wüste. Ich wusste gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal durch eine Ortschaft gekommen war und auf der Karte war auch nichts in der Nähe.
Ich blieb also stehen und dachte, irgendwann wird ja wohl jemand vorbeikommen. Neben der Straße sah ich eine Senke und etwas weiter entfernt vier kleine Häuschen stehen, die irgendwie bewohnt aussahen. Die waren vielleicht zwei Meilen entfernt. Ein Schotterweg führte herunter und ich ließ den Wagen einfach runterrollen. Als ich ankam, sah ich sogar eine Tanksäule vor einem Haus stehen. Ich bin die letzten Meter dann zu Fuß gegangen – aber da war niemand. Es sah zwar alles recht bewohnt aus, aber es war keine Menschenseele zu entdecken. Aber weil ich ja nun auch nicht mehr wegkonnte, wartete ich halt ein oder zwei Stunden, bis tatsächlich jemand kam. Von weitem sah ich schon die Staubfahne durch die Wüste wirbeln, und als sie dann näher kamen, erkannte ich einen Truck, hinten offen, und hinten saßen so etwa 15 Indianer drauf. Die sahen meinen dicken amerikanischen Leihwagen bei ihren Behausungen stehen und verhielten sich deshalb sehr zurückhaltend. Langsam kamen sie immer näher und gingen schließlich um das Auto rum. Und dann kam auch schon der erste Tritt gegen das Auto und ich bekam auf einmal sehr große Angst.
Ich fing dann an zu reden wie ein Bekloppter, wie ich heiße, wo und wann ich geboren bin und so weiter. Ich dachte, ich darf jetzt bloß nicht aufhören zu reden, weil die mittenmal sehr furchterregend waren. Schließlich pfiff dann einer und alle verkrümelten sich. Bis auf einen, der wohl so eine Art Chef oder Bürgermeister war. Und der erzählte mir, dass sie mit weißen Amerikanern nichts zu tun haben wollen, und wenn ich einer wäre, hätte mir was Schlimmes zustoßen können. Navajos waren das übrigens. Es ging ihnen ganz gut, die lebten da von Bauarbeiten wie Autobahnausbesserungen oder Dammbegradigungen und so was. Na ja, aber diejenigen, zu denen offensichtlich die Tanksäule gehörte, waren noch nicht da. Die kamen dann am Abend, und das waren zwei alte Leute, jüdische Emigranten aus dem deutschsprachigen Raum, die da durch ihr Schicksal hängengeblieben waren. Und die Alten hatten auch so ein merkwürdiges Verhältnis zu den Indianern. Aber weil beide Gruppen doch irgendwie in der Gesellschaft Ausgestoßene waren, haben die da in dem Dorf seit über 30 Jahren zusammengelebt. Und die hatten auch nur diese Tankstelle.
Der Mann war wohl Balte und stammte aus Wien, und die Frau war sehr unangenehm zu mir, als sie erfuhr, dass ich Deutscher sei und wollte mir eigentlich gar kein Benzin geben. Der Mann war etwas vernünftiger, er sagte zu seiner Frau, der ist doch zu jung, der hat nichts damit zu tun. Das Verhältnis wurde dann im Laufe des Abends immer lockerer, auch die Indianer wurden zusehends freundlicher, und als ich schließlich weiterfuhr, merkte ich, dass mich dieses Erlebnis sehr berührt hatte. Und ich machte mir Gedanken, was denn wäre, wenn die beiden Kinder gehabt hätten, was die wohl gemacht hätten und so fiel mir langsam dazu eine Geschichte ein. Ich fing an zu spinnen, immer weiter, die Geschichte hatte dann mit dem ursprünglichen Anstoß nicht mehr sehr viel zu tun – aber mir wurde klar, dass ich diese Geschichte verfilmen wollte und auch an einem so ähnlichen Ort. Was da unten besonders merkwürdig ist, ist die Weite, alles liegt wirklich sehr weit auseinander. Drüber ist nur Himmel und drunter nur Staub – eine ganz eigene Art von Natur. Und dann ist da so eine Stille, aber trotzdem merkwürdig laut wegen des Windes.
Der Sand setzt sich an deiner Haut fest, man ist wie gepudert. Und wenn man sich vorstellt, dass Menschen sich dort berühren und zum Beispiel streicheln wollen, dann ist das wohl wie Sandpapier. Und so eine Gefühlsebene habe ich auch versucht, in den Film zu tragen. Das ist wirklich nicht einfach, man kann nicht laut schreien oder anhand von Explosionen etwas deutlich machen. Man kann sich aber auch nicht so einfach berühren, denn das würde reiben und man würde auf die Dauer die Haut auf schaben, bis das nackte Fleisch rauskommt. Also alle Emotionen werden hier sehr viel stärker kontrolliert.
