TV-Kritik für „DeutschlandRadio Berlin/Ortszeit“ (04.02.1995)
Seit dem 6. Januar dieses Jahres an jedem Freitagabend im Ersten Deutschen Fernsehen neue amerikanische Fernsehfilme als deutsche Erstaufführung. Sie wurden unter dem Titel „IM NAMEN DER KINDER“ als eine Reihe zusammengefasst, in der es um authentische gesellschaftliche Themen geht, die nicht nur für die amerikanische Gesellschaft typisch sind. Ob Kämpfe um das Sorgerecht zwischen geschiedenen Eltern; ob es um Gerechtigkeit nach dem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen geht oder um das Thema der Organtransplantation bei Säuglingen: Stets erzählen diese Filme von Krisen, in denen Erwachsene im Namen von Kindern handeln müssen. Gestern Abend hieß der Film „LAND DER VERLORENEN KINDER“ von David Wheatley (USA 1994; 95 Minuten).
Das Land, um das es hier geht, ist Rumänien. Dort findet im Dezember 1989 die Revolution statt. Zur selben Zeit in Detroit: Carol Stevens, eine resolute Hausfrau, erleidet ihre vierte Fehlgeburt. Die Aussicht, wirklich ein Kind bekommen zu können, ist dahin. Im Fernsehen sehen sie und ihr Mann, ein Architekt, die Bilder von Waisenkinder aus Rumänien. Die vegetieren dort vor sich hin, besitzen keine Zukunft. Hilfe, schreit es aus dem kleinen Kasten. Der Entschluss von Carol Stevens ist gefasst: Dort, wo jetzt die Not am Größten ist, will sie helfen. „Wir adoptieren nicht nur 1 Kind, wir retten 1 Leben“, erklärt sie ihrem zögerlichen Mann, bevor sie beide nach Bukarest fliegen. Dort ist die Lage chaotisch. Die politischen Umsturzereignisse scheinen geklärt, aber im Innern ist das Land vollkommen unübersichtlich. Dennoch ist die Amerikanerin voller Mut und Hoffnung. Sie kommt mit einer französischen Ärztin in Kontakt, die im Waisenhaus arbeitet.
Dort geht es zu wie in einem „Supermarkt für Babies“: Aus aller Welt stehen Interessenten Schlange, um Kinder zu adoptieren. Doch das System ist korrupt und bürokratisch. Und: Ehemann Joe entdeckt einen Jungen, der als geisteskrank erklärt wird, aber keinerlei unnormale Verhaltensweisen aufweist, Während seine Ehefrau „ihr Baby“ findet. Was jetzt folgt, ist ein Kuddelmuddel von Krimi und Gefühl; nicht sehr glaubwürdig und überzeugend; nur geprägt von der starken Ausstrahlung des Hollywood-Stars Ann-Margret, die einst schon Elvis Presley auf der Leinwand auf die Palme brachte. Es geht hin und her: Zwischen der noch aktiven fiesen Geheimpolizei und Carols Helfern. Nach einer Film-Stunde wird der auf Tatsachen beruhende, aber meist nur so „dahinplätschernde“ Film plötzlich sehr ernst und wichtig.
Auf der Suche nach dem älteren Jungen entdecken Carol und die Ärztin ein „verstecktes“ Heim in den Bergen, wo Kinder wie Vieh gehalten werden. Dazu werden „echte“ Aufnahmen verwendet. Erinnerungen an diese erschütternden „Spiegel-TV“-Bilder von einst werden wach, die um die Welt gingen. Unter dem Diktat Ceausescus wurden „besondere“ Kinder „aussortiert“. Zum Beispiel, die, die krank waren. Oder die schielten. Sie erschienen dem Diktator nicht „rein“. Sie wurden zusammengepfercht und ihrem Schicksal überlassen. Carol hält dies auf Videoband fest und wird nun selbst eine Gefahr für das immer noch aktive System. Aber: Sie beweist Courage, Mut und hat gute Begleiter in der Not. Einem Happy-Ende steht nichts mehr im Wege. Es ist Freitagabend. 20.15 Uhr.
„Land der verlorenen Kinder“ will also nicht problematisieren, sondern unterhalten. Deshalb ist die Absicht des TV-Films besser als seine plumpe und nicht sehr überzeugende Machart. „Politik“ findet hier nur äußerlich statt: Beim Sturz eines gigantischen Denkmals; bei einigen Demonstrationen; bei den Aktionen der Geheimpolizei. Für Tiefe, ausgeleuchteten Hintergrund oder gar Charaktere ist weder Platz noch Zeit. Und für die „Rest“-Kinder auch nicht. Der Film läuft auf die übliche Gut-Böse-Dramaturgie hinaus: Nette Amerikanerin rettet zwei arme Kinder. Ehrenwert, aber für eine solche „Räuberpistole“ wie hier nicht gerade klug. Und sich damit „bloß“ zu unterhalten, geht einfach nicht. Zu sehr drängen sich die authentischen Ereignisse und deren grauenvolle Bilder in den Kopf. Obwohl sich alle Beteiligten ambitionierte Mühe geben: D a s Thema überfordert. Der Film-Titel – „Land der verlorenen Kinder“ – hält das nicht ein, was er verspricht. Aber: Es ist auch der einzige Film in dieser ARD-Reihe, der in Amerika einen Kino-Verleih gefunden hat. Ob auf der großen Leinwand allerdings dieses Tränen-Polit-Krimi-Spielchen bessere Wirkung zeigt, darf bezweifelt werden.