PÖNIs: (4,5/5)
„RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH“ von ANDREAS DRESEN (D/Fr 2020; B: Laila Stieler; K: Andreas Höfer; M: Johannes Repka; 118 Minuten; deutscher Kino-Start: 28.4.2022);SCHLAU. NACHHALLEND. Unterhaltsam. Titel = „RABIYE KURNAZ GEGEN GEORGE W. BUSH“. Von ANDREAS DRESEN (D/Fr 2020; B: Laila Stieler; K: Andreas Höfer; M: Johannes Repka; 118 Minuten; deutscher Kino-Start: 28.4.2022). Sein 27. Kinospielfilm unterstreicht einmal mehr – ANDREAS DRESEN, geboren am 16. August 1963 in Gera, ist schlau. Vermag engagierte politische Themen mit kluger „Showbühne“ zu verbinden. Zuletzt, 2018, gefiel mir sein engagiertes, aufwühlendes Porträt über den DDR-Outlaw „GUNDERMAN“ – als Liedermacher, Rockmusiker und Baggerführer sowie als Freigeist und Stasispitzel (s. Kino-KRITIK/4 1/2 PÖNIs). ALEXANDER SCHEER interpretierte diesen empfindsamen Schlaks, der sich selbst als „Tankstelle für Verlierer“ bezeichnete, mit viel Wut, Zwiespalt und eigenwilliger DNA. Hier ist er wieder vertreten: Als hanseatisch-besonnener Menschenrechtsanwalt Bernhard Docke, der in Bremen mit einem Fall von politischem wie gesellschaftlichen Weltgeschehen konfrontiert wird: „Ich vertrete jemanden, dem ich noch nie begegnet bin“. Oberbegriff: Ein Mensch wird ohne Anklage, Verhandlung und Urteil „einfach so“ weggesperrt. Muss dabei übelst anklägerische „Behandlung“ ertragen. Während Zuhause die Mutter und „der Anwalt“ den juristischen Kampf starten. Aufnehmen.
Inhalt: Murat ist weg. Inhaftiert im US-Gefangenenlager Guantánamo. Rabiye Kurnaz (was für eine sagenhaft-originelle Mutter-Strippenzieherin und emotionale Gefühlssammlerin: MELTEM KAPTAN), Bremer Hausfrau und Familienlenkerin, begreift die Welt nicht mehr. Geht zur Polizei, informiert – auch türkische – Behörden, benimmt sich unorthodox-„anti“. Erinnert in ihrer temperamentvollen „Frechheit“, ihrer urigen Power und ihrem Auftreten an die hanseatische Version einer sich nicht unterkriegen lassen wollenden „Erin Brockovich“ mit Sinnsprüchen wie „Geh es an wie ein Türke, aber beende es wie ein Deutscher“. Was ihr bei Mercedes arbeitende Gatte etwas „nüchterner“ betrachtet: „Wenn mein Sohn nichts Schlimmes getan hat, passiert ihm auch nichts“. Von wegen. Als Rabiye den Anwalt entdeckt, beginnt sie zu kapieren, was es „bei den Deutschen“ bedeutet, wenn es heißt: „Papier ist geduldig“. Eigentlich würde sie das akzeptieren, wenn darunter ihr Sohn in der Gefängnisferne nicht leiden würde. Und dann auch noch das: Rabiye Kurnaz befindet sich mehr und mehr inmitten der Weltgeschichte. Zieht mit dem paragraphen-sicheren Bernhard Docke bis vor den Supreme Court nach Washington, um gegen George W. Bush zu klagen. Bernhard gibt dabei auf sie acht. Denn Rabiye bringt ihn zum Lachen. Mit Herz und Seele. Als Naturgewalt, mit unbändiger Kraft.
Mit überwältigender Präsenz und erdigem Alltagswitz gibt MELTEM KAPTAN als Rabiye Kurnaz ihr sensationelles deutsches Kinodebüt. Lassen wir die zahlreichen Preise, die sie dafür inzwischen verdientermaßen bekommen hat, u.a. den „Silbernen Berlinale-Bären“ im Frühjahr, im Verbeugungsschema und attestieren der TV-Comedienne („Ladies Night“): Was für eine Bühne, was für ein originelles Lichtspielhaus-Debüt; SIE mit dem Zwiespalt – einerseits die engagierte, humorige wie lebensfrohe türkisch-deutsche „Entertainerin“ „zu sein“, andererseits als verzweifelte, fightende Mutter, die um ihren Sohn bangt („Ich geh‘ bis ans Ende der Welt“), besorgt-wütend auf- und anzutreten. Es werden glaubhaft empfindbar: Was für entsetzliche wie furiose gesellschaftspolitische Gedanken, was für sorgen-intensive Handlungen, was für eine nachvollziehbare, schmerzhafte Verzweiflung. Was für trotzdem kein schwermütiger Stoff und Film, sondern eine Linksbühne mit – wunderbarem – sehr viel doppelbödigem Dampf (= 4 1/2 PÖNIs).