MEINE GLÜCKLICHE FAMILIE

PÖNIs: (4,5/5)

„MEINE GLÜCKLICHE FAMILIE“ von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß (D/Fr/Georgien 2016; B: Nana Ekvtimishvili; K: Tudor Vladimir Panduru; M: u.a. von Chopin; 119 Minuten; deutscher Kino-Start: 13.07.2017; deutsche Heimkino-Premiere: 24.11.2017); manchmal liegen die Juwelen vor einem, in einem Stapel mit der Aufschrift „noch zu sehen“, und dann dauert es, bis dieser abgearbeitet und die Film-Perle entdeckt ist. So hier geschehen. Obwohl er bereits im Januar 2017 – anlässlich der Uraufführung auf dem renommierten „Sundance Festival“ – auf viel positive Resonanz stieß und auch beim letztjährigen Berlinale-Forum sehr viel Lob bekam. Und in der Film-Tat: Bei diesem Film, „MEINE GLÜCKLICHE FAMILIE“, handelt es sich um ein wunderbares Stück bestes Kopf- und Empfindungskino.

Das mich entfernt an eine Kalendergeschichte von Bertolt Brecht aus dem Jahr 1949 erinnert: „Die unwürdige Greisin“, 1964 großartig vom französischen Autoren-Regisseur René Allio – unter dem originalen Kurzgeschichten-Titel – mit der unvergessenen französischen Schauspielerin Sylvie in der Titelrolle verfilmt. Darin geht es um zwei „Leben“ einer nun in die späten Jahre gekommenen Frau. Bis zu ihrem 72. Lebensjahr war sie als Mutter ihrer fünf Kinder und als hart arbeitende Hausfrau-Ehefrau festgelegt. Mit dem Tod ihres Mannes änderte sie schlagartig ihr Leben. In dem sie es für sich zu entdecken und zu genießen beginnt. Die Literatur-Lehrerin Manana (IA SHUGLIASHVILI) ist 52 und lebt mit drei Familien-Generationen zusammen, wobei sich ihre herrische Mutter, der die Wohnung gehört, als ewig nörgelnde „Anführerin“ (= Besserwisserin) aufspielt. Ihre Ehe mit Soso (MERAB NINIDZE) ist und bedeutet längst „Routine-Alltag“, im Haus herrscht ständig Lärm, was alle für selbstverständlich halten. Zur individuellen Ruhe kommt hier niemand; will aber wohl auch keiner. Bis auf Manana, die die Faxen längst „dicke“ hat. „Ich kann bei euch nicht mehr leben“, verkündet sie der erst erstaunten, dann völlig fassungslosen Familie. „Ich muss aus dieser Wohnung ausziehen!“, lautet ihr Credo. Und: „Ich gehe für immer!“ Ohne Zank und Streit. Einfach so. Und auch ohne große Erklärung. Natürlich will man sie umstimmen. Von wegen, das geht doch nicht; was sollen „die Leute“ sagen; hast du was? Was ist auf einmal los mit dir? Solch eine individuelle Eigenständigkeit, das geht doch nicht. Wir sind doch eine Familien-Einheit. „Ich bin eine erwachsene Frau, ich brauche niemanden, der mir Lektionen erteilt“, hält sie dagegen. Zieht aus, mietet für sich eine kleine Wohnung, die sie sich behaglich gestaltet und wo sie das erste Mal seit langer Zeit für sich zur inneren Ruhe kommt. Doch die Familie lässt natürlich nicht locker, sie wieder einzugemeinden.

Ein feiner, kleiner-großer Film. Eine Frau hat Jahrzehnte die Rolle angenommen, die man für sie „vorgesehen“ hat, privat wie gesellschaftlich, und erkennt jetzt, dass dies nicht alles sein kann. Was sie vom Leben abbekommen will. Analysiert für sich ihre Situation und reagiert. Ganz eigen, ganz privat, ganz und gar selbstbestimmt. Ganz praktisch. Manana bricht aus ihren festgefahrenen Strukturen aus, um sich künftig ein besseres Leben „zu gönnen“. Beginnt sich zu emanzipieren; ohne „Fahne“, ohne Geschrei, einfach so. Ein betörend-kluger Film über eine sich verändernde patriarchalische Gesellschaft, bei der „Frau“ beginnt, für sich eigene Lebenspunkte zu sammeln. Mit einem eigen-familiären Wiedererkennungseffekt, der ebenso amüsant wie meisterhaft-hintergründig erzählt und von einem hervorragend spielenden – und dabei SEHR Figuren- = Typen-unterhaltsamen wie nachdenklich stimmenden Ensemble vorgeführt wird. Und eben: Wobei keine Thesen propagiert, sondern spannende Gedanken einfühlsam provoziert werden. Beeindruckend. Faszinierend. Beglückend.

Ach, sagte ich schon, dass der Film in Georgien spielt? Egal: Was für ein erquickendes Meisterwerk mit Außenseiter-Brillanz: ein Muss-Ereignis fürs hiesige Heimkino! (= 4 1/2 PÖNIs).

Anbieter: „good!movies“.

 

 

 

 

 

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