TIP: Die Erwartungshaltung nach diesem eindrucksvollen Debüt war und ist bei uns sehr groß, und ich hatte als Deinen zweiten Film eigentlich etwas „ganz anderes“ erwartet. Nun also Amerika, weit weg von uns, weit weg entfernt von dem, was in „Desperado City“ passiert. Ist das eine Art Flucht?
Glowna: Flucht würde ich das nicht nennen wollen. „Desperado City“ hat mit diesen Menschen nichts zu tun, das ist richtig. Hier nun begegnen wir Menschen, die eine andere Art von Realität erleben, deren Ausgangspunkt eben das Gehen müssen ist, es sind ja nicht Leute die freiwillig einmal dorthin gegangen sind.
TIP: Aber Dein Erzählstil hat sich gegenüber Deinem Erstling wesentlich geändert. Dein neuer Film erinnert an der Zeit der großen Melodramen, an das große Gefühlskino der Amerikaner aus den 40er und 50er Jahren. Mit fast opernhafter, voller Musik, mit richtiger Ouvertüre und großem Finale.
Glowna: Das ist beabsichtigt. Ich hatte mir da so Filmmusik wie Tiomkin (Komponist für Filme wie „Red River“, High Noon“, „Der alte Mann und das Meer“) vorgestellt, vielleicht kann man das assoziieren. Ich habe versucht, einen klassischen Film zu machen, mit klassischen Mitteln und klassischen Kinofiguren. Aber ich wollte auch ganz bestimmt nicht einen amerikanischen Film machen oder damit behaupten, ich könnte es wie ein Amerikaner.
TIP: Aber beeinflusst vom amerikanischen Kino bist Du ja wohl auch, wie wir all – oder?
Glowna: Man kann sich ja von was Gutem beeinflussen lassen, aber es ist wohl trotz allem ein deutscher Film geblieben. Denn ein Amerikaner würde viele Dinge nicht so sehen oder verschärfen. Wenn Du nur mal an der Puffszenen denkst, dann würde dort ein viel größerer Realismus gezeigt werden. Dieser ist zwar da und unterscheidet sich von daher nicht von dem Bordell-Bild in einem amerikanischen Film, aber dass die Frauen dort drin zum Beispiel eine Entwicklung haben, dass sie markanter werden und sich gegen eine Ausbeutung durch die Männer wenden, dass sie etwas Archaisches kriegen, das würdest Du in einem amerikanischen Film nicht so schnell sehen. Bei mir werden die Fesseln gesprengt, jeder findet zu seiner eigenen Daseinsform. Ob die eine jetzt ins Grab geht und einen andere sich eine würdigere Form des Todes aussucht…, sie haben alle die Möglichkeit, ihren eigenen Weg zu gehen.
TIP: Wenders in Amerika, Du jetzt auch, Herzog im südamerikanischen Busch, Schlöndorff im Libanon – gibt es nicht „zu Hause“ genügend Themen, die schon längst einmal auf die Kino-Leinwand gehören? Was ist mit Themen wie Baader-Meinhof, Flick, Langemann, Neue Heimat, Franz Josef Strauß, wieso werden die nur immer in Zeitungen, aber selten in Filmen behandelt? Seit Ihr nicht, möglicherweise durch die Förderungsmechanismen, schon von vornherein mit dieser „Schere im Kopf“ und tretet deshalb vermehrt die Flucht ins Ausland an? Seid Ihr etwa schon die Emigranten des Neuen Deutschen Kinos?
Glowna: Es gibt sicherlich Themen, die hierzulande einer gremienbedingten Zensur unterliegen. Auf der anderen Seite – wer sollte so etwas verarbeiten? Es gibt in Deutschland fast keine Autoren. Aber man darf das auch nicht so einseitig sehen, denn die deutschen Filmemacher haben den bundesrepublikanischen Realismus doch schon ziemlich verarbeitet in den 70er Jahren. Außerdem muss jeder das machen, was seine Obsession ist, und wenn Herzog meint, er können jetzt nur noch Filme im Busch machen, dann bitte.
TIP: Das reicht mir noch nicht. Die hiesige Kinoaufarbeitung von bundesdeutschen Polit- oder Gesellschaftsrealismus hat den Zuschauer längst noch nicht zufriedengestellt, im Gegenteil. Es gibt beispielsweise kaum spontanes Eingehen auf irgendwelche Ereignisse, es gibt dann meistens nur diese quälenden symbolischen Zeichen, die meistens in die Literatur und jetzt gerade mal wieder in die private Kacke gehen.
