PÖNIs: (5/5)
„THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI“ von Martin McDonagh (B + R; USA/GB 2016; K: Ben Davis, M: Carter Burwell; 115 Minuten; deutscher Kino-Start: 25.01.2018); manchmal möchte man als Filmkritiker niederknien, vor solch einem gelungenen Werk. Was heißt gelungen: vor einem überragenden Besten-Stück von einzigartigem Kino. Dieses Gefühl allerdings kommt in Gänze äußerst selten vor, hier ist es wieder einmal soweit. Es gilt, keine Minute/Sekunde zu versäumen, nicht so viel Kaffee & Co. vorher also zu sich zu nehmen; zudem ist zu empfehlen, sich dieses Meisterwerk in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln anzuschauen und wirken zu lassen, denn selbst die bemühteste deutsche Synchronisation vermag nicht die atmosphärische Brillanz von Wort – Gedanken – Bewegungen – Vergnügen adäquat originalgetreu auszudrücken.
Wo anfangen bei dieser Edel-Lust am Loben? Am besten beim Autoren-Regisseur MARTIN McDONAGH, der ein sagenhaft gutes Drehbuch verfasste und dies selber dann als Spielleiter auch verfilmte. Martin McDonagh ist ein irischstämmiger britischer Filmemacher des Jahrgangs 1970, dessen Arbeiten von Anfang an gefielen. 2004 gab er sein Debüt mit dem Kurzfilm „Six Shooter“, für den er 2006 den „Oscar“ in der Kategorie „Bester Kurzfilm“ zugesprochen bekam. 2008 kam sein erster Spielfilm in die Kinos, „Brügge… sehen und sterben?“ (s. Kino-KRITIK); für das Drehbuch bekam er eine „Oscar“-Nominierung. 2012 folgte mit „7 Psychos“ (s. Kino-KRITIK) sein zweiter Spielfilm (mit Colin Farrell, Christopher Walken sowie Abbie Cornish), der inzwischen bei Cineasten als Kultfilm „gehandelt“ wird. Für seinen dritten Spielfilm hagelt es Begeisterung. Das „American Film Institute“ adelte ihn als einen der „Top-10-Filme“ von 2017 (in den USA kam er am 10. November 2017 heraus), und bei der Vergabe der 75. „Golden Globe Awards“ kürzlich erhielt er 4 von 6 nominierten Trophäen: für den Besten Film (Drama); die Beste Schauspielerin (Frances McDormand); den Besten Nebendarsteller (Sam Rockwell) und das Beste Drehbuch. Für die Anfang März anstehende „Oscar“-Verleihung 2018 ist ähnliches zu erwarten, jedenfalls wurde „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ soeben für 7 „Oscars“ nominiert.
Billboards = große, am Straßenrand stehende Plakatwände. Drei von ihnen stehen abgenutzt und eher baufällig an einer Landstraße in der Nähe der (fiktiven) Kleinstadt Ebbing im mittel-westlichen US-Bundesstaat Missouri. Für Mildred Hayes (FRANCES McDORMAND) wie geschaffen für drei „Botschaften“, die sie öffentlich vermitteln will. Auf knallig-rotem Untergrund heißt es dort mit schwarzen Buchstaben: „Raped while dying“/“And still no arrests“/“How come, Chief Willoughby?“ ! ! ! „Im Sterben vergewaltigt“/“Und immer noch keine Festnahme?“/“Wie kann das sein, Chief Willoughby?“ !!! Mildred Hayes hat diese gigantischen, sonst mit Reklame versehenen Holz-Gestelle offiziell gemietet, sie restauriert, um danach ihre Riesen-Wut und Riesen-Trauer lauthals schriftlich herauszuschreien. „Kenntlich“ zu machen. Vor sieben Monaten wurde ihre 20-jährige Tochter entführt, vergewaltigt und ermordet. Ein Täter konnte bisher nicht ermittelt, überführt werden. Wohl, wie die wie ein weiblicher Clint Eastwood-Berserker selbstbewusst und rotzig auftretende Mildred meint, weil die Polizei lieber Afroamerikaner schikaniert und zusammenprügelt als ihren polizeilichen Ermittlungspflichten nachzukommen. Natürlich ist die Empörung groß in der kleinen Gemeinde. Aber weniger wegen der Fakten eines unaufgeklärten widerlichen Verbrechens, sondern darüber: „was sich diese Frau herausnimmt“. Sheriff Bill Willoughby (WOODY HARRELSON) ist kein Rassist. Im Gegensatz zu seinem aufbrausenden, oftmals unkontrolliert agierenden Officer-Assistenten Jason Dixon (SAM ROCKWELL). Willoughby sucht das Gespräch mit Mildred, erklärt, dass die genetischen Spuren am Tatort zu Niemandem hingeführt hätten. Assi Dixon dagegen sieht „Gewalt“ als Lösung dieses „hässlichen“ Reklametafel-Problems. Gewalt „gegen diese blöde Frau“.
