THE SON OF NO ONE

Das vor allem tägliche Serien-Fernsehen stumpft uns immer mehr ab. Mit seinen vielen Toten. Ermordeten. Und mit diesen ständigen unterschwelligen Law and Order-Signalen a la was soll’s, das waren doch bloß „Verbrecher“. Gesellschaftliche Outlaws. Menschlicher „Unrat“. Dass gerade DIE umgebracht wurden, in einer weiteren Folge, meine Güte….so „unverdient“ war das doch eigentlich gar nicht. Schließlich gehörten DIE doch zu den „Bösen“. Zeigte gerade die Folge ganz deutlich. Dass DIE also „ausgemistet“ wurden, gehört halt zur Gerechtigkeit und Erzählform des gepflegten Krimi-Fernsehens. Beziehungsweise umgekehrt. Wo eben „Schurken“ SO behandelt werden. Müssen. Damit „die Guten“ überleben“. Und wir dadurch morgen oder nächste Woche wieder anständig einschalten.
Ein neuer amerikanischer Spielfilm geht heuer andere dramaturgische, gedankliche wie seelische Wege. Er wurde im Vorjahr gedreht und hatte seine Uraufführung auf dem diesjährigen renommierten „Sundance Festival“ im Januar 2011. Titel:

THE SON OF NO ONE“ von Dito Montiel (B+R; USA 2010; 88 Minuten; DVD-Veröffentlichung: 17.11.2011).

DITO MONTIEL, geboren am 26. Juli 1965, ist amerikanischer Schriftsteller, Drehbuch-Autor, Regisseur und Musiker. 2003 veröffentlichte er das Buch „A Guide to Straßen von New York“, eine detaillierte Abhandlung über sein Aufwachsen in Astoria/Queens in den frühen 80er Jahren. Inmitten der „aufwachenden“ Punk-Scene. Wo er mit seiner Band „Gutterboy“ unterwegs war. Und wo er für kurze Zeit als Model mit Versace zusammenarbeitete. 2006 schuf er als Drehbuch-Autor und Regisseur daraus seinen Debüt-Spielfilm „Kids – In den Straßen New Yorks“. Mit Robert Downey Jr. als Dito sowie Shia LeBeouff als junger Dito. 2006 veröffentlichte er das selbstbetitelte Album „Dito Montiel“ (bei „Rhino Records“); 2007 erschien sein zweiter Roman „Eddie Krumble Ist das Clapper“. 2009 schrieb und schuf er seinen zweiten Kinofilm „Fighting“. Mit Channing Tatum in der Hauptrolle. Nun also Independent Film Nr.3 als „ganz anderer Thriller“. Mit viel Promi-Besetzung. Budget: 15 Millionen Dollar.

„Ich bin ein Cop. Fuck“, spricht sich Jonathan „Milk“ White morgens selber vor dem Badspiegel an. Jonathan lebte lange Jahre ruhig und besonnen als Polizist in der Provinz. Nun wurde er, nach 16 Jahren, dorthin versetzt, wo er eigentlich nie wieder zurückkehren wollte. Nach Queens in New York, wo er aufwuchs. Und wo er, gemeinsam mit seinem besten (schwarzen) Kumpel Vinnie, als junger Bursche in zwei Todesfälle verwickelt war. Zwei eklige Junkies aus der Gegend kamen gewaltsam ums Leben. Ein väterlicher Officer aus dem Polizeirevier „(ver-)deckte“ sozusagen die Taten. Was ist denn schon passiert, zwei Saukerle weniger. Auf der Straße. Aus der Gosse. Na und? Vermisst sie jemand? Also. „Du bist hier ein Reh im Dschungel, mein Junge“, beruhigt der coole Ermittler (AL PACINO) den traumatisierten jungen Jonathan (sensationell in seiner spannenden Körpersprache: JAKE CHERRY). Dessen größter Wunsch es als Erwachsener war und ist, eine Familie um sich zu wissen. Er heiratete, bekam ein kleines Mädchen. Seine Welt war in Ordnung.

Bis diese – finanziell lukrative – Versetzung kam. In die schlimme Vergangenheit. Deren schreckliche wie prägende Erinnerungen sich immer wieder gedanklich vorschieben. Auch bildlich. Schmerzvoll herauswühlen. So „pendelt“ Jonathan ständig zwischen damals, 1986, und jetzt, 2002. Wo die Unruhe, teilweise Hysterie, das Abrücken nach Bush-Rechts nach den Terror-Attacken vom 11. September 2001 zu spüren, förmlich allgegenwärtig zu riechen sind. Und wo plötzlich Briefe auftauchen. Anschuldigungsbriefe. An die Redaktion der lokalen Zeitung „The Queens Gazette“. Die Polizei würde Mordtaten von einst weiterhin vertuschen. Die Chefredakteurin (JULIETTE BINOCHE) will darüber weiterhin ständig berichten. Was dem brutalen örtlichen Polizei-Chef (RAY LIOTTA) überhaupt nicht gefällt. Also setzt er Jonathan darauf an. Mit einem „rüden“ Kollegen. Dies aber löst eine Kette von Verwicklungen und Ereignissen aus, die den Cop und Familienvater in schlimme Bedrängnis bringen. Denn prompt tapert er in eine geschickt konstruierte, vorbereitete Falle. In der sein alter und jetzt ziemlich kranker Freund von damals, Vinnie, auch eine maßgebende Schlüsselrolle spielen soll.

„The Son of No One“ ist kein Kracher-Movie. Kommt vielmehr als besonnenes, faszinierendes Charakter-Drama daher. In der es um eine Schuld geht, die ein Mensch nicht sühnen kann. Jonathan White ist ein liebenswerter Familienmensch. Zeigt sich zugleich aber „öffentlich“ verstockt, scheu, schuldig, tief Seelen-behindert. Mit vielen unausgesprochenen Sätzen, Gedanken, Erklärungen. Der frühere Teenie-Schwarm CHANNING TATUM („She`s the Man – Voll mein Typ“/2006), inzwischen 29, mimt diesen gebeutelten Cop überzeugend als empfindsames Seelen-Bündel. DER sich in diesem korrupten, reaktionären Sünden-Babel von New Yorker Polizei-Mief schwer tut, „fair mitzuhalten“.

Asse und Prominente wie Al Pacino, Ray Liotta („GoodFellas“), Katie Holmes, Juliette Binoche und Krawall-Clown TRACY MORGAN (seit 2006 in der Sitcom „30 Rock“) als gezeichneter Alters-Kumpel Vinnie sind sich für Klasse Nebenauftritte nicht zu schade. In diesem außergewöhnlichen wie eigenwilligen und SEHR psycho-spannenden Niveau-Thriller. Mit sehr viel subtilem doppelbödigem Tiefgang. Samt kritischem „amerikanischem“ Politgeschmack.
Wer mal einem ganz anderen Spannungsfilm aus dem Genre Cop-Movie folgen möchte, wird hier vorzüglich gedanklich und emotional bedient. „The Son of No One“ ist exzellentes DVD-Kino (= 4 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „Studiocanal“.

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