Glowna: Aber konkret politisch reagiert wurde doch zum Beispiel bei „Deutschland im Herbst“…
TIP: Das war das erste Mal ja, und da gab es ja auch ganz schöne Kabbeleien untereinander, ehe das doch noch verwirklicht wurde.
Glowna: …oder „Katharina Blum“, also es gibt schon einige.
TIP: Aber im Vergleich beispielsweise zu Italien, Damiano Damiani, oder Frankreich, Yves Boisset, ist bei uns herzlich wenig die Neigung zu verspüren, sich auch mal an „gewagte“ Themen, also tagespolitische Themen, heranzumachen. Aber ich meinte auch, dass unsere Besten im Lande bleiben sollten und mit ihren mehr politischen Geschichten diesem Themenkreis auch mehr Gewicht verleihen könnten. Vor allem, die könnten doch was riskieren. Wender beispielsweise bekäme doch hier zu jedem Thema jede Unterstützung.
Glowna: Da bin ich auch Deiner Meinung, aber es muss doch letzten Endes immer die Entscheidung des Filmemachers bleiben, welche Geschichte er inszenieren will. Ich wünsche mir zum Beispiel im Moment selber, einen Stoff zu finden, von dem ich der Meinung bin, dass der unbedingt jetzt und hier gemacht werden muss. Aber ich habe trotzdem nur drei, vier Stoffe im Kopf, die sich leider nicht auf eine aktuell interessante Realität wie Flick oder so beziehen.
TIP: Warum nicht?
Glowna: Solche Ereignisse berühren und interessieren mich schon. Aber es fallen mir nicht zwingend Bilder dazu ein, die über eine gewisse Kurzlebigkeit hinaus ihre Bedeutung behalten können. Entschuldige, aber einen Film zu machen, halte ich schon im weitesten Sinne für eine künstlerische Arbeit. Darin unterscheidet sie sich vom Tagesjournalismus. Ich will nicht was schaffen, was eine Weile später mit Sicherheit wieder aus der Mode kommt und von nächsten Ereignissen überrollt oder sogar widerlegt wird.
TIP: Kommen wir wieder zu Deinem neuen Film zurück. Wo und wie hast Du denn in Amerika gedreht, wie hast Du überhaupt „Deinen Ort“ gefunden? Ist er derselbe wie 1978?
Glowna: Nein, nein. Ich war zwei Monate im ganzen Süden der Staaten auf Motivsuche. Ich fand da tolle Plätze, aber immer fehlte mir etwas ganz wichtiges. Schließlich bekam mein Produktionsleiter heraus, dass man von den Gouvernements der einzelnen Regionen sehr großzügige und nützliche Unterstützung bekommt – also man hat uns tagelang auf deren Kosten von einer Stelle zur anderen gefahren. So fuhren wir auch eines Tages voller Erwartung zu einem Ort in El Paso, der auf den Bildern meinen Vorstellungen sehr entgegenkam. Aber als wir dann dort ankamen, war ich sehr enttäuscht, denn der Ort hatte irgendwie keine Magie. Und dann sagte ich, jetzt fahren wir einfach mal ein paar Meilen weiter. Und kamen plötzlich an einen Ort, der hatte für mich eine unglaubliche Magie. Die verstanden das gar nicht, denn da war nur Sand und dreckige Wüste. An diesem Punkt schnitten sich nicht weniger als neun Straßen. Und da kam ich auf den Gedanken, wir bauen den Ort als Kulisse. Das war sowieso besser, weil ja zum Schluss alles in die Luft fliegen sollte. Aber mein Pfadfinder da, der mich im Auftrag des Gouvernements durch die Gegend führte, meinte, das ginge hier gar nicht, denn wir befänden uns gerade auf furchtbar geheimen Militärgebiet, wie fast überall dort. Da probieren sie ihre Pershings und die ganzen anderen Scheiß-Dinger aus, direkt an der Grenze von El Paso zu Mexiko. Aber schließlich, als der Gouverneur deswegen sogar bis Washington telefonieren musste – ich wollte unbedingt hier und nirgendwo anders drehen-, kam dann relativ unerwartet doch noch das Okay, inzwischen war es schon zwei Wochen vor Drehbeginn.
