„MUTTER & SOHN“ von Calin Peter Netzer (Co-B + R; Rumänien 2012; Co-B: Razvan Radulescu; K: Andrei Butica; 107 Minuten; Start D: 23.05.2013); das rumänische Kino ist derzeit eines der spannendsten in Europa. „Nicht zufällig wird das rumänische Filmschaffen so gefeiert. Das ist ein Kino, das etwas will“, notierte Kollegin Anke Westphal in der „Berliner Zeitung“ anlässlich der Aufführung dieses Films am 8. Februar 2013 im Wettbewerb der Berlinale. Der Hauptpreis, der „Goldene Bär“, fand dann auch viel Zustimmung und Beifall. Für „Mutter & Sohn“. Nach „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ von Cristian Mungiu, der als erster rumänischer Film im Mai 2007 bei den Filmfestspielen von Cannes mit der „Goldenen Palme“ ausgezeichnet wurde, durfte sich Film-Rumänien wieder als Gewinner feiern. Und in der Tat, „Mutter & Sohn“ ist ein intelligentes, hochkarätiges Denk-und Emotions-Juwel.
Wenn gerade „allgemein“ über Rumänien gesprochen wird, fallen Worte wie Armut, Roma, Korruption. Banden. Dass dort auch „Normalleben“ existiert, wird gerne ausgeklinkt. Hier steht im Zentrum eine wohlhabende Familie. Mutter Cornelia ist eine etwa 60jährige Architektin und Setdesignerin. Ehemann Relu ein anerkannter Chirurg. Sohn Barbu dagegen, 35 und von Zuhause ausgezogen, bereitet ihr Kummer. Weil er ihrer Kontrolle immer mehr „entweicht“. Dabei ist sie es gewohnt, ihn zu finanzieren, ihn zu „beraten“, ihn „zu lenken“. Zu leiten. Zu steuern. Zu dirigieren. Besitzergreifend wie eine ewige Glucke. Die immer auf „ihr Küken“ aufzupassen gedenkt. Barbu aber zeigt sich nur noch genervt. Angewidert. Will nicht mehr „mitmachen“. Muss es aber, weil er „Mist“ gebaut hat. Großen. Hat bei einer Autofahrt mit überhöhter Geschwindigkeit ein Kind überfahren. Die polizeilichen Ermittlungen laufen, aber „Mama“ hat schon längst alle Fäden in der Hand. Übernommen. Stichworte: Money und „Verbindungen“. Wen man halt so kennt. Innerhalb dieser Oberschicht-Klasse. Das kann man doch sicherlich „hinbiegen“. Mit Telefonaten, Gesprächen. Voller Andeutungen und „Erwartungen“. Doch dann spielt Barbu nicht mit. Nicht mehr mit.
Natürlich: Der siegreiche Kapitalismus. Auch in Rumänien. Gibt es „Schichten“. Zwangsläufig. Als NATO- (seit 2004) und EU- (seit 2007) Mitglied. Man baut sich was auf. Mutter Cornelia ist es gewohnt, dass es stets „gut“ läuft. Nach ihren Wünschen. Nach ihrem Willen. Zum Wohle der Ich-Sippe. Dominant bestimmt sie die Regeln. Was „das Beste“ ist. Für sie. Und ihre Real-Wünsche. Klar und deutlich. Doch bei ihrem Sohn Barbu beißt sie auf Granit. Er denkt nicht mehr daran, hierbei „vorgegeben“ mitzumischen. Doch als er die Familie des von ihm getöteten Kindes aufsuchen soll, kriegt er das nicht hin. Die Mutter und die Schwiegertochter in spe stellen sich. Dort. Persönlich. Vor. Was ihn innerlich „aufmischt“.
Keine Hexe. Cornelia Kerenes ist keine Hexe. Sondern vielmehr eine starke „Henne“, die ihr Kind verteidigt. Verteidigen will. Koste es was es wolle. An Nerven, Geld, Kraft. Innerhalb einer Gesellschaft, wo demokratische Statuten immer noch in den Anfangsschuhen stecken. Gesetze und Ordnung „willkürlich“ „ausgelegt“ werden. Können. Wenn „so eine“ wie Cornelia heranprescht. Co-Drehbuch-Autor und Regisseur Calin Peter Netzer, im rumänischen Patrosani am 1. Mai 1975 geboren und in Stuttgart aufgewachsen, hat mit seinem dritten Spielfilm ein ungemein packendes, dichtes Gesellschaftsdrama geschaffen. Bei dem man buchstäblich wie wunderbar klug aufgescheucht „an den Worten“ und dem körpersprachlichen Ausdruck SÄMTLICHER Beteiligten „hängt“. Fasziniert. Mitgenommen. Als Bestandsaufnahme nicht nur der rumänischen Gesellschaft. Sondern mit Zeichen und Spuren überall, auch zu uns, hin. Aufregend ist das. Spannend allemal. Authentisch wirkend. Dank der großartigen „Aktivitäten“ des exzellenten Ensembles. Dass die „vehemente“ LUMINITA GHEORGHIU als Cornelia Kerenes phantastisch kühl, monströs, dabei durchsichtig menschlich wie grandios – kraftvoll anführt. Was für eine brillante darstellerische Meisterleistung! Zwischen Ekel und bewunderungswürdig. DAS muss man erst mal hinkriegen. „So“. Mit klugen Worten als ungeheuerliche Sinn-Waffen. Meine Güte, KINO kann so etwas von wunderbar reich sein…. (= 4 ½ PÖNIs).