OH BOY

PÖNIs: (4/5)

„OH BOY“ von Jan-Ole Gerster (B + R; D 2012; K: Philipp Kirsamer; M: Cherilyn MacNeil, die Jazz-Band „The Major Minors“; 85 Minuten; schwarz-weiß; deutscher Kino-Start: 01.11.2012); meine Güte, das “so etwas” bei uns geht, klappt, funktioniert: Wir kennen DAS ja von den Anfängen von Jim Jarmusch („Stranger than Paradise“), Aki Kaurismäki (dort allerdings mit weniger Worten) oder, natürlich, (noch) ganz weit entfernt, Woody Allen („Manhattan“) – schwarz-weiße Jazz-Tupfer aus einer Großstadt. Mit all ihren Tief- und Hochebenen. Beobachtungen in der Gegend. Über einen Typen. Der nicht weiß und es auch nicht direkt wissen will, was er will. Niko lässt sich einfach treiben. In Berlin. Bisher mit dem Scheck des Vaters. Doch jetzt ist Schluss, der Erzeuger sperrt die monatliche Geldzufuhr. Was hast du eigentlich in den letzten zwei Jahren, seit Aufgabe des Jura-Studiums, gemacht? „Ich habe nachgedacht“.

Der Alte fährt aus der Haut, Niko lässt es angehen. Und sich weiter treiben. Mal mit einem guten Kumpel, der auch wenig gewillt ist, eine mögliche Schauspiel-Karriere anzusteuern. Mal mit erstaunten Beobachtungen. Mal mit „unkonventionellen“ Begegnungen. Mit einem instabilen Nachbarn, mit einer „interessierten“, neurotischen Ex-Schulfreundin, mit einem alten Mann, der ihm seine Lebensbeichte aufdrängt. Oder am „komischen“ Set, wo ein „engagierter“ Nazi-Film „merkwürdig“ in Arbeit ist. Dazwischen immer wieder diese Stadt, ebenso lakonisch „unwillig“ eingefangen wie dieser melancholische Niko. Der „den Arsch“ nicht hochkriegt und demzufolge schon mal was auf die Gusche bekommt. Dabei ist er doch nur auf der Suche nach einer „richtigen“, also „normalen“ Tasse Kaffee. Ohne diese bescheuerten Geschmackszusätze. Doch DIE in SOLCH einer Stadt zu bekommen, erscheint unmöglich. Also trampelt Niko weiter. Durch dieses tragikomische Treibhaus Berlin. Auf der Suche nach Kaffee & Sinn.

Nichts. Kein Anspruch winkt. Nur DIES. Niko in der Stadt. Der Junge ohne Ambitionen. Und ohne Führerschein. Bei einem hinterhältigen Psychologen-Führer, der seine bürokratische Machtposition süffisant provozierend ausreizt: „Haben Sie Minderwertigkeitskomplexe, weil Sie so klein sind?“ Idiotentest, natürlich, nicht bestanden. Wie überhaupt, Charles Aznavour, diese „Du lässt dich gehen“-Stimmung. Auf männlich. Mit diesen streichelnden Jazz-Refugien als Begleitung. Als Soundtrack des Niko-Lebens. 1967 schuf May Spils mit „Zur Sache, Schätzchen“ eine ähnliche Münchner Verweigerungsatmosphäre. Mit dem unwiderstehlichen Pointen-Clown Werner Enke. (Und mit Uschi Glas.) Heute, in Berlin, ist „die Sache“, das mit den Nichtstunbewegungen, weitaus „robuster“. Aber nicht minder reizvoll. Manchmal witzig. Viel „eckig“, lebendig. Voller emotionaler Neon-Überraschungen.

„Was für ´ne kleine, erbärmliche Wurst bist du eigentlich?“, muss sich „Niko“ TOM SCHILLING schon mal von einer enttäuschten Julika sagen lassen. Der 30-jährige Berliner Schilling, vorher eher „begrenzt“ interessant im Kino aufgefallen (als/in „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“/2008 oder als junger Hitler in der verunglückten Urs Odermatt-Adaption von George Taboris „Mein Kampf“/2009), ist ein spannender Schlacks. Auf dem Weg zum Was. Wo. Und Wie. Und zum Überhaupt. Sein Niko ist keine Dumpfbacke von Spinner, sondern ein „einsamer Wolf“, wie MICHAEL GWISDEK es als Theken-Nachbar lakonisch ausdrückt. Na gut, mehr wie ein Wölfchen. Möchte man anfügen. Apropos – diese kauzigen Kurzauftritte von Namhaften wie JUSTUS VON DOHNÁNYI (Nachbar), ULRICH NOETHEN (Papa) und MICHAEL GWISDEK sind kleine, feine Glanznummern. Von tragikomischem Slapstick-Lebensgefühl. Wie überhaupt und angenehm – dieser lässige deutsche Debütfilm besitzt erstaunlich viel kleine Größe (= 3 ½ PÖNIs plus ½ gerne dazu).

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