Sehr viel schwieriger aber war das Problem mit der Union, also mit der Gewerkschaft. Jedes Kind weiß, dass eine europäische Produktion unweigerlich pleitegehen würde, wenn die Union-Bedingungen in den Staaten drehen würden. Normalerweise wäre das bei uns überhaupt kein Problem geworden, wenn nicht gleichzeitig eine Hollywood-Company in die Gegend gekommen wäre, um dort irgendeinen Western mit David Carradine zu machen. Da waren natürlich auch Unions-Vertreter dabei, und die wurden misstrauisch und hätten locker den Abbruch unserer Dreharbeiten durchsetzen können. Mit ein paar Tricks und meinen Beteuerungen, wir wären hier sowieso nur fürs deutsche Fernsehen, haben sie uns schließlich in Ruhe gelassen. Zum Schluss hat sogar dieser filmverrückte General, der für uns letztendlich die Dreherlaubnis in Washington durchgesetzt hat, militärpolizeilichen Schutz für uns abgestellt, die jeden Tag die Dreharbeiten nach außen hermetisch abriegelten. Ich will damit nichts gegen die Gewerkschaften sagen, aber einer Gewerkschaft, die sich so verhält, die auch Gewalt zur Durchsetzung ihrer Forderungen anzuwenden bereit ist, die mit Gewaltaktionen droht, kann ich nicht befürworten. Im Übrigen haben wir uns, was die Höhe der Gagen für die Techniker und für die mitarbeitenden Indianer aus der Gegend betrifft, wirklich sehr sozial und großzügig verhalten.
TIP: Noch etwas zu den Schauspielern, es sind ja, wie auch schon in „Desperado“ verhältnismäßig unverbrauchte, „fremde“, neugierig machende Gesichter.
Glowna: Amerikaner wollte ich auf keinen Fall haben. Schon, weil die eine andere Art haben, sich auszudrücken. Dieses typisch Amerikanische gibt es ja auch frühestens erst in der zweiten Generation, und mein Film handelt von der ersten Einwanderer-Generation. Andererseits habe ich in Deutschland nicht alles besetzen können. Für den Joseph zum Beispiel brauchte ich jemanden, der eine ganz extreme Form von Charisma hat. Und so kam ich auf Jerzy Radziwilowicz, der mir in den Wajda-Filmen „Der Mann aus Eisen“, „Der Mann aus Marmor“ aufgefallen war. Auch wenn das, was dort gespielt hatte, was ganz anderes war.
Als wir uns das erste Mal begegneten, wussten wir auf eine spontane, beinahe erotische Art von Verständnis, dass wir das zusammen machen können. Ähnlich war es bei der Besetzung der Rolle von Rosa. Nachdem ich bei uns nicht die Schauspielerin fand, die mir vorschwebte, habe ich auch im Ausland gesucht. Als ich dann in Madrid auf Angela Molina traf, war das wie ein Funke, der sofort übersprang.
TIP: Vadim, „Dies rigorose Leben“, ist das nur so eine Kinogeschichte, die Du machen wolltest, oder hat das eigentlich auch etwas mit Dir zu tun? Glowna: Ich glaube, dass es ein schöner Titel für die Geschichte ist, und in ihr ist schon so etwas Programmatisches von mir enthalten. Ich glaube, dieses Leben, was auch ich zum Teil führe, ist mir oft nicht rigoros genug. Ich merke da Verlust oder Hemmungen und frage mich, warum eigentlich. Es ist bei uns auch so eine gefühlsarme Zeit, und ich wollte einen Film über Gefühle machen. Weil ich der Meinung bin, und das ist wichtig, dass man sie nicht nur haben, sondern auch ausdrücken und ausleben sollte, sondern sehr vital und vehement und meinetwegen auch bis zum Exzess sie auskosten sollte.
In so einer Gesellschaft wie bei uns, wo alles so kommunikationsarm und angepasst ist, wird das ja schon kaum noch akzeptiert. Wenn irgendjemand ein Problem hat und mit seinen Augen um Hilfe schreit, wendet man sich ab, will das schon gar nicht mehr hören oder sehen. Man täuscht lieber irgendein anderes, eigenes Problem vor, bloß damit man nicht involviert wird in das, was gerade jemand aus sich herausschreit. Und der Film ist halt so ein Aufschrei von mir.
„DIES RIGOROSE LEBEN“ von Vadim Glowna (Co-B + R; BRD 1982; Co-B: Christopher Doherty; K: Martin Schäfer; M: Peer Raben; D: Angelina Molina; Jerzy Radziwilowicz, Vera Tschechowa; Viveca Lindfors, Elfriede Kuzmany; 100 Minuten; BRD-Kinostart: 10.3.1983).