NOMADLAND

PÖNIs: (5/5)

„NOMADLAND“ von Chloé Zhao (B + R; USA 2029/2020; basierend auf dem 2017 veröffentlichten Sachbuch „Nomaden der Arbeit: Überleben in den USA im 21. Jahrhundert“ von Jessica Bruder; K: Joshua James Richards; M: Ludovico Einaudi; 108 Minuten; deutscher Kino-Start: 1.7.2021);

REALE FICTION. Es = Er ist die FILMÜBERRASCHUNG des Jahres. Titel = „NOMADLAND“. Nicht vergleichbar mit einem Vorgänger. Ohne ein Exot zu sein. Der Film ist einfach: Gut. Im Sinne von – klug, ständig berührend, bedeutsam-nahegehend. Zum besten Denken geeignet. Mit dem gelungenen Anliegen, einen – im Parkett und weit danach – ununterbrochen wie unaufdringlich zu beschäftigen. Motto: Was hinter den Bildern existiert. Das strahlt. Lebt. Ohne billig anzuklagen. Ohne mit  großmündigen politischen Statements zu tönen. Einfach: Mit vielen kleinen Bewegungen. Scheinbar Nebensächlichkeiten. Blicke. Gesten. Mit unauffälligen Bewegungen. Einigen Sätzen. 108 Minuten lebt dieser Film. Thema: Amerikanisches Leben. Amerikanisches Existieren. Amerikanisches Durchkommen. Dabei: Würde bewahren. Das ICH behalten. Es geht um das Sein und nicht um – das Nicht-Sein. Oder Wenig-Sein.

2017 haben sie sich auf dem Filmfestival in Toronto kennengelernt: FRANCES McDORMAND, die Schauspielerin UND PRODUZENTIN, und CHLOÉ ZHAO, die Filmemacherin, eher leise tätig. Frances, die „Oscar“-Preisträgerin („Fargo“), hatte über das Sachbuch „NOMADEN DER ARBEIT – Überleben in den USA im 21. Jahrhundert“ von Jessica Bruder – siehe Kritik-Text im BLOG 137 – ein neues Filmthema entdeckt und die Rechte gekauft. Für die Verfilmung verpflichtete sie nicht ihren Gatten Joel Coen, der, gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Ethan, schon acht Filme mit seiner Ehefrau inszeniert hatte, darunter die kultige Mörderkomödie „Fargo“, sondern CHLOÉ ZHAO. Credits: Geboren (am 31. März 1982) in Peking, danach Internat in England, Studium der Politikwissenschaft in Massachusetts und Filmproduktion an der New Yorker Tisch School of the Arts. Ihr Regie-Debüt „SONGS MY BROTHERS TAUGHT ME“ lief Ende Januar 2015 beim Sundance Film Festival und später bei den Filmfestspielen in Cannes. Danach schuf sie den auch hierzulande in den Kinos gezeigten, hochgelobten modernen Western „THE RIDER“ (s. Kino-KRITIK/4 1/2 PÖNIs). Chloé Zhaos dritter Spielfilm, „NOMADLAND“, räumte weltweit über 200 Preise ab und erhielt im Frühjahr drei „Oscars“ (Bester Film, Beste Produktion, Beste Regie). Während FRANCES McDORMAND, die 2018 als „Beste Hauptdarstellerin“ in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“ ihren zweiten „Oscar“ verbuchte, für ihre Hauptrolle in „Nomadland“ zum dritten Male mit der „Oscar“-Trophäe bedacht wurde. Zudem bekam sie einen weiteren „Oscar“ als Mit-Produzentin.

„Das letzte Stückchen Freiheit in Amerika ist ein Parkplatz“, schreibt Jessica Bruder im ihrem Buch-Vorwort. Der Film „Nomadland“ erzählt die Geschichte von Fern (Frances McDormand), die 2008 wie so viele in den USA nach der großen Rezession alles verloren hat. Nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch einer Industriestadt im ländlichen Nevada packt Fern ihre Sachen zusammen und bricht in ihrem Van auf, um künftig ein Leben außerhalb der konventionellen Regeln zu erkunden. Thema: Das Aussteigen aus der Gesellschaft, ohne Krawall und laute dauerhafte Trauer-Töne. Sich einer Gruppe von „Genau-solchen“ – Menschen anzuschließen, nicht aufgeben zu wollen. Dabei erstaunt die dabei zu Tage tretende atmosphärische Genauigkeit und die sensible Annäherung an die innere Welt der – teilweise echten – Protagonisten. Wie sie ihr Da-Sein außerhalb der Money-Welt einrichten. Trotz unglaublich anmutender Gegebenheiten, diese Arbeitsnomaden zu begleiten, wie: sie von einer befristeten Arbeitsstelle zur nächsten reisen. Um Klos zu reinigen, für Amazon-Billiggeld Pakete zu packen/zu versenden, in Restaurants auszuhelfen. Dieser Film „handelt davon, dass die Menschen nicht dazu gemacht sind, sich hinzulegen und zu sterben. Sie sind gemacht, um zu überleben. Und es ist erstaunlich, was sie alles aushalten und dann doch noch etwas entdecken, was der Mühe wert ist  – Freiheit, den Nachthimmel, die Geräuschlosigkeit der Wüste. Frances McDormand spielt die eine Hauptrolle in diesem Film, die andere spielt das wilde, schöne, raue Land zwischen den Städten; das gehört allen, und keine Systemkrise kann es Fern wegnehmen“ (Susan Vahabzadeh / SZ/ 27.4.2021).

Übrigens: Die Filmmusik komponierte LUDOVICO EINAUDI; sie stammt von seinem Klavier-Zyklus und der gleichzeitigen siebenteiligen Albumsammlung Seven Days Walking von 2019. Die Musik wurde von dem italienischen Komponisten, der als Urvater der Neoklassik gilt, nicht speziell für den Film geschrieben; vielmehr wurde sie von Wanderungen inspiriert, die der produktive Komponist in den italienischen Alpen unternahm.

Fazit: Sich auf dieses überwältigende innere Filmwerk einzulassen, ist ein Gewinn (= 5 PÖNIs).

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