Hier möchte ich mit der Be- und Umschreibung einer unglaublichen Geschichte aufhören. Im Kopf haben sich bestimmt schon bestimmte „Notizen“ festgesetzt. Von wegen: Südstaaten-Thriller, aha, mit einer tapferen „Gary Cooper“-Frau, die sich von nichts und niemanden erschüttern, gar aufhalten lässt und „den Weg der Gerechten und der Gerechtigkeit“ stur-couragiert marschiert. Mit dem Gewehr im Anschlag. ALLES FALSCH. Was wir in der Folgezeit sehen, erleben, genießen, ist ein Ding der wunderbaren Eigentlich-Unmöglichkeit. Jedes Ahnungs- und Deutungsbemühen für die kommenden Szenen und Motive verlaufen völlig anders als erwartet. Wir übersteigen mühelos und dabei äußerst, man stelle sich vor: „amüsiert“, die Genre-Grenzen zwischen Thriller, Western, Drama und schwarzer Komödie, ohne dass dieser kühne Film zu einem trockenen Lehrstück mutiert, etwa mit einer uniformierten Ideologie oder zu einer heißen politischen Abrechnung. Geradezu beiläufig-listig kommen solch „unterhaltsame“ Themen vor wie latenter Rassismus, Selbstjustiz, Macho-Gehabe sowie Wut und Sühne und ihre „komische“ wie liberale Hinterfragung; wird aus einem Neo-Western ein grotesker, dauer-pointierter, blitzgescheiter Schaukampf um Verbitterung, Engstirnigkeit und der grotesken wie gesellschaftlich-reaktionären US-Hoffnung, mit Gewalt alles wieder „herrichten“ zu können. Die ewige amerikanische Lösungs-Variante. Im Lichtspiel wie in der Realität. Es gibt ungeheuer viel zum Staunen, Denken, großartigen Empfinden.
Ohne die „richtigen“ Darsteller hätte „Three Billboards“ in die schlimme Klischee- & Alptraum-Hose und in die Karikaturen- beziehungsweise Stereotypen-Nähe gehen können. Ist er aber nicht, weil das Team um Martin McDonagh offensichtlich sehr klug und definitiv-hervorragend herangegangen ist bei der Zusammenfügung der passenden = exzellenten Besetzung. FRANCES McDORMAND, verheiratet mit Joel Coen und „Oscar“-Preisträgerin für ihre Rolle als schwangere Polizistin Marge Gunderson in dem Coen-Brother-Meisterwerk „Fargo“ (1997), trifft auf den Punkt-genau ihre resolute Rache-Figur inmitten dieses amerikanischen Kleinstadt-Wahnsinn-„Charmes“. Ihre Wut, ihre Schmerzen, ihr Aufbegehren und ihr cooler Humor sind unglaublich Nerven-intensiv. Eine ganz, ganz starke tolle Frau, die wahrzunehmen zum herzhaften, spannenden Erlebnis wird. SAM ROCKWELL als dieser gefährliche Weichei-Assi-Drecksack-Polizist kotzt faszinierend den unreifen Muttersöhnchen-Faschisten aus seinem Proll Dixon heraus, ohne zu übertreiben, sondern mit erstaunlichen wie grandiosen Charakter-Attitüden. WOODY HARRELSON als leitender Ermittler dagegen mimt völlig gegen den – erwarteten – Hardcore-Strich und wartet mit nuancierten Überraschungen als Zielperson der eigentlichen Mutter-Wut auf. Auch einmal mehr: verlässlich – sehr gut. Unbedingt erwähnenswert auch: die passenden, stimmungsvollen (aber nicht stimmungsheischenden) regionalen Balladen-Klänge von Komponist CARTER BURWELL: Der Soundtrack (mitten drin: „The Streets of Laredo“, gesungen von Marty Robbins) ist ebenfalls erste Klang-Sahne.
Viele solcher spannenden, überragenden Qualitätsfilme wie diesen wird es 2018 nicht geben, deshalb: „THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI“ ist ein kühnes Meisterwerk, ein absoluter MUSS-Man-Gesehen-Haben-Film, mit DEM sarkastischsten Ami-Film-Satz von „Sheriff“ Woody Harrelson überhaupt: „Wenn sie sämtliche Cops mit rassistischen Tendenzen entlassen würden, blieben vielleicht drei übrig – und die wären Schwulenhasser“ (= 5 PÖNIs).